Fachkraft für Partnerschaftsprojekt über AGIAMONDO finanziert

Präsidentin Maria Martiliana Rodrigues Neta, Verwaltungsleiter Leandro Santo, Schwester Elizete Negreiro da Silva und Maria Fernanda (von links) von AVICRES Brasilien, begrüßten im Herbst 2022 eine Gruppe von AVICRES Deutschland, auch der Gründer Johannes Niggemeier (2. von links) ist dabei.

Nach 30 Jahren enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern in Brasilien wagte der kleine Verein AVICRES aus Paderborn einen ungewöhnlichen Schritt: Um den Aufbau eines Projekts für Familienpastoral beim brasilianischen Partner zu unterstützen, engagierte er sich für eine Fachkraft. Finanziell und organisatorisch möglich machten es das Programm "Dialog und lebendige Partnerschaft" (DLP) und die praktische Unterstützung von AGIAMONDO.

 

Die beiden Vereine AVICRES in Nova Iguaçu und "Brasilieninitiative AVICRES e. V." in Paderborn verbindet eine lange Geschichte, in der sie brasilianische Kinder und Jugendliche aus Armenvierteln unterstützen. Der Religionspädagoge Johannes Niggemeier, ein Paderborner, hatte den brasilianischen Verein 1991 gegründet. Niggemeier begeisterte sich für die Befreiungstheologie und arbeitete damals für Projekte des brasilianischen Bischofs Dom Adriano Hipólito. Ein Jahr nach der AVICRES-Gründung hoben Unterstützer*innen seiner Arbeit in seiner Heimatgemeinde die "Brasilieninitiative AVICRES" aus der Taufe.

 

Das Team der Familiensozialarbeit (Familienpastoral) von AVICRES Brasilien: Schwester Salete Placido, Lídia da Silva Cantuária Coelho, Psychologin Josiane Bonadiman, AGIAMONDO-Fachkraft Svenja Knies (von links).
AGIAMONDO-Fachkraft Svenja Knies bei der letzten Teamsitzung in 2022. Die Sonderpädagogin und ihre Kolleg*innen analysierten zusammen die Aktivitäten des vergangenen Jahres. Auf der Pinnwand wurden Erfolge und Stärken ebenso wie bestehende Schwächen festgehalten.
Lídia da Silva Cantuária Coelho, Sozialarbeiterin bei AVICRES Brasilien (links), spricht mit den erziehungsberechtigten Frauen über sexualisierte Gewalt an und sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. Das Thema gehört zu einer der Bildungseinheiten für Erziehungsberechtigte.
Im Gemeinschaftsgarten des Projektes "Sítio das Crianças/Projekt der Kinder" pflegen die Familien die Obstbäume und die Gemüsebeete und können die Ernte mitnehmen. Sie lernen praxisnah mit der Natur sensibel und verantwortungsvoll umzugehen, Müll und Umweltverschmutzung zu reduzieren.
Frauen machen in einem Seminar zu Bürgerrechten eine gemeinsame Übung. Mittels bewusstseinsbildender Maßnahmen werden Rechte und Pflichten als Bürger*innen thematisiert.
Präsidentin Rodrigues Neta (mit Mikro) eröffnet das Projekt "Gesundheit der Frau – mit Fokus auf Brust- und Gebärmutterhalskrebs". Teams aus Krankenschwestern, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen informieren und sensibilisieren Frauen in der Metropolregion Rio de Janeiro über Krebsprävention.

Zwei gleichberechtigte Partner mit klaren Rollen

AVICRES Brasilien betreibt Projekte für junge Menschen aus den Armenvierteln von Nova Iguaçu, Belford Roxo und Mesquita in der Nähe von Rio de Janeiro. Man kümmert sich um Straßenkinder, leistet Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsarbeit, unterstützt Selbsthilfeorganisationen der Indigenen und vieles mehr. Der Verein in Paderborn mit seinen rund 250 Mitgliedern akquiriert Spenden und leistet in Deutschland Bewusstseinsarbeit zur sozialen Situation in Brasilien. Mehr als 80 junge Menschen, die ein Freiwilligenjahr leisten wollten, haben die Paderborner*innen in die Projekte der Partnerorganisation vermittelt und dabei mit der Fachstelle Internationale Freiwilligendienste (FID) von AGIAMONDO zusammengearbeitet. Kleine Delegationen beider Vereine besuchen sich regelmäßig, man bleibt auch per Zoom im Gespräch.

