Mit viel Berufserfahrung an der Universität im Südsudan aktiv

In seinem früheren Berufsleben war AGIAMONDO-Fachkraft Dr. Volker Riehl beruflich oft in afrikanischen Ländern engagiert. Seit einem Jahr ist er im Ruhestand, den er jedoch im Februar 2023 unterbrach, um als Dozent für "Frieden und Gerechtigkeit" an der katholischen Uni in Juba/Südsudan zu arbeiten.

Warum haben Sie sich für die Stelle als AGIAMONDO-Fachkraft an der katholischen Hochschule entschieden?

Volker Riehl: Afrikanische Länder und (Entwicklungs-)Politik interessieren mich schon lange. Von 2014 bis 2022 war ich Referent für entwicklungspolitische Lobbyarbeit bei Misereor in Berlin. Davor arbeitete ich als Krankenpfleger in Burundi, als Wissenschaftler in Ghana und mit AGIAMONDO (früher AGEH) in der Entwicklungszusammenarbeit in Uganda und Simbabwe. Besonders wichtig ist mir der Südsudan, den ich vor 25 Jahren kennenlernte. Auf einer Misereor-Dienstreise 2019 bat mich der Leiter der katholischen Universität Juba um Lehrunterstützung im Fach "Development Management". Mein Masterabschluss der London School of Economics und berufliche Erfahrung in diesem Fach machten mir die Entscheidung leicht.

 

In der Nähe der Universität gibt es viele Garküchen an der Straße, die von den Student*innen und Mitarbeiter*innen der Universität gerne besucht werden. Das Essen ist einfach und lecker.
Nach der Vorlesung setzen sich die Student*innen in einem Diskussionsprozess partizipativ mit den Arbeitsthemen auseinander. Volker Riehl (hinten) hört zu und beantwortet Fragen.
Der Campus der Universität von oben, im Hintergrund die Stadt Juba
Rushhour im Zentrum von Juba – die Straßen sind mit Motorrollern, Tuk-Tuks und Lastwagen gefüllt.
Bei der Vorlesung mit einem Beamer können aktuelle Podcasts oder Beitträge aus dem Internet gezeigt werden.
Die Universität hat eine Initiative zum Thema Abfallentsorgung gestartet. Damit soll das Bewusstsein für einen anderen Umgang mit Müll geschärft werden. Im Bild: Student*innen bei einer Clean-up-Aktion auf dem Campus.

Was unterrichten Sie und was hat sich seit Ihrer Ankunft verändert?

Volker Riehl: In der Abteilung "Gerechtigkeit und Frieden" unterrichte ich 30 Student*innen in "Development Theories". In den Abteilungen "Betriebswirtschaftslehre" und "Personalentwicklung" lernen zwei Klassen mit 60 Student*innen "Managing Development". Seit meiner Ankunft finden diese Kurse statt und Examina werden abgelegt. Das fehlende Internet und die veraltete Bibliothek erschweren das Studium. Die Student*innen bekommen deshalb aktuelle Reader und Vorlesungsskripte von mir. Den üblichen Frontalunterricht ergänze ich mit Diskussionsprozessen, Gruppenarbeit und Podcasts. Das wird begrüßt, war aber ein Lern- und Lehrprozess auf beiden Seiten. Mich erfüllt der Job an der Uni. Er ist herausfordernd und lohnenswert.

Was erwarten die Student*innen vom Studium für ihre Zukunft?

Volker Riehl: Von einem Abschluss an der katholischen Universität erhoffen sich Studierende bessere Chancen auf einen qualifizierten, gut bezahlten Job in kirchlichen Institutionen, dem Staat oder einer NGO. Das Studium mit dem Fach "Gerechtigkeit und Frieden" ist nicht nur im kirchlichen Kontext nutzbar. Es erweitert den gängigen akademischen Kanon mit zusätzlichem Wissen für allgemeine Entwicklungs- und Daseinsfragen.

