Netzwerk der Toleranz: die jordanische NGO URI MENA koordiniert über 90 interreligiöse Initiativen

Interreligiöser Dialog findet bei URI MENA zu Themen wie Sport, Umweltschutz oder Frauen-Empowerment statt. Mit kreativen Begegnungsangeboten werden Akzeptanzgrenzen auf die Probe gestellt, Toleranz gestärkt und manchmal auch Tabus gebrochen.

 

Rund 35 junge Menschen sitzen auf rot-schwarz gemusterten Beduinen-Kissen im Schatten eines großen Zelts und hören aufmerksam zu, wie einer von ihnen erzählt. Draußen brennt die Sonne, in der Ferne lassen sich die Dünen der jordanischen Wüste "Wadi Rum" erkennen. Sie alle kommen aus unterschiedlichen Ländern – aus Tunesien, dem Jemen, dem Irak. Viele von ihnen gehören zu religiösen Minderheiten und berichten heute von ihren Erlebnissen. So wie Fahris, der aus seiner Heimat im Irak fliehen musste, weil er zu der vielerorts verfolgten und diskriminierten Religionsgemeinschaft der Jesiden gehört.

Stereotypen entgegenwirken

Die "United Religions Initiative-Middle East & North Africa" (URI MENA) setzt sich von Jordanien aus in 14 Ländern im Nahen Osten und in Nordafrika für interreligiöse Begegnungen ein. Das "Youth Camp", das Zusammentreffen in der Wüste, ist eines von vielen Projekten, bei denen URI MENA Menschen mit unterschiedlichen Ideen, Herkünften und Religionen zusammenbringt. Nicht nur Fahris stellt kulturelle Bräuche und Traditionen aus seinem Glauben vor. An diesem Nachmittag im Wadi Rum sprechen auch Angehörige der Religionsgemeinschaften der Schiiten, Sunniten, Wahhabiten und Christen.

"Stereotypen entgegenwirken, einem Gesicht, einem Menschen jenseits bestimmter Vorurteile begegnen – das ist der Schlüssel, um Feindbilder abzubauen und Weltsichten nachhaltig zu verändern", fasst Mamoun Khreisat, Leiter des Regionalbüros von URI MENA in Amman, das Ziel interreligiöser Begegnungen zusammen.

 

Kunst des Austauschs: Während eines Workshops von URI MENA malen die Teilnehmer*innen Symbole und Elemente, die für sie von Bedeutung sind, auf ein gemeinsames Plakat.
Um der Desertifikation entgegenzuwirken, pflanzen die jungen Erwachsenen des Youth Camps im Wadi Rum Baumsetzlinge in einer von URI MENA organisierten Gemeinschaftsaktion.

ZFD-Fachkraft Laura Schwiertz unterstützt Kommunikation

URI MENA ist seit zwei Jahren eine Partnerorganisation von AGIAMONDO im Zivilen Friedensdienst. Genauso lang unterstützt Fachkraft Laura Schwiertz die Kolleg*innen in Amman. Die 33-jährige Journalistin und Friedensexpertin berät das Netzwerk bei der Planung von neuen Begegnungsangeboten und zu konfliktsensibler Kommunikation. "In jedem Land agieren freie, unabhängige Mitgliedsgruppen, die zu unterschiedlichen Themen arbeiten", erklärt Schwiertz. Aktionsgebiete seien etwa Frauen-Empowerment, Kunst, Umweltschutz oder Friedensförderung. Alle Projekte werden in einem interreligiösen Rahmen umgesetzt, denn Voraussetzung für die Aufnahme von Initiativen in das Netzwerk von URI MENA ist, dass sie mindestens drei verschiedene Glaubensrichtungen repräsentieren.

Für eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit

Zu den Aufgaben von URI MENA gehört unter anderem das Coaching neuer Mitgliedsgruppen in Grundlagen des interreligiösen Dialogs. In entsprechenden Beratungseinheiten wird auf das Konzept des "active listening" eingegangen und auch darauf, wie man Fragen ohne Bewertung oder Vorurteile stellen kann.

