Israel/Palästina: Arbeiten und Leben mit Familie in Zeiten des Krieges

Nicole Zreineh mit ihrem Mann Fares Azar und ihren Kindern Anthony (10) und Maya (8) an Weihnachten 2023. Die Kinder sind in Palästina geboren und sprechen Arabisch, Englisch und Deutsch.

Als ZFD-Fachkraft für strategische Programmentwicklung arbeitet Nicole Zreineh für EcoPeace Middle East in Ramallah, wo sie auch mit ihrer Familie wohnt. Die NGO setzt sich für Umweltschutz und Frieden ein.

Die NGO engagiert sich in Jordanien, Palästina und Israel und wurde 2024 für den Friedensnobelpreis nominiert. Im Interview spricht die Politik- und Islamwissenschaftlerin über Ihren Alltag mit Familie in der Region und über ihre Arbeit.  

Frau Zreineh, Sie leben seit 2010 mit Unterbrechungen in Palästina, Ihre beiden Kinder, zehn und acht Jahre alt, sind dort geboren. Seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 hat sich die Lage vor Ort drastisch verändert. Wie geht es Ihnen?

Nicole Zreineh: Es geht mir gut, ich bin gerade im Büro. Ich arbeite meist hier, außer wenn die israelische Armee in der Nähe ist. Das Büro meiner Partnerorganisation liegt nah am Bet El Checkpoint. Meine Kolleginnen und Kollegen aus Nablus oder Bethlehem kommen wegen der gefährlicheren und längeren Fahrten seltener.  

Sie arbeiten seit bald drei Jahren für EcoPeace Middle East. Was sind Ihre Aufgaben dort?

Nicole Zreineh: EcoPeace Middle East ist eine grenzüberschreitende Organisation mit Büros in Amman, Ramallah und Tel Aviv. Seit 30 Jahren bringt sie jordanische, palästinensische und israelische Umweltschützer zusammen. Wir arbeiten am gemeinsamen Umwelterbe, insbesondere dem Zugang zu sauberem Trinkwasser, das in der Region knapp ist. Vor dem Krieg haben wir Solaranlagen an Schulen installiert, jetzt geht es um Existenzielleres, wie die Einfuhr von tragbaren Entsalzungsgeräten und Wasserpumpen nach Gaza. Ich unterstütze die Organisation im Bereich Monitoring und Evaluation, in der Kommunikation mit Stakeholdern und internationalen Gebern und in der Personalentwicklung des lokalen Teams.

Die NGO EcoPeace Middle East ist Teil eines internationalen Netzwerks und bringt jordanische, palästinensische und israelische Umweltschützer zusammen. ZFD-Fachkraft Nicole Zreineh arbeitet in Palästina, ihre Kollegin Theresa Dreher in Jordanien.
Das Jassir Arafat Museum in Ramallah, 2016 eröffnet, gibt einen Einblick in die palästinensische Geschichte und das Leben des Palästinenserführers Arafat. Das Gebäude liegt neben der Muqataa, dem Hauptquartier der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Bei der Environmental Peacebuilding Conference in Den Haag im Juni 2024 moderierte Nicole Zreineh (rechts) eine Podiumsdiskussion. Neben ihr sitzen Laura Peters und Ken Conca.
Nicole Zreineh (2. v. rechts) stärkt ihre Partnerorganisation im Monitoring und in der Netzwerkarbeit. Bei Konferenzen knüpft sie wichtige Kontakte für die Arbeit der Umweltorganisation. Mit dabei sind Sandra Abu Mohor, Alexander Reiffenstuel und Rana Qaimeri (von links), Geschäftsführerin von EcoPeace Middle East in Ramallah. Die NGO ist aktuell für den Friedensnobelpreis nomiert.
Das Palästinensische Museum ist die zentrale Kultureinrichtung der Palästinensischen Autonomiegebiete in Bir Zait, in den Hügeln nördlich von Ramallah. Es wurde 2016 eröffnet.

Wie hat sich Ihr Leben als Familie in Ramallah während der Krise verändert?

Nicole Zreineh: Es ist nicht einfach, aber Routinen helfen, den Alltag zu meistern. Meine Kinder sind bis nachmittags in der Schule und gehen ihren Aktivitäten nach, Fußball, Gymnastik, Malen, sie besuchen ihre Oma, die in der Nähe wohnt und am Wochenende treffen wir Freunde. Achtsamkeit hat einen enormen Effekt in dieser Zeit. Sie gibt mir die Kraft, mit schwierigen Situationen umzugehen, wie hochbewaffnetem Militär an den Straßen zu sehen oder den Raketenbeschuss aus dem Iran zu erleben. Wir versuchen, die Nachrichten wegen der Kinder aus dem Alltag möglichst herauszuhalten. Dennoch: Als wir bei Kriegsbeginn kurzfristig das Land verließen, um in Deutschland die weiteren Geschehnisse abzuwarten, hatten sie viele Fragen: Wie lange bleiben wir fort? Was ist mit der Familie meines Mannes, der Palästinenser ist? Zwei Monate später kehrten wir mit gemischten Gefühlen zurück. Das Gefühl der Unsicherheit bleibt, aber ich bin überzeugt, dass unser Platz hier ist, bei einer Organisation, die noch immer an den Frieden glaubt.

