Der Spirit von „Ubuntu“

Alfred Pfeifer

Verständnis für andere Meinungen fördern und gemeinsam positive Veränderung bewirken – mit Community-Aktionen und Bildungsangeboten für Jugendliche setzt sich die Organisation Amava Oluntu in Kapstadt für Solidarität und Verständigung ein. AGIAMONDO-Fachkraft Teresa Boulle unterstützt dieses Engagement, das sich in der Corona-Krise bewährt und eine besondere Dynamik entwickelt hat.

Amava bedeutet in der Sprache des Xhosa so viel wie Erfahrung, Lebensweisheit oder Wissen, das man von Geburt an durch jede Begegnung im Leben ansammelt. Schon vor der Coronavirus-Pandemie war es Ziel der südafrikanischen Organisation Amava Oluntu, Gruppen und Individuen zu vernetzen und Räume zu schaffen, in denen Menschen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten gemeinsam Ideen für eine widerstandsfähige Gemeinschaft entwickeln.

Der Ausbruch von COVID-19 stellte dieses Bestreben vor große Herausforderungen, mobilisierte aber auch Kräfte, die das Netzwerk gestärkt haben und bis heute voranbringen.

Schnelle Hilfe in der Krise

„Wir müssen etwas tun“ war die erste Reaktion der Gruppen und Freiwilligen, mit denen Amava Oluntu zu Beginn des Lockdowns im März 2020 in Kapstadt zusammenarbeitete, erinnert sich Teresa Boulle. Auch die 30-jährige AGIAMONDO-Fachkraft aus der Nähe von Freiburg packte sofort mit an, als durch die strengen Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus viele Menschen in große Not gerieten.

Ohne fließendes Wasser und in beengten Verhältnissen lebend, oftmals vorerkrankt an HIV oder Tuberkulose, benötigten sie dringend Hilfe. Amava Oluntu organisierte sie, besorgte zusammen mit dem Dachverband "Cape Town Together" (Community Action Networks) Lebensmittel, gründete 15 Community-Küchen, in denen Mahlzeiten gekocht wurden. Zudem wurde eine Freiwilligengruppe von Jugendlichen aufgebaut, die alles koordinierte.
 

Theresa Wigley/Amava Oluntu
Teresa Boulle/Amava Oluntu
Theresa Wigley/Amava Oluntu

Verbundenheit bewegt

Die schnelle Unterstützung kam an und bewies eine gemeinschaftliche Dynamik, die Teresa Boulle bis heute bewegt. „Inmitten des Lockdowns und der negativen Nachrichten in der Öffentlichkeit überwog bei allen Beteiligten die Motivation, als Teil eines Ganzen füreinander da zu sein“, sagt sie. Dieser Spirit von "Ubuntu", das Gefühl der Solidarität und Verbundenheit, habe Hoffnung auf positive Veränderung gemacht und unheimlich viel bewegt.

Genau das ist es auch, was Amava Oluntu und ihre Mitstreiter*innen mit ihren Projekten erreichen möchten, die vor allem Jugendliche ansprechen. In der von Ungleichheit, Gewalt und Rassismus geprägten Gesellschaft Südafrikas, müssen sich viele von ihnen hart durchkämpfen. Amava Oluntu will die Beziehungsarbeit der jungen Leute stärken und neue Kommunikationswege aufbauen, damit sie in ihren Communities Dinge für sich und andere zum Positiven verändern können.

Partizipatives Lernen fördern

Dazu nutzen Boulle und ihre Kolleg*innen vor allem Methoden wie Participatory Video. Dabei erstellen Jugendliche in Gruppen gemeinsam einen eigenen Film und lernen, wie sie ein Thema für sich erforschen und ihre Ideen und Bedürfnisse kreativ und ohne Gewalt transportieren. „Dass wir unterschiedliche Meinungen sachlich äußern und nebeneinander gelten lassen, ist in Pandemiezeiten umso wichtiger für ein friedliches Zusammenleben“, sagt Boulle.

Denn der Druck sei groß in den Familien und bei den Jugendlichen. Nach den kurzfristigen Auswirkungen der Pandemie wie Einkommensverlust oder Nahrungsmittelknappheit nähmen langfristigere Folgen wie Konzentrationsprobleme, Traumata und Zukunftsangst zu. Deshalb nahm und nimmt sich Amava Oluntu viel Zeit für die Projekttreffen und begleitet den Austausch der Jugendlichen eng.

 

Wissenswert

Zwar sind in Südafrika die sozialen Schichten seit dem offiziellen Ende der Apartheid vor 27 Jahren durchlässiger geworden. Dennoch bleiben große Teile der Bevölkerung wirtschaftlich marginalisiert. Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildungschancen und eine schlechte Gesundheitsversorgung gehören zu den größten Problemen – vor allem von jungen Erwachsenen. Die daraus resultierende Ungleichheit wurde durch die Corona-Krise noch verschärft.
 

Die Organisation Amava Oluntu fördert Räume und Möglichkeiten für Bildung und Austausch und bestärkt Jugendliche darin, widerstandsfähig und selbstbewusst ihren eigenen Weg zu gehen. Vom Verein Starkmacher e. V. nach Südafrika entsandt unterstützt AGIAMONDO-Fachkraft Teresa Boulle die Organisation seit Mai 2020 beim Aufbau resilienter Organisationsstrukturen.

United for Change

Dass diese Arbeit ankommt, zeigte der besondere Zusammenhalt in der Krise und auch die Perspektiven, die sich daraus ergeben haben. Aus der anfangs improvisierten Koordinationsgruppe "Vrygrond United For Change" für die Community-Küchen ist mittlerweile eine feste Instanz unter dem Namen "Spaza Hub" geworden, die von fünf Jugendlichen geführt wird. „Wir sind sehr stolz auf sie“, sagt Boulle. „Sie haben sich aus äußerst korrupten und schwierigen Verhältnissen emanzipiert und bringen sich nun für die Gemeinschaft ein.“

Amava Oluntu unterstützt sie dabei mit Fortbildungen im Bereich Leadership, Projektmanagement und Fundraising. Um ihre Angebote weiter auszubauen, kümmern sich Boulle und ihre Kolleg*innen derzeit um eine langfristigere Finanzierung. Die wichtigste Ressource der Organisation ist aber jetzt schon gesichert – es sind die Menschen, die sich einbringen und auch in schweren Zeiten mit dem Spirit von "Ubuntu" Veränderung möglich machen.

Text: Teresa Boulle

02.06.2021