Langjährige Berufserfahrung schafft Vorteile

Besuch in der Oblast Mykolayiv, wo ein gemeinsames Wiederaufbauprojekt mit Caritas Ukraine geplant ist. Yevheniia Pushkinska (links), Projektleiterin Caritas Ukraine, und Stefan Recker sprechen mit zwei Dorfbewohnerinnen.

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Stefan Recker in der Entwicklungszusammenarbeit weltweit. Aktuell begleitet er als AGIAMONDO-Fachkraft im Auftrag von Caritas international Wiederaufbauprojekte der Caritas in der Ukraine.

 

Stefan Reckers Berufsweg in die Entwicklungszusammenarbeit war einem Zufall zu verdanken. "Ich bin ein Kind des Kalten Krieges und sollte zum Wehrdienst eingezogen werden", berichtet er. Er wollte weder zur Bundeswehr noch verweigern. Auf Anraten eines Bekannten machte er beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED), heute GIZ, einen Freiwilligendienst. Recker unterstützte ein Infrastrukturprojekt in der Zentralafrikanischen Republik. Es folgten verschiedene Länder weltweit. Am längsten war er in Afghanistan tätig, wo er unter anderem nach dem Umsturz 2021 bis 2023 das Büro von Caritas international leitete.

Eine Riesenmotivation: das Leben vieler Menschen verbessern

"Das Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit kann tatsächlich für Menschen in vielerlei Hinsicht einen Unterschied machen", erklärt Recker zu seiner Motivation. Als Beispiel nennt er ein Wasserprogramm der Welthungerhilfe in Afghanistan, das er im Bereich Brunnenbau unterstützte. Eine Vergleichsstudie vor und nach dem Projekt zeigte, dass die Kindersterblichkeit dort - ein wichtiger Indikator - um 30 Prozent gesunken war. "So etwas ist eine Riesenmotivation", sagt Recker. Daneben gibt es persönliche Gründe wie das Interesse an anderen Ländern und Kulturen.

Das Team Schulbau mit Stefan Recker (vorne) der Caritas Schweiz in Haiti ist auf dem Weg zu einer der Baustellen in den Bergen Haitis.
In einem Lager für Binnenflüchtlinge bei Kabul. Stefan Recker (2. v. rechts) ist dort mit der Partnerorganisation Terre des Hommes unterwegs.
Besuch eines Wasserprojekt in der afghanischen Provinz Daykundi. Stefan Recker diskutiert mit den Dorfbewohnerinnen über die Brunnennutzung.
Zum letzten Mal wurde der Internationale Frauentag mit dem Team von Caritas international in Kabul gefeiert. Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war dies nicht mehr möglich.
Besuch in der Oblast Mykolayiv, wo ein gemeinsames Wiederaufbauprojekt mit Caritas Ukraine geplant ist.
Besuch einer Delegation aus Deutschland im Frühjahr 2024 in Lwiw

Die 61-jährige Bonner Fachkraft ist nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit sondern auch in der Nothilfe und im Consulting aktiv. Zudem engagiert er sich in der Interessensvertretung bei AGIAMONDO, wo er andere Fachkräfte bei Fragen und Problemen unterstützt. Der gelernte Bauarbeiter ist Realist, kein Träumer oder Visionär. "Ich backe lieber kleinere Brötchen, als nur auf das große Ganze zu schauen", sagt Recker. "Und versuche, das gut zu machen."

Nothilfe, Gesundheits- und Frauenprojekte in Afghanistan

In seinen neun Jahren in Afghanistan hat das von ihm geführte Team das Portfolio der Caritas kontinuierlich erweitert – von Nothilfe über psychosoziale Unterstützung bis hin zu Gesundheits- und Frauenprojekten – und ein breites Netzwerk lokaler und überregionaler Partner geknüpft. "Wir als Team haben da schon einiges geschafft," findet Recker. Er betont, dass es nicht er allein, sondern das gesamte Team ermöglicht hat. Unter anderem ist ihnen gelungen, wiederholt Mittel aus dem humanitären Fonds von OCHA, der Nothilfeabteilung der Vereinten Nationen, zu akquirieren. "Damit konnten wir uns als Caritas in Afghanistan, aber auch weltweit gut positionieren", so Recker. Denn eine OCHA-Finanzierung gelte bei anderen Gebern als Indikator dafür, dass eine Organisation gut arbeitet.

Berufliche Erfahrungen in neuen Jobs nutzen

Die Erfahrungen und Fähigkeiten, die er an verschiedenen Standorten gesammelt hat, nimmt er mit in neue Arbeitsfelder. So habe er vorsichtiges, diplomatisches Vorgehen in Afghanistan gelernt und in Haiti darauf zurückgreifen können, um erfolgreich arbeiten zu können. "Haiti ist sehr komplex und besonders Weiße müssen sehr umsichtig auftreten", sagt er. Obwohl die Länder seiner Mitarbeit sehr unterschiedlich waren, gelte überall, "erst mal zu schauen, wie die Arbeit dort funktioniert und zuzuhören, ohne den Partnern gleich Lösungen aufzudrängen."

In den Vorbereitungsseminaren und in vertiefenden Seminaren zwischen den Fachkraftverträgen erwarb Recker Wissen zu Sicherheit, Ernährung, Wasser- und Sanitärversorgung, Personalführung und lernte Sprachen wie Russisch, worauf er stolz ist. Gelernt hat er aber auch aus Fehlern. "Beim ersten Mal in Afghanistan wusste ich zu wenig von dem Land und hätte mich stärker mit der Situation beschäftigen sollen," räumt Recker ein.

Wiederaufbau in der Ukraine unterstützen

Seit November 2023 ist Stefan Recker für Caritas international als Fachkraft für Wiederaufbau im ukrainischen Lwiw tätig, doch in ein Projektgebiet im Land gereist ist er erst im Juni 2024 für eine Woche. Denn wegen des Krieges gelten strenge Sicherheitsvorschriften für das Team. Die meisten Partner sitzen zudem im 500 Kilometer entfernten Kyjiw. Daher finde der Austausch vor allem online statt.

Die Arbeit in der Ukraine sei sehr unterschiedlich im Vergleich zu seinen vorherigen Fachkraftengagements in anderen Ländern. Es sei andere Art der Kooperation, weil die Partner in der Ukraine innerhalb zweier etablierter Caritas-Strukturen – die der römisch-katholischen und die der griechisch-katholischen Kirche – agieren. Die AGIAMONDO-Fachkraft berät die ukrainischen Caritasorganisationen auf nationaler Ebene bei der Projektentwicklung, etwa zu Vergaberegeln, Anträgen oder Zielgruppen. Die eigentliche Umsetzung liege dann aber in der Verantwortung der lokalen Caritas-Partnerorganisation. Geplant ist zunächst ein kleineres Bauprojekt in der Region Mykolajiw, bei dem durch russische Angriffe beschädigte Häuser renoviert werden. Später soll ein größeres Projekt mit Drittmitteln folgen.

In Afghanistan habe seine Arbeit aber mehr bewegen können, meint Recker. "So etwas würde ich mir für die nächsten Jahre vor der Rente wünschen", sagt er. Genug Erfahrung dafür hat er.

16.09.2024

Text: Angelika Söhne