Rückblick auf über 20 Jahre Friedensarbeit

Manfred Rink arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Fachkraft und Koordinator im Zivilen Friedensdienst für AGIAMONDO in Westafrika.

Der gelernte Kfz-Mechaniker und studierte Sozialarbeiter spricht im Interview über die Veränderungen in der Friedensarbeit und deren Auswirkungen auf globale Themen, die er persönlich wahrgenommen hat. Manfred Rink war mit AGIAMONDO jeweils zehn Jahre Fachkraft und Koordinator im Zivilen Friedensdienst in Sierra Leone und in Liberia.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Friedensarbeit im ZFD verändert?

Manfred Rink: Der ZFD hat sich deutlich professionalisiert. Anfangs war er weniger stark strukturiert und hatte sehr verschiedene Projekte zum Thema Frieden. Heute arbeiten die Fachkräfte gezielt zu Konfliktthemen, auch in Verbindung mit gesellschaftlichen Problemlagen wie Gewalt gegen Frauen und Kinder. Neu sind Themen wie der Klimawandel, aber existenzielle Armut bleibt in vielen afrikanischen Ländern das drängendste Problem.

AGIAMONDO-Workshop zum Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit im April 2023. ZFD-Fachkräfte arbeiten mit zentralen Akteuren der Region zusammen. Mit dabei sind die Bischöfe Anthony Bowah und Andrew Karnley sowie die Direktorin des Interreligiösen Rates von Liberia, Rebecca Tarpeh-Major und Manfred Rink (von links).
Manfred Rink arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten im Zivilen Friedensdienst. Im Februar 2025 hat er die Koordination des ZFD in Liberia von seiner Vorgängerin Marion Koerbel übernommen.
Die Evaluation der Wirkungen ist ein wesentlicher Teil der ZFD-Programme. Bei Workshops kommen Partnerorganisationen, ZFD-Fachkräfte und die Koordination zusammen, wie hier im Oktober 2024.
Manfred Rink arbeitet bereits seit vielen Jahren in Liberia. Auch während der Corona-Pandemie war er vor Ort.

Manfred Rink: In der Friedensarbeit wird heute stärker auf ihre langfristigen Wirkungen geschaut und mehr Wert auf den Aufbau lokaler Strukturen gelegt. Die Themen werden außerdem zunehmend gemeinsam mit den Partnern entwickelt. 
Unverändert geblieben ist der Ansatz der integrierten Fachkraft bei AGIAMONDO: Fachkräfte arbeiten als Teil einer lokalen Organisation in kleinen Projekten mit begrenzten Budgets – ein Erfolgsmodell, wie ich finde.

Viele Menschen sind durch Kriege und Konflikte von Armut, Flucht und Gewalt betroffen. Welche Rolle spielt hier die zivile Friedensarbeit?

Manfred Rink: Der zivile Friedensdienst ist eine kleine, aber wichtige Antwort auf das Credo "Nie wieder Krieg", besonders nach den verheerenden Kriegen des 20. Jahrhunderts. Wir übernehmen Verantwortung als Europäer, denn wir waren in Ausbeutung und Genozide verwickelt, haben vom Imperialismus profitiert. Wir können nicht sagen: Das geht uns nichts an. Viele Ressourcen, die wir für unseren Lebensstil nutzen, kommen aus den betroffenen Regionen. Der Gedanke an "Eine Welt" ist für mich daher naheliegend.

Wie sieht denn die Friedensarbeit in Konfliktregionen konkret aus?

Manfred Rink: In den vergangenen Jahren habe ich mit Vertrauenslehrern an katholischen Schulen in Liberia gearbeitet, einem Land mit langer Kriegsgeschichte. Auch 20 Jahre nach Ende des Krieges gibt es kaum Aufarbeitung der Vergangenheit. Erst jetzt soll mit einer neuen Regierung ein Sondergerichtshof für die Kriegsverbrechen eingerichtet werden.

