Immer wieder zusammen aufbrechen

Gemeinsam unterwegs, eine Gruppe von Freiwilligen, die in Bolivien ein Freiwilliges Internationales Jahr (FIJ) verbringen.

Seit 30 Jahren steht die „FID–Fachstelle internationale Freiwilligendienste“ Trägerorganisationen, die Freiwillige entsenden und aufnehmen, mit Service, Beratung und Vernetzung zur Seite. Ein Freiwilligendienst im Ausland soll vor allem eines sein – ein Lerndienst. Um das zu ermöglichen, müssen Trägerorganisationen und ihre Partner, aber auch die Freiwilligen selbst, vieles in Bewegung setzen. Die FID – Fachstelle internationale Freiwilligendienste berät, vernetzt und stärkt sie dabei. Für die Herausforderungen im Wandel der Zeit folgt sie einem bewährten Kompass: Der Überzeugung, dass solidarischer Austausch immer der beste Weg zum Ziel ist.

 

Auf Vanessa Krügers Bildschirm ploppt ein Videofenster nach dem anderen auf. Es ist kurz nach neun Uhr morgens, fünfzehn Teilnehmer*innen der FID-Trägerfortbildung haben sich schon zugeschaltet. Plopp, ein weiteres Fenster öffnet sich, plopp, und noch eines. Die FID-Koordinatorin rückt ihren Laptop zurecht. „Wir warten noch ein bisschen“, stimmt sie sich mit ihrer Kollegin Julia Meissner ab. Der Tagesablauf für den heutigen digitalen Workshop sieht gleich eine Begrüßungsrunde vor. In den Gesichtern der virtuell Anwesenden zeigt sich aber jetzt schon Freude des Wiedersehens. Grüße werden getauscht, einige winken sich zu. Man merkt: Die Gemeinschaft kennt sich gut.

Ein Portfolio für den Freiwilligendienst

Tatsächlich gib es bei der Fachstelle internationale Freiwilligendienste von AGIAMONDO, kurz „FID“ genannt, viele Möglichkeiten, bei denen sich unterschiedliche, im Bereich Freiwilligendienst involvierte Akteure begegnen können. Regelmäßige Trägerfortbildungen, Begleitseminare für Freiwillige oder Partnerworkshops bieten Räume für Informationsaustausch und Weiterbildung.

Darüber hinaus berät die FID einen festen Kreis von Trägern zu Qualitätsfragen, vernetzt sie auf gemeinsamen Konferenzen und vertritt ihre Interessen gegenüber Entscheidungsträger*innen. Das Rundum-Paket zur sozialen Absicherung von Freiwilligen und ihre Unterstützung im Krisenfall ist sogar ein Angebot der ersten Stunde. Alle Leistungen dienen dem gleichen gemeinsamen Ziel: Junge Menschen in gute Strukturen zu bringen, damit sie eine positive Lernerfahrung als Freiwillige im Ausland machen können.

Der Gedanke, ein Jahr von zu Hause weg zu sein, kann auch Unsicherheiten erzeugen. Im FID-Begleitseminar bereiten sich die Freiwilligen darauf vor.
Die FID veranstaltet im Rahmen ihres Versicherungsangebots den „sozialen Sicherheitstag“ zur Beratung und Vernetzung der beteiligten Akteure.
Die FID bietet auch Begleitseminare an, die den Freiwilligen nach ihrer Rückkehr Orientierung geben.
Stefan Hartmann, Leiter von „Leben und Lernen in Solidarität und Gemeinschaft e.V.“, schätzt an der FID, dass sie den Austausch unter den Trägern fördert.

Austausch gestalten

„Einer der wichtigsten Bausteine hierfür ist der konstruktive Austausch zwischen den Beteiligten“, sagt Vanessa Krüger. Mittlerweile sind die Teilnehmer*innen im virtuellen Seminarraum vollzählig, der Tagesablauf wird besprochen. Das Thema Antirassismus im entwicklungspolitischen Freiwilligendienst steht auf dem Programm. „Das Seminar soll den Trägern Anregung geben, wie sie ihre Freiwilligen für strukturelle Diskriminierung sensibilisieren und einen reflektierten Umgang damit fördern können“, sagt die FID-Koordinatorin.

Es ist ein Thema, das vielen Trägerorganisationen im Sinne einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe im Freiwilligendienst wichtig ist. Um ihren Wissens- und Erfahrungsaustausch zu stärken, hat die FID die Fortbildung auf Wunsch der Träger im Qualitätsverbund organisiert.