Sind ethnische Fragen unter Studierenden von Bedeutung?

Volker Riehl: Ethnizität darf an der Uni nicht zum Thema gemacht und besprochen werden. Wer dem zuwiderhandelt, riskiert einen Uni-Verweis. Trotz des Tabus ist die ethnische Wahrnehmung natürlich präsent. Die Uni-Leitung lässt nur Englisch als Sprache auf dem Campus zu.

 

Für die Student*innen gibt es keine Mensa. Aber die Mitarbeiter*innen der Universität treffen sich mittags am "Weisheitsbaum", um ein einfaches südsudanesisches Essen einzunehmen. Meistens ist es Maisbrei mit Okraschoten in Sauce. Der Treffpunkt ist zudem Info- und Wissensbörse, sowie Forum für Diskussionen, die mit viel Engagement geführt werden.
Nach heftigen Regenschauern sieht das Flugfeld in Juba fast wie ein See aus.
Aufgrund von Raummangel weichen Student*innen zum Lernen auch auf Werkstatträume der Universität aus.
Nach heftigen Regenschauern sind die Straßen Jubas ein einziges Flusssystem, weil es kaum Drainagen für den Abfluss gibt. Das Wasser fließt oberirdisch zum Nil. Moskitos und Mikroben vermehren sich aufgrund des stehenden Wassers stark. Damit steigt das Risiko, Malaria und andere hygienebedingte Krankheiten zu bekommen.
Die Student*innen schätzen inzwischen die didaktischen Erweiterungen. Themen in Kleingruppen zu erarbeiten und die individuellen Arbeitsergebnisse später für alle im Plenum vorzustellen, macht macht Freude und ist bereichernd.
Im vierten Jahr organisieren die Student*innen zum Semesterende eine Abschlussparty. Im November werden sie graduiert und verlassen danach die Hochschule.

Wie ist die Situation in Juba und wie leben Sie dort?

Volker Riehl: Das Leben ist sehr einfach und von Sicherheitsaspekten bestimmt, wie der Ankunft zuhause bei Tageslicht oder Fahrten über Land mit bewaffneter Begleitung. Jetzt, während der Regenzeit, entstehen wegen fehlender Abwasser- und Abfallentsorgung unpassierbare, stinkende Flüsse mit Müll in den Straßen. Krankheiten nehmen dementsprechend zu.
Mein persönliches Leben ist sehr gesund:  Bettruhe von 20:00 Uhr bis 4:00 Uhr, dann gleich Arbeiten ist optimal. Sport hält mich fit. Der Austausch mit Kolleg*innen und Freund*innen in Juba und per Internet – wenn möglich – mit meiner Frau und Freunden in der Ferne ist wichtig. Als Hobbys pflege ich Vogelkunde, Schreiben und Lesen. Diese Strukturen sorgen für Stabilität in dieser fragilen und angespannten Situation.

Was begeistert Sie an den Menschen in Südsudan?

Volker Riehl: Die Menschen versuchen nach 50 Jahren Krieg ein halbwegs normales Leben zu führen. Mich beeindruckt das Interesse vieler Student*innen an Informationen über eine Welt, die sie nur aus dem Internet kennen. Sie wollen von mir mehr über das Denken und Leben in westlichen Ländern erfahren.

Wie gehen Sie mit Krisensituationen und Herausforderungen um?

Volker Riehl: In der kirchlichen personellen Entwicklungszusammenarbeit unterstützen sich Fachkräfte und Partner gegenseitig. Besonders im Südsudan kann ich mich in Krisen auf meine Partnerorganisation verlassen. Zudem helfen die oben genannten Strukturen bei der Erhaltung der geistigen Gesundheit. Aktuell sind wir wegen der Unruhen im Nachbarland Sudan in Sorge. Wir hoffen, dass sie nicht auf Südsudan übergreifen.

01.06.2023

Interview: Ursula Radermacher