Welche Einschränkungen und Freiheiten erleben Sie als Familie vor Ort?

Nicole Zreineh:Als Ausländer können wir uns in den palästinensischen Gebieten und Israel relativ frei bewegen, aber seit Beginn des Krieges ist alles anders. In diesem Sommer sind wir nicht an den Strand gefahren, weil es uns zu unsicher war. Auch Ausflüge zum Toten Meer haben wir vermieden, weil die Straßen an Siedlungen vorbeiführen, wo die Gewalt zugenommen hat. Manchmal werden Steine auf Autos geworfen, auch wenn wir aufgrund unseres israelischen Autokennzeichens nicht als Palästinenser wahrgenommen werden. Stattdessen haben wir im Sommer eine Auszeit in Köln gemacht, das hat den Kindern gutgetan. AGIAMONDO unterstützt uns in dieser Hinsicht sehr. Ich schätze vor allem die Entscheidungsfreiheit und das Mitspracherecht im Kontakt mit der ZFD-Koordination und unserem Referenten in Köln während dieses länger dauernden Kriegs. Sicherheit empfindet ja jeder unterschiedlich.  

Können Ihre Kinder denn normal zur Schule gehen?

Nicole Zreineh: Ja, die Schulen sind fast immer offen. Sie geben den Kindern Routine. Meine Kinder besuchen eine amerikanische Schule im Zentrum von Ramallah, wo weder die israelische Armee noch Siedler hineinfahren. Die Schule legt großen Wert auf Resilienz und gutes Miteinander. Sie ist auf alle Eventualitäten vorbereitet, und die Kinder wissen, wo sie sich bei Raketenalarm oder Erdbeben in Sicherheit bringen können.

Die Kinder gehen im Alltag ihren Aktivitäten nach: Freunde treffen, Fußball spielen oder Turnen. Die 8-jährige Maya ist in einer Tanzgruppe, manchmal gibt es Auftritte.
Sohn Anthony erntet Oliven. Die Früchte sind eine wichtige landwirtschaftliche Nutzpflanze in Palästina. Sie werden zu vielen Gerichten gegessen und zu Olivenöl verarbeitet. Zwei Drittel des dort produzierten Öls geht in den Export.
Ramallah wurde im 16. Jahrhundert gegründet. Ihr Name bedeutet so viel wie "Gotteshügel". In der Altstadt von Ramallah gibt es viele enge Gassen und historische Steingebäude.
Die Schule der Kinder in Ramallah in der Westbank ist seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 fast immer offen. "Sie gibt den Kindern Routine", sagt Nicole Zreineh.
Der Al-Manara-Platz mit den fünf steinernen Löwen ist einer der bekanntesten öffentlichen Plätze im Zentrum von Ramallah. Die 25.000-Einwohner-Stadt liegt etwa 15 Kilometer nördlich von Jerusalem und gilt mit den vielen Regierungsgebäuden und internationalen Organisationen als heimliche Hauptstadt des Westjordanlands.

Und was tun Sie für Ihre eigene Resilienz?

Nicole Zreineh: Das regelmäßige Coaching, das AGIAMONDO allen Fachkräften anbietet, ist eine große Unterstützung. Auch in meiner Partnerorganisation haben wir Resilienz-Sitzungen mit einem Psychologen gehabt. Die drei Direktoren von EcoPeace Middle East haben auch Achtsamkeitstrainings mit Atemübungen eingeführt, und wir haben gemeinsam an einem Workshop zu Achtsamkeit in Zypern teilgenommen.

Wie unterstützen Sie und Ihre Kolleg*innen sich gegenseitig in Sachen Sicherheit?

Nicole Zreineh: Sicherheit und schnelle Kommunikation sind essenziell. Bei Übergriffen von Siedlern auf bestimmten Straßen sagen wir die Aktivität ab oder verschieben sie, da ist auch das Büro der ZFD-Koordination sehr flexibel. Wir haben eine Telefonkette und eine WhatsApp-Gruppe, außerdem sind wir in verschiedenen Sicherheitsnetzwerken der GIZ, UN und lokalen Medien, um immer informiert zu sein.

Welche Impulse hat der AGIAMONDO-Sicherheitsworkshop im April 2024 für ZFD-Fachkräfte und ihre Partnerorganisationen gegeben?

Nicole Zreineh: Das Sicherheitstraining für Dienstreisende war sehr hilfreich, vor allem für diejenigen, die regelmäßig zwischen den palästinensischen Gebieten und Israel unterwegs sind. In dem Workshop ging es darum, Sicherheitsrisiken zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um auch in gefährlichen Kontexten die Ruhe zu bewahren. Nach dem Workshop haben wir direkt einen Sicherheitsplan erarbeitet für Besuche in anderen Projekten und Kollegen, die aus anderen Regionen nach Ramallah pendeln.

Text: Eva Tempelmann

06.01.2025