Friedensarbeit ist eine gemeinsame Verantwortung

Manfred Rink

In den Schulen werden Konflikte meist mit Drohungen und Bestrafungen "gelöst". Seitdem wir dort Sozialarbeiter ausbilden und zeigen, wie wertschätzende Kommunikation aussehen kann, hat sich das geändert. Ich erinnere mich an einen Lehrer, der nach einem Jahr allmählich seinen Ansatz änderte und zunehmend auf die Schüler einging. Er war begeistert, endlich echte Gespräche mit ihnen führen zu können. Die Sehnsucht nach solchen Gesprächen war immer da, aber die Methoden dafür waren durch die Gewalt der Vergangenheit verloren gegangen.

Versammmlung der Schüler*innen auf dem Schulhof. Als Folge des 14 Jahre andauernden blutigen Bürgerkrieges im Land setzen viele Schulen bei Konflikten oft noch wenig auf Gespräche statt Gewalt. Manfred Rink arbeitet mit Vertrauenslehrern zusammen, um alternative Konfliktlösungen zu finden.
Harper ist eine kleine Hafenstadt an der Grenze zur Republik Elfenbeinküste. Liberia ist neben Äthiopien der einzige Staat in Afrika, der nie kolonisiert wurde. Von 1989 bis 2003 herrschte in Liberia ein Bürgerkrieg mit hunderttausenden Opfern.
Das ZFD-Programm in Liberia unterstützt Jugendliche, die extreme Gewalt erlebt haben. Viele leiden bis heute unter den Auswirkungen des Bürgerkrieges, der bis heute kaum aufgearbeitet ist.
Die Friedensarbeit setzt auf Begegnung zur Bewältigung von gewaltbelasteter Vergangenheit, wie hier an einer Schule in der Kleinstadt Harper im Südwesten von Liberia.
Das ZFD-Programm in Liberia will Jugendlichen Perspektiven aufzeigen, wie hier bei einem Workshop zu Drogenmissbrauch an einer Schule.

Geduld und Zuversicht scheinen wichtige Faktoren in der Friedensarbeit zu sein. Haben Sie ein Beispiel dafür, wo Sie von der Wirkung Ihrer Arbeit positiv überrascht wurden?

Manfred Rink: Das Leben in Ländern wie Sierra Leone und Liberia ändert sich nicht von heute auf morgen. Es ist ein langer Weg in kleinen Schritten. Während meiner ersten Vertragszeit in Sierra Leone arbeitete ich mit ehemaligen Kindersoldaten, die in die Gesellschaft reintegriert werden sollten. Viele Familien und Gemeinschaften weigerten sich, diese Jugendlichen wiederaufzunehmen, wegen all der Gräueltaten, die sie verübt hatten. Darunter war auch eine junge Frau, die mit neun Jahren von den Rebellen gefangen genommen und als Sklavin gehalten worden war. Sie hatte Furchtbares erlebt und lief während unserer Zusammenarbeit immer wieder fort. Aber unsere Bemühungen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, damit sie Worte für das Erlebte finden konnte, schienen irgendwann zu wirken. Eines Tages kam sie zurück und erzählte, dass es ihr bessergehe. Sie hatte wieder Kontakt zu ihrer Familie und konnte sich um ihr Kind kümmern. Solche Geschichten machen Friedensarbeit aus.   

Hat sich Ihr Verständnis von Solidarität und einem Guten Leben für Alle verändert?

Manfred Rink: Ich bin fest von Gerechtigkeit in der Einen Welt überzeugt, seit ich Anfang der 90er Jahre in der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika aktiv war. Rückblickend war ich damals sicherlich naiv. Ich hoffte, die Welt verändern zu können und sah die politische Verantwortung vor allem auf europäischer Seite. Heute sehe ich die Friedensarbeit als eine wichtige Unterstützung, aber die Verantwortung für gute Regierungsführung liegt bei afrikanischen Regimes. Länder wie Botswana oder Namibia zeigen, wie das aussehen könnte.
Ich wünschte, die Friedensarbeit könnte noch mehr bewegen, zum Beispiel durch den Austausch zwischen Friedensaktivisten vor Ort. Dennoch sehe ich diese Arbeit immer noch als großes Privileg: Teil einer Idee von einer besseren Welt zu sein, vor allem in den ärmsten Ländern der Welt. Solidarität bedeutet für mich, dort zu sein, nicht wegzuschauen, zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu finden.

Interview: Eva Tempelmann

04.03.2025