Daneben lädt URI MENA die Mitgliedsgruppen jeden zweiten Samstag online zu einem Kultur-Café ein. An dem Austausch nehmen rund 15 Mitglieder aus der gesamten MENA-Region teil. Nach einer kurzen Einführung zum jeweiligen Fokus des Treffens werden die Teilnehmenden der Online-Session aktiv, tragen Berichte vor, stellen Fragen. Die Themen variieren von professionellen Schreib- oder Bewerbungstrainings bis hin zu Gesprächen über unterschiedliche Lebensweisen oder Ernährungsgewohnheiten. "Interreligiöser Dialog muss nicht unbedingt religiöse Themen beinhalten", sagt Regionalleiter Mamoun Khreisat. Wichtig sei, dass alle Teilnehmenden gleichermaßen gehört werden und niemand aufgrund seiner Herkunft weniger ernst genommen werde. Ganz nach dem ersten Grundsatz der URI-Charta: "We unite to build cultures of peace and justice".

 

Wissenswert

URI MENA ist ein regionales Netzwerk, das sich in 14 Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) für Frieden und Gerechtigkeit einsetzt, indem es Menschen dazu bringt, religiöse und kulturelle Unterschiede zu überbrücken und zum Wohle ihrer Gemeinschaften und der Welt zusammenzuarbeiten. Die Umsetzung dieses Auftrags erfolgt durch das Engagement lokaler und globaler Initiativen sowie von rund 90 unabhängigen Mitgliedsgruppen, die sich unter anderem in den Bereichen Bildung, Jugendförderung, Konfliktlösung und Versöhnung, ökologische Nachhaltigkeit sowie Frauen- und Menschenrechte engagieren. Zu URI MENAs Hauptaktivitäten gehören die Organisation regionaler Konferenzen und Schulungsworkshops, Kapazitätsaufbau von Jugendlichen und Gemeinden, ehrenamtliche und gemeinnützige Arbeit und interkultureller Austausch. Seit 2021 ist URI MENA Partnerorganisation des ZFD bei AGIAMONDO.

Erfahrungsberichte im URI MENA-Magazin

Fachkraft Laura Schwiertz steht in engem Kontakt mit allen Mitgliedsgruppen in Jordanien und organisiert deren Kommunikation. Besonders die kleineren Mitglieder unterstützt sie bei der Veranstaltungsplanung und Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem begleitet Schwiertz die Herausgabe des URI MENA-Magazins, in dem einmal im Jahr Kurzgeschichten aus dem Arbeitsalltag der Mitgliedsgruppen veröffentlicht werden. In den Texten geht es um die Projekte und darum, was die Arbeit in der Zivilgesellschaft verändern konnte. Neben logistischen Herausforderungen, wie der Übersetzung aus verschiedenen Arabisch-Dialekten ins Englische, muss die Heftproduktion sensibel betreut werden. Aufgrund des Konfliktpotenzials zwischen einigen Mitgliedsländern gibt es viele sicherheitspolitische Aspekte zu beachten. "Manche Autor*innen bekämen in ihren Heimatländern große Schwierigkeiten, wenn sie gemeinsam mit anderen, etwa andersgläubigen oder regimekritischen Autor*innen im selben Magazin namentlich genannt werden", erläutert Schwiertz.

Gemeinsam unterschiedlich

Die Zusammenarbeit funktioniere trotzdem gut und sei "eine Art interreligiöser Austausch in sich selbst", so Schwiertz. Die Autor*innen werden in das Layout ebenso eingebunden wie in die Schwerpunktsetzung und Betitelung des Magazins. Auch Mona Mohamed Saleh, ebenfalls Teilnehmerin des Youth Camps im Wadi Rum, hat einen Artikel geschrieben. So kann sie anderen erzählen, was sie für sich selbst gelernt hat: Mit inneren Widerständen umzugehen, sachlich zu kommentieren, nicht persönlich anzugreifen und verschiedene Meinungen zu akzeptieren.

30.06.2023

Text: Laura Schwiertz

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2023. Zum Download der Gesamtausgabe.