Katharina Wagner arbeitet seit zwei Jahren als integrierte Fachkraft bei der Ruta Pacífica de las Mujeres. Basierend auf den Erfahrungen und dem Fachwissen des Netzwerks hat die Politologin die Empfehlungen für den Bericht der WHK ausgearbeitet. "Für die Frauen ist es unglaublich wichtig, dass sie gehört und anerkannt werden und sich in den Zeuginnenaussagen wiederfinden", so Wagner. Die Frauen wollten aber nicht nur als Opfer dargestellt werden. Der Bericht müsse daher auch ihre Rolle als Friedensakteurinnen zeigen. Damit sich Gewalt gegen Frauen nicht wiederhole, sei es erforderlich, strukturelle Ursachen wie Rassismus und Sexismus anzugehen. Zugleich bräuchten die Überlebenden psychosoziale Angebote, betont Marina Gallego, Mitbegründerin und Koordinatorin der Ruta Pacífica de las Mujeres.
Vertrauen ist das Fundament
Auch die Interethnische Wahrheitskommission der Pazifikregion CIVP stellte 2022 ihren 4.000-seitigen Bericht vor und der WHK zur Verfügung. Es war ein langer und komplexer Prozess, der schon vor 15 Jahren mit der Einrichtung einer permanenten Beobachtungsstelle begann, die die Toten, Verschwundenen und Vertriebenen in der Region registrierte.
Viele Jahre lang gab es Gespräche mit den Menschen aus den entlegensten Gemeinden. "Wir sind davon ausgegangen, dass die Pazifikregion das erste Opfer des Konflikts ist", sagt der Anthropologe und Leiter des Zentrums für ethnische Studien Jesús Alfonso Florez. Er berichtet von Umweltschäden durch Bergbau, Monokulturen und Kokaanbau, die gewaltsame Kontrolle des Landes durch bewaffnete Akteure und die damit verbundenen sozialen Folgen. Die Beziehungen zwischen indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden, die über Jahrhunderte in Frieden lebten, wurden zerstört und Familien wurden auseinandergebrochen. "Unsere Flüsse sind für uns heilig und sie wurden zu Orten von Angst und Schrecken, als bewaffnete Akteure begannen diese zu patrouillieren und Einwohner*innen zu verschleppen und zu töten. Aus Verzweiflung und Angst vor Rekrutierung in bewaffneten Gruppen haben viele junge Menschen Selbstmord begangen", berichtet der indigene Gemeindeführer Placido Bailarin während der Vorstellung des Berichts.
ZFD-Fachkraft Eric Bejarano hat die letzten drei Jahre die Wahrheitsfindung im Pazifikraum unterstützt und einen Teil des Berichts verfasst. Der Wissenschaftler reiste entlang der Flüsse in die abgelegenen Dörfer, um mit den Menschen über die gewaltbelastete Vergangenheit zu sprechen. Dabei war und ist vor allem Angst ein Hindernis bei der Wahrheitssuche. Denn trotz des Friedensabkommens sind weiterhin illegale bewaffnete Akteur*innen präsent. "Vertrauen war das Fundament unserer Arbeit", sagt Bejarano. "Dies hatten wir dank der Unterstützung und langjährigen Arbeit der Coordinación Regional del Pacífico Colombiano (CRPC), die sich für die Rechte der indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung im Pazifikraum einsetzt."
"Es gibt weiterhin Menschenrechtsverbrechen im Pazifikraum und wir erleben gerade eine humanitäre Tragödie", erklärt der Koordinator der CRPC, Padre Albeiro Parra beunruhigt. Umso wichtiger sei daher, die Empfehlungen der WHK umzusetzen und staatliche Strukturen in ländlichen Regionen aufzubauen. "Der Bericht gibt mir Kraft" sagt Leyner Palacios, Ex-Generalsekretär der CIVP und jetzt Kommissionär der WHK. Der Opfervertreter hat 28 Familienmitglieder bei einem Gefecht zwischen Paramilitärs und der FARC- Guerrilla verloren, als eine Zylinderbombe in der Kirche von Bojaya detonierte.
Versöhnung braucht Zeit
Der Bericht ist ein Meilenstein und Moment der Hoffnung für die Opfer des Konflikts. Nun muss die Zivilgesellschaft sich ihn zu eigen machen – und die Politik handeln. "Es ist wichtig, dass der Bericht an alle Kolumbianer*innen übergeben wird. Alle müssen verstehen, was hier passiert ist", sagt Leyner Palacios. Um die komplexen Informationen leichter zugänglich zu machen, wird das rund 8.000-seitige Dokument mit Interviews, Grafiken, Fotos und Videos ins Internet gestellt. Im August 2022 endet das Mandat der WHK. Ein Komitee aus anerkannten Menschenrechtsverteidiger*innen, darunter auch Marina Gallego, soll die Umsetzung der Empfehlungen verfolgen. Gallego betont, dass die kolumbianische Gesellschaft die Wirkungen in zwei bis drei Jahrzehnten sehen wird: "Versöhnung braucht viel Zeit."
24.08.2022
Text: Bianca Bauer
Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 2/2022. Zum Download der Gesamtausgabe.