Interview mit Gertrud Casel zu AGIAMONDOs Safeguarding-Policy: Gewalt und Machtmissbrauch weltweit "verlernen"

Gertrud Casel ist Ombudsfrau im Rahmen der Umsetzung der Safeguarding-Policy. Sie ist Ansprechpartnerin, wenn Personen der Leitungsebene oder des Safeguarding-Kompetenzteams von AGIAMONDO in Verdachtsfälle involviert sind oder Betroffene Befürchtungen haben, dass diese Personen befangen sein könnten.

Seit einem Jahr ist Gertrud Casel Ombudsfrau im Rahmen der Umsetzung der Safeguarding-Policy von AGIAMONDO. Im Interview spricht sie darüber, wie sie diese Aufgabe versteht, und wo sie Herausforderungen sieht.

Warum engagieren Sie sich in Sachen Safeguarding?

Gertrud Casel: Ich sehe Safeguarding als Teil eines notwendigen weltweiten Lernprozesses, Gewalt und Machtmissbrauch zu "verlernen". Organisationen, staatliche wie nichtstaatliche, auch kirchliche, haben dabei besondere Möglichkeiten, aber auch die Aufgabe, mit ihrem Regelwerk einen gewaltfreien respektvollen Umgang zu fördern und Standards zu setzen. Es geht um Glaubwürdigkeit. Was wir in der Entwicklungszusammenarbeit erreichen wollen, müssen wir auch selbst praktizieren. Es geht um Vertrauen und Verlässlichkeit nach innen und außen.

Eine Safeguarding-Policy umzusetzen, ist für mich wie eine Flagge zu hissen, die signalisiert: Wir kümmern uns mit den Maßnahmen, die uns möglich sind, darum, dass wir ein sicheres Arbeitsumfeld haben, dass wir gewaltfrei zusammenarbeiten und keine Form von sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch dulden. Wir sind eine Organisation, in der solche Missstände angesprochen werden können und Fehlverhalten Konsequenzen hat. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass sowas nicht vorkommt. Insofern sind die präventiven Maßnahmen zur Sensibilisierung, vor allem auch die Enttabuisierung von Übergriffen oder Belästigung, wichtige Teile der Strategie.

Wie kam es dazu, dass Sie Ombudsfrau wurden?

Gertrud Casel: Als Geschäftsführerin von Justitia et Pax war ich lange Jahre in der Mitgliederversammlung von AGIAMONDO und kenne die Personelle Zusammenarbeit daher gut. Schon Anfang der 2000er-Jahre haben wir im Rahmen der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, die kirchlichen Hilfswerke ermutigt, offensiver Präventionsstrategien gegen Machtmissbrauch, hier zunächst gegen Korruption, zu entwickeln. Später wurden in entsprechenden Leitlinien auch die Punkte sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch aufgegriffen. Für die Safeguarding-Strategie von AGIAMONDO war es wichtig, eine unabhängige externe erfahrene Person zu finden, die von Betroffenen vertrauensvoll angesprochen werden kann. Und da ich nun schon eine Weile im Ruhestand bin, extern und unabhängig, hat mich die Geschäftsführerin von AGIAMONDO gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Amt zu übernehmen.

Was ist eigentlich Ihre Rolle als Ombudsfrau?

Gertrud Casel: Ich bin Ansprechpartnerin, wenn Personen der Leitungsebene oder des Safeguarding-Kompetenzteams von AGIAMONDO in Verdachtsfälle involviert sind oder Betroffene Befürchtungen haben, dass diese Personen befangen sein könnten. Sie können dann auf mich als neutrale Person zugehen. Damit soll verhindert werden, dass aufgrund von Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen die Aufklärung von Verdachtsfällen erschwert wird. Und ich stehe dem Safeguarding-Team als Beraterin für die Umsetzung und Weiterentwicklung der Safeguarding-Policy zur Verfügung.