AGIAMONDO-Programm "Dialog und lebendige Partnerschaft"

2020 überlegte man in Paderborn, die Zusammenarbeit durch das Engagement einer Fachkraft aus den eigenen Reihen des Vereins zu vertiefen. Sie sollte der Partnerorganisation beim Neuaufbau eines Teams für die Familienpastoral helfen. Die Paderborner*innen entschieden sich, die Vermittlung über das Programm "Dialog und lebendige Partnerschaft" von AGIAMONDO zu organisieren und die Fachkraft auf ihre Zeit in Brasilien vorbereiten zu lassen. "Wir sind ja ein Verein ohne Hauptamtliche", erklärt der damalige Vorsitzende Karl-Heinz Herting. Umso wichtiger sei der Austausch mit Profis gewesen, als man sich entschlossen hatte, erstmals eine Fachkraft für drei Jahre nach Brasilien zu schicken. "Wir mussten erst verstehen, was ein professioneller Partner wie AGIAMONDO leisten kann und wie er Fachkräfte unterstützt", erklärt Herting. "Aber auf Basis der Gespräche und der Unterlagen, die sehr strukturiert und logisch aufgebaut sind, wurde uns klar, dass das ein guter formaler Rahmen für die Arbeit ist. Wir können das DLP-Programm auch anderen Vereinen sehr empfehlen." Auch bei der Vorbereitung der Freiwilligen profitiere man seit Jahrzehnten von der "professionellen Gesamtsicht" von AGIAMONDO auf wichtige Fachfragen. "Das gibt Sicherheit", sagt Herting.

Avircres macht erste Erfahrungen mit einer deutschen Fachkraft. Das daraus entstehende interkulturelle Wissen halte ich für sehr bereichernd, weil es Impulse für die Entwicklung der eigenen Arbeit bringt.

Maria Martiliana Rodrigues Neta, Präsidentin von AVICRES Brasilien

Das Kinder- und Jugendorchester "Orchestra da Vida" probt. Das gemeinsame Musizieren ist eine der Aktivitäten für junge Menschen im Projekt "Sítio das Crianças" (Deutsch: "Projekt der Kinder").
Blick von der Favela Morro da Caixa da Água in Nova Iguaçu auf den Großteil der Metropolregion von Rio de Janeiro (Baixada Fluminense), wo sich die Kindertagesstätte von AVICRES befindet.
Kinder spielen im Sitío Natureza Viva (Projekt der "lebendigen Natur"). Neben dem Schwimmunterricht findet auch freies Spiel statt.
In der Einrichtung "Sítio Natureza Viva" (Projekt der "lebendigen Natur") werden insgesamt 80 Kinder und Jugendliche betreut. Sie können an Sportangeboten, an Informatikseminaren oder handwerklichen Angeboten, wie Holz- und Kunstkursen teilnehmen. Eine Lehrerin unterstützt bei schulischen Themen.
Vorstandstreffen: Vorstandsmitglied Adilson Alves, Franz-Thomas Sonka (1. Vorsitzender AVICRES Deutschland), Roberto Marinho, stellv. Vorsitzender, und Joaquim José de Faria Neto, Schriftführer, beide von AVICRES Brasilien, außerdem Monika Schmiemann, Karin Herting (Erweiterter Vorstand) und Svenja Knies (von links).

Sonderpädagogin in der Familienpastoral

Seit März 2021 ist nun die Paderborner Sonderpädagogin Svenja Knies als Fachkraft in der Familienpastoral in Nova Iguaçu tätig. In einem neu formierten Team aus zwei Psychologinnen, zwei Sozialarbeiterinnen und zwei Ordensschwestern arbeitet sie mit den Erziehungsberechtigten der Kinder und Jugendlichen, die in die AVICRES-Projekte kommen – hauptsächlich sind es junge, alleinerziehende Mütter. "Den Kontakt aufzubauen und über einen bestimmten Zeitpunkt zu halten, das ist das Schwierigste", berichtet Svenja Knies. Und doch habe die Arbeit 2022 erste Früchte getragen. Die ersten Kursangebote sind gut angenommen worden, vor allem zwei Workshops des Projekts "Wer bin ich als Bürger?", die Svenja Knies mit ihrer Kollegin Lídia da Silva Cantuária Coelho begleitet hat.