Den Bedarf im Blick

Impulse aufgreifen, Eigenverantwortung fördern, die Träger dort unterstützen, wo sie Unterstützung benötigen – diese im Fachjargon "Subsidiaritätsprinzip" genannte Herangehensweise ist seit 30 Jahren etabliert. „Es geht darum zu schauen: Was brauchen die Organisationen, die Freiwillige entsenden, um gute Angebote bereitzustellen? Was muss getan werden, damit die jungen Leute sicher ausreisen können, damit sie vor Ort gut begleitet sind und am Schluss mit einer Lebenserfahrung wiederkommen, die sie und ihr Umfeld bereichert?“, sagt FID-Leiterin Barbara Kerime. Seit 2015 ist sie für die Gesamtkoordination der Fachstelle zuständig. Die meisten Träger und ihre Mitarbeitenden kennt sie gut und bereits seit vielen Jahren. Insgesamt 60 Organisationen gehören zum erweiterten Träger-Netzwerk, das kontinuierlich mit der FID kooperiert.

Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern. „Manche Träger haben sehr viel Erfahrung und entsenden junge Leute schon seit 30 Jahren, andere erst seit Kurzem“, sagt Kerime. Einige vermittelten mehrere hundert Freiwillige pro Jahr, andere fünf oder sieben. Auch der Umfang des Vorbereitungs- und Begleitangebots unterscheide sich. Je nach dem, was gebraucht wird, bietet die FID Lösungen an.

Von der Service- zur Fachstelle

In den Anfangsjahren handelte es sich dabei hauptsächlich um Seminare für Freiwillige zur Vorbereitung auf ihren sozialen Dienst im Ausland oder nach ihrer Rückkehr, um sie bei der Neuorientierung zu unterstützen. „Nicht alle Träger haben die Mittel und Möglichkeiten, um diese Angebote selbst zu organisieren“, erklärt Kerime. Deshalb baute die FID ein entsprechendes Seminarprogramm auf, das Träger zur professionellen Begleitung für ihre Freiwilligen nutzen konnten. Daneben stellte die FID in Kooperation mit der DR-WALTER GmbH soziale Absicherung in Form von Auslandsversicherungen und einem Notfallmanagement zur Verfügung, um mögliche Krisenfälle vor Ort schnell und unbürokratisch zu regeln.

Mit der Einführung der staatlichen Förderprogramme „weltwärts“ 2008 und „IJFD“ (Interna-
tionaler Jugendfreiwilligendienst) 2011 änderte sich dieser Fokus zunehmend. Die Finanzierung der Freiwilligendienste wurde einfacher. Jedoch mussten die Träger hierfür zahlreiche Kriterien erfüllen. Für die FID bekam die Qualitätsentwicklung eine ganz neue Dynamik. Die politische Interessenvertretung in enger Kooperation mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) kam als weitere Aufgabe hinzu. Dadurch wird zwar mittlerweile ein großer Teil ihrer Kapazitäten gebunden, aber es eröffneten sich auch neue Wege des Austauschs.
 

Wissenswert

Mit Sicherheit freiwillig. Es ist ein Angebot der ersten Stunde: Mit einer Mitgliedschaft im FID Gruppenvertrag erhalten Träger seit 1991 die Möglichkeit, ihren Freiwilligen ein Versicherungspaket anzubieten, das auf ihre besonderen Bedarfe im Ausland zugeschnitten ist. Die  entsprechende Krankenversicherung, Unfall- und Haftpflichtversicherung wird über die DR-WALTER GmbH vermittelt, mit der die FID bereits viele Jahre kooperiert. 

Für medizinische Notfälle und akute Krisen stehen weitere Leistungen zur Verfügung: eine 24/7-Servicenummer, schnelle Kostendeckung sowie auch eine Absicherung für den medizinischen Rücktransport. Bereitgestellt werden die Leistungen in Kooperation mit dem weltweit operierenden medizinischen Dienst MD Medicus, der auch an abgelegenen Orten notwendige Hilfe gewährleistet.

Um für Freiwillige, aber auch für Träger, in Krisensituationen sowie persönlich ansprechbar zu sein, stellt die FID zudem ein Notfallhandy zur Verfügung, das rund um die Uhr erreichbar ist.

Partizipation auf Augenhöhe

Für Stefan Hartmann vom Pallottinischen Freiwilligendienst „Leben und Lernen in Solidarität und Gemeinschaft e. V.“ hat die FID in dieser Phase der staatlichen Umgestaltung ihre Rolle als Vermittlerin und Anwältin für einen sozialen Freiwilligendienst im Sinne christlich-sozialer Motivation kontinuierlich wahrgenommen und seither viel bewegt. 

