Was genau bedeutet Erinnerungskultur im Kontext des Bürgerkrieges?
Elles Blanken: Erinnerungskultur bezeichnet das gemeinschaftliche Wissen einer Gesellschaft über ihre Vergangenheit. In San Vicente wollen wir die Menschen unterstützen, die Erinnerungen an die Vergangenheit zu bewahren, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Dabei öffnen wir bewusst das Konzept von Erinnerungskultur und sprechen nicht nur über den bewaffneten Konflikt der 1980er Jahre, sondern auch über die Armut und Ungleichheit vor dem Bürgerkrieg, und den Wiederaufbau nach den Friedensabkommen. An den Schulen kommen diese Themen gar nicht zur Sprache, aber die Menschen finden es wichtig, dass die Jugend davon weiß. Um die gelebten Erfahrungen der Menschen zu dokumentieren, arbeiten wir eng mit den Dorfgemeinschaften zusammen.
Wie gehen Sie in der Praxis beim Sammeln von Erinnerungen vor?
Elles Blanken: Meine Kollegin und ich arbeiten in zwei ländlichen Gemeinden, in Santa Clara und San Esteban Catarina, die aus mehreren Dörfern und Weilern bestehen. Nach den ersten Treffen mit den Dorfbewohnern wurde schnell klar, dass es einen enormen Bedarf an Austausch und Dokumentation der Kriegserinnerungen gibt, aber auch darüber, wie die Menschen vorher gelebt haben. Besonders die älteren Menschen waren froh, dass ihre Geschichten gehört und dokumentiert werden.
Deshalb haben wir verschiedene Aktivitäten gestartet, die generationenübergreifend funktionieren. Die Ideen dazu kamen von den Dorfbewohnern: Ein Rezeptbuch mit traditionellen Gerichten und persönlichen Geschichten aus der Region, ein Handbuch mit traditionellen Kinderspielen und ein Malbuch für Kinder, das auf den Erfahrungen der älteren Generation basiert. Diese Aktivitäten sollen auch die jüngeren Menschen ansprechen und ihnen helfen, mehr über die Geschichte ihrer Region zu erfahren.
Wie sehen die beteiligten Menschen die Erinnerungs-Projekte?
Elles Blanken: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Die Workshops, in denen wir ihre gesammelten Ideen besprachen, waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Es war bewegend zu sehen, wie zurückhaltende Teilnehmende auf einmal ihre Geschichten teilten, so schmerzhaft sie auch waren. Ältere Teilnehmende erzählten von Spielzeugen, die sie in ihrer von Armut geprägten Kindheit aus einfachen Materialien selbst gebaut hatten – und brachten diese zum nächsten Treffen mit, wie Puppen aus Maisstängeln oder Holzkreisel. In einer anderen Gemeinde organisierte eine Jugendgruppe spontan einen Spielenachmittag für Kinder, bei dem sie die traditionellen Spiele der Älteren ausprobierten. Der Wunsch nach Austausch und Erinnerung ist stark.