Freiwillige kommen mit einem Gespür für Frieden zurück

Gemeinsam aufbrechen: Rückkehrer*innen eines Freiwilligendienstes in Würzburg. Mit anderen über den Tellerrand schauen und Erfahrungen teilen erweitert den Horizont und prägt fürs Leben.

Nach einem Jahr Corona-Zwangspause verfolgt der Deutsche Verein vom Heiligen Lande (DVHL) die Fortsetzung seines Freiwilligenprogramms im Nahen Osten.

Rund 25 junge Erwachsene entsendet der DVHL jedes Jahr für einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) nach Israel und Palästina. Dort begegnen die Freiwilligen anderen Lebenswirklichkeiten und lernen selbstverständlich gewordene Freiheiten neu zu schätzen. Seit der Corona-Krise ist diese Chance der Horizonterweiterung stark eingeschränkt. 2021 soll das Programm wieder angestoßen werden.

Zufrieden streicht Susanna Schüller den letzten Punkt auf ihrer To-do-Liste durch. In ihrem Büro in der Geschäftsstelle des DVHL in Köln hat die Referentin für Freiwilligendienste zusammen mit ihrer Kollegin Anna Schönknecht in den vergangenen Tagen viel telefoniert und organisiert. Nun steht es fest: Nach einem Jahr Corona-Zwangspause ist für Juli endlich wieder ein Ausreiseseminar geplant. 14 junge Erwachsene sind es bisher, die sich dort auf einen Freiwilligendienst in Israel und Palästina vorbereiten wollen – und damit auf eine Zeit voller Erfahrungen, die sie verändern und bewegen werden.

Freiwilligendienst als Perspektivwechsel

"Wir beobachten immer wieder, dass Freiwillige durch ihren Einsatz ein Gefühl dafür entwickeln, was Frieden wirklich bedeutet", sagt Susanna Schüller. Seit mehr als 30 Jahren entsendet der DVHL junge Erwachsene für ein Jahr zur ehrenamtlichen Mitarbeit in soziale, pädagogische oder pastorale Einrichtungen nach Israel und Palästina. Dort unterstützen sie lokale Mitarbeiter*innen bei ihren Aufgaben, begegnen Menschen anderer kultureller Herkunft und lernen neue Perspektiven kennen. „Das fördert das Verständnis für die Region des Nahen Ostens“, sagt Schüller. "Und es schärft das Bewusstsein für gewohnte Privilegien in Europa, etwa für offene Grenzen oder freie Meinungsäußerung."

Den meisten Freiwilligen des Jahrgangs 2020/2021 blieb es jedoch verwehrt, diese Erfahrungen zu machen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte der DVHL im Sommer 2020 nur drei Entsendungen durchführen.

 

Im Kloster Tabgha mit seiner Begegnungsstätte Beit Noah am See Gennesaret waren 2020 nur wenige Freiwillige anwesend.
Garten im Kloster Tabgha. Aufgrund der Corona-Kontaktsperre waren die Freiwilligen des Jahrgangs 2020 lange Zeit unter sich.
Ein Jahr Freiwilligeneinsatz in Israel und Palästina, Menschen begegnen, Erfahrungen sammeln, fürs Leben lernen. Ab 2021 soll das wieder möglich sein.

Die Begegnung mit den Menschen wird mir in Erinnerung bleiben

Weil Beschränkungen kurzzeitig gelockert wurden, hatte der 19-jährige Jakob Kraus im Dezember 2020 das Glück, nach Israel ausreisen zu können. An seinem Einsatzort in der Begegnungsstätte Beit Noah am See Gennesaret galt jedoch ein Beherbergungsverbot und Jakob Kraus war bei der Arbeit auf dem Gelände anfangs viel für sich. Erfreulicherweise griff die Impfkampagne schnell, sodass bald wieder Gäste kommen durften.

Wie ausgesetzt man sich fühlen kann, wenn regelmäßig bewaffnete Sicherheitskräfte in den Straßen stehen oder einen an Grenzübergangen streng kontrollieren, war auch ihm vorher nicht bewusst. "Das macht mir immer wieder klar, wie sehr der Nahost-Konflikt das Leben der Menschen hier beeinflusst", sagt er. Gleichzeitig erlebe er unheimlich viel Hilfsbereitschaft und auch Unvoreingenommenheit bei den Menschen, die er treffe, egal aus welchen Kontexten sie kommen. "Diese Begegnungen sind es, die mich langfristig begleiten und mir besonders in Erinnerung bleiben werden."

 

Wissenswert

Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande e. V. (DVHL) mit Sitz in Köln und Jerusalem engagiert sich seit mehr als 160 Jahren für interreligiösen Dialog und friedenspolitische Initiativen im Nahen Osten. Derzeit gehören dem DVHL 12.000 Mitglieder an. Rund 20 Einrichtungen, Initiativen und Projekte mit sozialem, pädagogischem und pastoralem Schwerpunkt in Deutschland sowie in Israel und Palästina werden unterstützt.

In verschiedenen Strukturen wie etwa der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg oder dem Kloster Tabgha am See Gennesaret mit seiner Begegnungsstätte Beit Noah begegnen jedes Jahr mehrere junge Erwachsene während eines einjährigen Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (IJFD) anderen Sicht- und Lebensweisen. Ziel ist es, einen Erfahrungsprozess in Gang zu bringen, der zeigt, wie wertvoll friedliches Zusammenleben ist, und dass es lohnt, sich dafür einzusetzen.

Bei der Organisation und Durchführung des Programms wird der DVHL als Träger durch AGIAMONDOs fid "Fachstelle internationale Freiwilligendienste" seit Jahren eng begleitet.

Frieden fängt im Kleinen an

Wie wichtig Räume sind, in denen sich Menschen aufeinander einlassen und hinter die Fassade von Stereotypen blicken können, betont Paul Nordhausen-Besalel, Leiter der Begegnungsstätte Beit Noah. Das gelte für junge Freiwillige ebenso wie für jeden anderen Gast, der die Einrichtung besuche. "Jeder bringt seine Geschichte mit, seine Verletzungen, Erwartungen und Hoffnungen", sagt er. Der ungezwungene Austausch sei Voraussetzung dafür, "dass wir die Situation des anderen verstehen – besonders in einer Region, die von einem jahrzehntelangen internationalen Konflikt geprägt ist." Wird dieser Austausch durch Lockdown verhindert, habe dies massive Folgen für die Verständigung und nicht zuletzt auch für den Frieden.

Umso mehr freut sich Susanna Schüller, dass das Freiwilligenprogramm des DVHL im Sommer 2021 weitergehen soll. Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern, insbesondere bei der Visa-Vergabe stehen Entscheidungen aus. Doch die Fortschritte der Impfkampagne in Israel und weltweit machen Mut, dass peu à peu wieder Normalität einkehrt. Susanna Schüllers Erfahrungen im Freiwilligendienst stimmen sie zuversichtlich. "Frieden", sagt sie, "fängt auch hier immer im Kleinen an."

Text: Susanna Schüller, Anna Schönknecht, Jakob Kraus, Paul Nordhausen-Besalel, Eva Helm

03.06.2021