„Viele der neuen Richtlinien, die durch 'weltwärts' eingeführt wurden, gingen an unseren pädagogischen Inhalten ebenso vorbei wie an den Bedürfnissen unserer Partner, die im Ausland Freiwillige aufnehmen“, erinnert sich Hartmann. Seine Trägerorganisation vertrat seit Jahrzehnten einen Freiwilligendienst, für den das Miteinander auf Augenhöhe besonderen Stellenwert besaß. Die neuen staatlichen Kriterien, an die eine Förderung gebunden war, fokussierten aus seiner Sicht aber eher auf Hilfe. „Durch die FID-Vernetzungstreffen konnten wir uns mit anderen Trägern dazu austauschen, uns kollegial beraten und miteinander agieren“, sagt Stefan Hartmann. Diese Möglichkeit der Partizipation ist für ihn bis heute ein großer Gewinn und eine wesentliche Leistung der FID.

(K)eine Frage der Qualität

Mit den formalen Veränderungen einher ging für die FID und deren Träger und Partner immer auch die Frage, was Qualität für sie eigentlich bedeutet und welche Werte für einen Freiwilligendienst wichtig sind. Administrative Standards und Vorgaben der Förderprogramme zu erfüllen, war das eine. Die Inhalte zu definieren oder im Wandel der Zeit zu bewahren, das andere. Mit der Gründung der Qualitätsnetzwerke Qualitätsverbund FID und Zentrale Stelle IJFD gab die FID diesen Bedarfen Raum – für den Austausch und die Beratung der Träger, aber auch für deren Positionierung. 

Denn die Einführung der Förderprogramme setzte einen Trend fort, der viel veränderte: Immer mehr Angebote für Auslandsaufenthalte kamen auf den Markt und bis heute stehen junge Leute vor der Wahl, welchen Weg sie gehen wollen. „Ob man zu einem sozialen Dienst ins Ausland aufbricht oder doch lieber Work & Travel in Australien macht, hängt letztlich damit zusammen, welche Erfahrung man sucht“, sagt Peter Nilles, Leiter des Vereins „Soziale Friedensdienste im Ausland“, kurz SoFiA e. V., der seit 30 Jahren Freiwillige in ausländische Partnerstrukturen vermittelt. Letztlich sei es der Blickwinkel, der Qualität definiere. „Wirklich qualitätsvoll und nachhaltig ist Freiwilligendienst dort, wo berührende, befremdliche, ja sogar brüchige Erfahrungen möglich sind, die einen so begeistern, dass sie unser Leben verändern.“

Neben der Auseinandersetzung mit persönlichen Gefühlen, nehmen Anliegen der jungen Leute zu Ökologie oder Klimawandel auf den FID-Seminaren mehr Raum ein.
Kooperation auf Augenhöhe: Mit Partnerworkshops, wie hier in Malawi, ermöglicht die FID Trägern und deren Partnern vor Ort Weiterbildungen zu aktuellen Themen.
Über 30 Jahre setzt sich Peter Nilles (oben Mitte) bei SoFiA e. V. für einen Freiwilligendienst ein, in dem das Miterleben, Lernen und die Solidarität besonderen Stellenwert besitzen.

Eine Marke für Gemeinnützigkeit

Im Kontext einer kommerzialisierten, konsumorientierten Welt seien Orte, an denen solche Erfahrungen möglich sind, nicht mehr so leicht zu finden. Auch die Bürokratie setze immer mehr Grenzen. Um die Qualität von Freiwilligendiensten im Sinne einer sozial-christlichen Motivation zukunftsfähig zu machen, müsse die FID einen Spagat schaffen, so Nilles. „Auf der einen Seite geht es darum, Träger bei der Erbringung der formalen Voraussetzungen zu unterstützen, die sie für die Durchführung eines Freiwilligendienstes benötigen und erbringen müssen.“ Auf der anderen Seite brauchten Träger Freiräume, in denen sie Inhalte und Werte diskutieren und zukunftsfähige Angebote entwickeln können.

Die Einführung der Marke „Freiwilliges Internationales Jahr“, kurz FIJ, an der die FID als Mitglied des Katholischen Verbunds Internationale Freiwilligendienste mit anderen Dachverbänden mitwirkte, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie schafft für alle Träger, mit denen die FID zusammenarbeitet, einen gemeinsamen Qualitätscharakter.

