Erleben, worum es wirklich geht - ZFD-Teamleiterin Ulrike Hanlon berichtet von ihren Erfahrungen beim Exposure- und Dialogprogramm in Kenia

Ulrike Hanlon (rechts), ZFD-Teamleiterin bei AGIAMONDO und ihre kenianische Gastgeberin Warda Zighe.

Lokale Lebenswirklichkeiten miterleben und aus geänderter Perspektive neue Lösungen diskutieren – zu diesem Zweck kamen vom 19. bis 27. Februar 2020 Mitarbeiter*innen von AGIAMONDO mit Vertreter*innen aus Politik, Kirche und Zivilgesellschaft zum Exposure- und Dialogprogramm (EDP) in Kenia zusammen. Unter ihnen war Ulrike Hanlon, Leiterin des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) von AGIAMONDO in Köln, die contacts von ihren Erfahrungen berichtet hat.

Was genau ist das EDP?

Das EDP ist ein Programm des Vereins Exposure- und Dialogprogramme. Jedes Jahr gestaltet dieser mit Partnern in Entwicklungs- und Schwellenländern mehrtägige Workshops zu unterschiedlichen Themen der Entwicklungszusammenarbeit, an denen hiesige Entscheidungsträger*innen aus Politik, Kirche und Zivilgesellschaft teilnehmen. Ziel ist es, sie mit Menschen vor Ort in Kontakt zu bringen, ihrer Lebenswirklichkeit „auszusetzen“ und ein vertieftes Verständnis für lokale Herausforderungen, Potenziale und Werte zu ermöglichen. Dadurch soll ein Perspektivwechsel angeregt werden, der die Bedarfe und Visionen der betroffenen Menschen stärker in den Blick nimmt.

Dieses Jahr fand ein EDP zum Thema „Religionen als Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung“ in Kenia statt. Wie kam es zu dieser Wahl und welche Rolle spielte der ZFD dabei?

Jedes EDP wird aufgrund eines konkreten Handlungsbedarfs entwickelt. In Kenia, einem Land, in dem es viele religiös motivierte Konflikte gibt, erweist sich der Interreligiöse Dialog, also die Förderung eines gleichberechtigten, respektvollen Meinungsaustauschs zwischen den Religionen, als wirksames Instrument für die Friedensarbeit. Auch deshalb ist er Schwerpunkt des ZFD von AGIAMONDO.

Unser Landesprogramm vor Ort ist sehr gut vernetzt, da konnten wir als Kooperationspartner des EDP viele Kontakte mobilisieren, die den Exposure-Workshop unterstützt haben. Das Institut für Interreligiösen Dialog und Islamstudien (IRDIS) zum Beispiel hat maßgeblich mitgewirkt bei der inhaltlichen Planung, der Auswahl von Gastfamilien oder der Moderation der Reflexionsphase, die ein sehr wichtiger Teil des Workshops war.

 

Ulrike Hanlon (rechts), ZFD-Teamleiterin bei AGIAMONDO und ihre kenianische Gastgeberin Warda Zighe.
Zu Besuch im Netzwerk „Mombasa Women for Peace„, das Warda Zighe mitgegründet hat.
Mittagessen im Imbiss in Warda Zighes Wohnort Mombasa.

Wie lief der Workshop ab und welches Ziel verfolgte er konkret?

Es ging darum zu ergründen, wie Zusammenarbeit und Dialog der Religionen zu einer friedlichen kenianischen Gesellschaft beitragen können. Zu den Teilnehmer*innen zählten Bundestagsabgeordnete, Vertreter des BMZ, Erzbischof Ludwig Schick, aber auch leitende Mitarbeiter*innen von AGIAMONDO, aus anderen Organisationen und der Kirche. Wir alle waren zunächst drei Tage zu Gast in Familien von Kenianer*innen, die in der Friedensarbeit aktiv sind, und haben sie in ihrem Alltag und bei der Arbeit begleitet. Anschließend gab es eine Reflexionsphase, in der die Erfahrungen besprochen, persönliche Eindrücke geschildert und fachlich reflektiert wurden. Zum Schluss fand ein Austausch mit Vertreter*innen der beteiligten Organisationen und externen Fachleuten statt, um die Exposure-Erfahrung zu diskutieren und mit den bestehenden Rahmenbedingungen in Beziehung zu setzen.

Wie sah Ihre persönliche Erfahrung aus?

Ich war bei einer jungen Kenianerin untergebracht, die bei der Menschenrechtsorganisation Haki Yetu arbeitet und sich für Frauen und Jugendgruppen engagiert. In den Tagen, in denen ich sie begleiten durfte, wurden dort Inhalte der „Building Bridges Initiative“ diskutiert, einer Regierungsinitiative zur Förderung der nationalen Einheit Kenias. Das Spannende war, dass sich muslimische und christliche Frauen gleichermaßen an der Gruppendiskussion beteiligt und über Religionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Position erarbeitet haben. Damit das gut funktionieren konnte, hatte sich die Gruppe zuvor auf Verhaltensregeln geeinigt.

Es wurde auch gemeinsam gebetet. Tatsächlich gab es viele Themen, die trotz unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit und Lebensweise ähnlich beurteilt wurden: Extremismus, Korruption oder die Benachteiligung von Frauen sahen alle als wesentliche gesellschaftliche Probleme an, die es zu lösen gilt.

Was kann Interreligiöser Dialog hier bewirken und wo bestehen noch Herausforderungen?

Die Frauengruppe zeigt, finde ich, anschaulich, dass der respektvolle Austausch von Menschen unterschiedlichen Glaubens gemeinsame Anliegen offenbaren kann, an deren Lösung dann alle konstruktiv mitarbeiten. Konkret wurde zum Beispiel überlegt, inwieweit religiöse Autoritäten eine Vermittlerrolle einnehmen können, um Veränderungen anzustoßen. Damit das gelingt, wäre meiner Einschätzung nach mehr Methodenkenntnis wichtig. Wie formuliert man seine Anliegen nachdrücklich? Wen spricht man an? Wen holt man mit ins Boot?

Hier in Deutschland können wir von den Kenianer*innen lernen, wie man den Interreligiösen Dialog in die Mitte der Gesellschaft trägt und im Alltag sichtbarer macht. Da haben wir noch zu wenig Netzwerke, Berührungspunkte zwischen den Religionsgruppen und Multiplikator*innen, die die Idee der interreligiösen Zusammenarbeit in den Gemeinden und vor allem im gemeinsamen Alltag unterstützen.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus dem EDP mit?

Durch das EDP haben wir die Lebenswirklichkeit unserer Mitmenschen in Kenia besser kennengelernt. Wir haben erlebt, was sie wirklich bewegt, und mit welchen Methoden sie konstruktiv zusammenarbeiten. Diese Erfahrungen sind sehr wertvoll und sollen zeitnah in eine Strategie einfließen, die AGIAMONDO für die Projektarbeit des ZFD zum Thema Interreligiöser Dialog entwickelt. Zudem hat die Exposure-Erfahrung Entscheidungsträger*innen, die die Finanzierung von Projekten zum Interreligiösen Dialog mitverantworten, gezeigt, wie wirksam interreligiöse Zusammenarbeit sein kann, und dass es sich lohnt, sie zu fördern. Bei mir persönlich ist die Offenheit gegenüber anderen Religionen nochmal gewachsen – und die Erkenntnis darüber, dass man im Leben und Wirken trotz unterschiedlichen Glaubens viel mehr gemeinsam hat, als man denkt.

Text: Katharina Engels, Eva Maria Helm; Fotos: Ulrike Hanlon/AGIAMONDO