 

Wissenswert

Safeguarding bei AGIAMONDO: Im Rahmen der Personellen Zusammenarbeit hat AGIAMONDO besondere Verantwortung dafür, dass Mitarbeiter*innen, Fachkräfte und Berater*innen auf Zeit sicher arbeiten können und ihre Persönlichkeitsrechte geschützt sind. Jeder und jede kann von Gewalt in seinem/ihrem Arbeitsumfeld betroffen sein. Mit unserer Safeguarding-Policy möchten wir für das Thema sensibilisieren und gleichzeitig einen Rahmen und klare Regeln vorgeben, die von Gewalt betroffenen Personen Sicherheit und Orientierung geben und potenzielle Täter*innen abschrecken. Indem wir klar definieren, wer wofür verantwortlich ist, schaffen wir ein Klima der Offenheit, in dem das Thema transparent und zum Wohl aller Personengruppen, die in unsere Arbeit involviert sind, gehandhabt wird. Für alle Personengruppen gibt es im Rahmen der Strategie präventive Maßnahmen. Dazu gehören Standards und Gesprächsgestaltung bei der Personalauswahl genauso wie Trainings zur Sensibilisierung oder Kommunikationsrichtlinien. Weiterhin definiert die Policy, wie mögliche Verdachtsfälle bearbeitet werden, sodass Betroffene in jeder Hinsicht möglichst gut unterstützt und voreilige Schlüsse vermieden werden. Unseren Partnerorganisationen möchten wir damit deutlich machen, was uns im Rahmen der Zusammenarbeit wichtig ist, und mit ihnen darüber ins Gespräch gehen.

Wie erleben Sie die Arbeit von AGIAMONDO zu Safeguarding?

Gertrud Casel: In der Zusammenarbeit mit dem Kompetenzteam Safeguarding und in den Fallmanagement-Teams erlebe ich eine hohe Motivation. Wir arbeiten hier in einem anspruchsvollen Bereich, in dem sich viele über ihre normalen Aufgaben hinaus engagieren. Ich bewundere, was da trotz aller Engpässe geleistet wird. Und AGIAMONDO hat früh die Kooperation und den Austausch mit anderen Organisationen gesucht, die im Bereich Safeguarding schon viele Erfahrungen gesammelt haben, z. B. die Kindernothilfe. Das schätze ich sehr.

Wo sehen Sie Herausforderungen und wo Perspektiven?

Gertrud Casel: Ein zentraler und schwieriger Teil ist die Umsetzung der Strategie mit den Partnerorganisationen. Hier müssen wir uns fragen, wie können wir in anderen kulturellen Kontexten ein sicheres Arbeiten möglich machen und die Partner motivieren, sich mit AGIAMONDO für dieses sinnvolle und notwendige Ziel einzusetzen. Wo können wir vor Ort an Rechts- und Unrechtsempfinden anknüpfen, wenn es um Gewalt geht, etwa als Strafe in der Kindererziehung.

Menschenrechte sind universal, ihre Aneignung und Menschenrechtsbildung geschieht kontextuell. Wichtig ist, dass wir uns bei der Definition von Gewalt in ihren verschiedenen Formen auf einen internationalen Rahmen beziehen können, z. B. die UN-Kinderrechtskonvention oder auch die Konvention C190 der International Labour Organisation, ILO, das "Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt", das 2019 nach jahrelangem Ringen beschlossen wurde. Hausangestellte
z. B. haben weltweit leider reichlich Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, aber auch mit Wegen, sich dagegen zu wehren. In Unterstützung v. a. des International Domestic Workers Network, IDWN, war es eine AGIAMONDO-Fachkraft, Frau Dr. Hildegard Hagemann, die mit Kolping International bei der ILO an der Erarbeitung dieser Konvention beteiligt war. Wir knüpfen an Errungenschaften diskriminierter Gruppen weltweit an, wenn wir uns mit den Partnerorganisationen gegen Gewalt und Machtmissbrauch wehren. Das ist wichtig zu betonen im Zuge der Debatte um Dekolonialisierung.

 

Weitere Informationen und Ansprechpartnerinnen:

Infos zur Safeguarding-Policy AGIAMONDO/Safeguarding

Die Safeguarding-Beauftragte und Ansprechpartnerin Sarah Altmann  ist per Mail sarah.altmann@agiamondo.org oder Telefon 0221-8896130 zu erreichen.

Die Ombudsfrau Gertrud Casel können Sie unter obfrau@agiamondo.org kontaktieren.

 

30.06.2023

Text: Katharina Engels

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2023. Zum Download der Gesamtausgabe.