 „Das FIJ steht für einen Lerndienst, der von ausschließlich gemeinnützigen nichtstaatlichen Organisationen angeboten wird, für intensive fachliche Begleitung und für eine Kooperation auf Augenhöhe mit meist langjährigen Partnern“, sagt Barbara Kerime. „Es geht um solidarisches Miterleben und Lernen und darum, gesellschaftspolitische Strukturen und Entwicklungen, aber auch die eigene Rolle in der Einen Welt kritisch zu reflektieren.“
 

Wissenswert

Wissen, worauf es ankommt – das Seminarangebot der FID. Für deutsche und internationale Freiwillige, aber auch für Mitarbeiter*innen von Trägerorganisationen oder deren Partner vor Ort bietet die FID ein umfangreiches Seminarangebot zur Fortbildung und Orientierung. Freiwillige, die sich auf ihren Dienst im Ausland vorbereiten oder von dort zurückkommen, können ein entsprechend auf ihre Situation zugeschnittenes pädagogisches Angebot in Anspruch nehmen. In Gastländern wie Peru und Tansania finden auch Reflexionsseminare während des Dienstes statt. Zudem werden auch Freiwillige aus dem Ausland auf Seminaren in Deutschland begleitet.

Im Rahmen des Qualifikationsmoduls „Train the Trainer“ ermöglicht die FID haupt- und ehrenamtlichen Begleiter*innen Einblick in Methoden und Konzepte, die ihnen in der pädagogischen Zusammenarbeit mit deutschen und internationalen Freiwilligen Anleitung geben.

Um im Sinne der Weiterentwicklung des Freiwilligenprogrammes international im Austausch zu bleiben, organisiert die FID gemeinsam mit Trägern zudem regelmäßig Partnerworkshops sowie Partnerkonferenzen, auf denen aktuelle Themen diskutiert und bearbeitet werden.

Mit Dialog Zukunft gestalten

Dass es der FID immer wieder gelingt, trotz der Heterogenität und Vielzahl der beteiligten Akteure, mit denen sie kooperiert, am Ende zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen oder zumindest im Austausch zu bleiben, ist für Stefan Hartmann das Ergebnis konstruktiven Dialogs. Als „gute Kommunikation“ bezeichnet er auch den Prozess, der zur Aufnahme des Süd-Nord-Programms in die weltwärts-Förderung geführt hat, und den die FID gemeinsam mit den anderen Verbünden begleitet hat. Im Sinne der Gleichberechtigung und des Austauschs auf Augenhöhe war es vielen Trägern und Partnerorganisationen grundsätzlich wichtig, Entsendungen nicht nur aus dem Norden in den Süden stattfinden zu lassen, sondern auch internationalen Freiwilligen die Möglichkeit zu geben, für einen Dienst nach Deutschland zu kommen. Hier bewährte sich der Qualitätsverbund FID als Beratungsgremium, aber auch als Forum zur Willensbildung.

Am Ende war die Aufnahme der Süd-Nord-Förderlinie in das weltwärts-Programm ein erfolgreicher Fall politischer Interessenvertretung, wie sie die FID im Auftrag des Katholischen Verbundes heute und in Zukunft verstärkt wahrnehmen muss und wird. Zum Beispiel auch dann, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit und Klimaschutz als neue wichtige Themen für den Freiwilligendienst zu berücksichtigen.

Auf die Begegnung kommt es an

Darüber hinaus sei es wichtig, nicht nur auf die Freiwilligen zu schauen, sondern mit den Partnerorganisationen gut im Dialog zu sein, sagt Peter Nilles. "Wir schauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die gleichen Herausforderungen." Um langfristig Veränderungen in dieser Einen Welt herbeizuführen, seien unmittelbare Begegnungen mit den Menschen wichtig, ist er überzeugt. Hierfür müssen Lösungen gefunden werden. Für die FID bedeutet das, zukunftsgewandte Interessen der jungen Generation mit den politischen Auflagen der Fördergeber und dem Anspruch der Träger und Partner an einen sozialen, werteorientierten Lerndienst zu verbinden. Das Rüstzeug dafür bringt die FID mit – Erfahrung, Flexibilität und den Mut, auch andere Formate für den Austausch zu nutzen.

Im digitalen Träger-Workshop zu Antirassismus ist gerade Mittagspause. Vanessa Krüger unterhält sich in einem separaten Chat-Room mit zwei Teilnehmer*innen über ihren eigenen Freiwilligendienst, den sie vor Jahren gemacht hat. Die FID war damals neben ihrer Trägerorganisation ein wichtiger Impulsgeber und Ansprechpartner. „So habe ich mich als Freiwillige zu jeder Zeit wohl und gut aufgehoben gefühlt“, sagt Krüger. Dass sie dieses Gefühl heute als FID-Mitarbeiterin weitergeben kann, freut sie umso mehr. „Es ist ein Kreis, der sich schließt, ein Geben und Nehmen, ein Fordern und Fördern, ein Prozess – im Austausch.“


Text: Eva Maria Helm, Peter Nilles, Stefan Hartmann, Barbara Kerime

13.09.2021

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 2/2021. Die PDF-Version des Artikels finden Sie hier zum Download.