Partizipative Methoden statt Frontalunterricht

Der interkulturelle Austausch ist für beide interessant: "Ich bringe vor allem den pädagogischen Ansatz und partizipative Methoden mit", erklärt Knies. "Hier ist es sehr verbreitet, Wissen über Frontalunterricht zu vermitteln. Kritisches Denken, aktives Fragen oder auch Hinterfragen im positiven Sinn, wodurch bewusstes Verstehen und Verändern der Situationen möglich würde, werden kaum gefördert." Svenja Knies arbeitet deshalb mit ihren Kolleginnen an einer Art von "horizontaler Erwachsenenbildung", die partizipativer und ressourcenorientierter ist als die bisherige Vorgehensweise. In den Workshops setzen sie diese Methoden schon erfolgreich um. Die Sonderpädagogin sagt: "Meine Kollegin Lídia ergänzen und gut in der Zusammenarbeit."

 

Wissenswert

Das Programm "Dialog und lebendige Partnerschaft" (DLP) macht es auch kleineren kirchlichen und anderen nichtstaatlichen Organisationen, Vereinen und Initiativen möglich, eine Fachkraft nach dem Entwicklungshelfergesetz für ihre entwicklungspolitischen Kooperationen zu engagieren. (Ko-)Finanziert wird es durch Mittel der Katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe e. V. (KZE). Die auftraggebenden Organisationen tragen dabei einen Eigenanteil in Höhe von 30 Prozent der Kosten für die Fachkraft plus einer ca. zehnprozentigen Verwaltungskostenpauschale. Jährlich werden etwa zwölf solcher Stellen neu geschaffen; insgesamt gibt es zurzeit 50 über das DLP finanzierte Fachkräfte. Im Rahmen des Programms erhalten die Auftraggeber eine Beratung zu Finanzierungs- und Programmfragen. Sie werden außerdem bei der Vertragsgestaltung, bei Versicherungen und der sozialen Absicherung der Fachkraft und ihrer Familien entlastet. AGIAMONDO organisiert die Auswahl, Qualifizierung und Vorbereitung der Fachkraft und begleitet sie während ihrer Dienstzeit und nach der Rückkehr – besonders bei Notfällen und in Sicherheitskrisen. Organisationen, Vereine und Initiativen, die mehr über das DLP-Programm wissen möchten und einen Antrag stellen wollen, können sich an per Mail an AGIAMONDO-Referent Carsten Klink wenden.

"Experiment Fachkraft" ist erfolgreich

Parallel zu den Bildungsangeboten für Familien entwickelt Svenja Knies eine nachhaltigere Organisation der Bildungsarbeit für AVICRES. Im eigenen Team solle ein Wissensmanagement eingeführt werden, um Prozesse nachhaltiger und schneller wieder abrufbar zu machen. "Hier fließt mein Knowhow aus dem Bereich der Organisationsentwicklung ein", erzählt Knies. Ihre Vorgesetzte Maria Martiliana Rodrigues Neta, Präsidentin der AVICRES Brasilien, zieht eine positive Zwischenbilanz zum ersten Engagement einer deutschen Fachkraft. Die Zusammenarbeit setze neue Impulse und die partizipativen Angebote hätten einen "großen positiven Einfluss auf die Arbeit mit Familien in Situationen sozialer, emotionaler und spiritueller Verwundbarkeit". Auch auf der deutschen Seite hält man das "Experiment Fachkraft" für gelungen: "Das ist auf jeden Fall von Nutzen. Auch weil die Rückmeldungen der Partnerorganisation unmittelbarer bei uns ankommen", sagt der neue Vorsitzende Franz-Thomas Sonka. Durch die Paderbornerin vor Ort sei die Kommunikation zwischen Deutschland und Brasilien sprachlich und kulturell einfacher. Die langjährigen Partner sind sich so ein weiteres Stück nähergekommen.

15.02.2023

Text: Carmen Molitor