Erinnern, um die Zukunft zu gestalten

ODHAG

Im ZFD-Regionalprogramm Zentralamerika ist die Aufarbeitung der gewaltvollen Vergangenheit ein Schwerpunktthema und wichtiger Arbeitsansatz. Zu dieser Aufarbeitung gehört die Dokumentation von Gewaltverbrechen und deren Öffnung für Gerichtsverfahren genauso wie die Motivation von Jugendlichen, sich für eine friedliche Zukunft einzusetzen.

In Deutschland wissen wir, dass das Erinnern unserer gewaltvollen Geschichte ein wichtiger Garant für eine plurale, demokratische Gesellschaft ist. Dies war nicht immer so. Das Aufzeigen und Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus wurde den Regierungen zunächst mühsam abgerungen. Man wollte lieber vergessen und dieser Wunsch speiste sich aus vielen Quellen.

Warum aber Erinnerungsarbeit in Zentralamerika? Gibt es nichts Wichtigeres als die Gräuel der Vergangenheit zu adressieren? El Salvador und Guatemala waren in den 70er und 80er Jahren Schauplatz von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unsere Vorstellungskraft bei Weitem überschreiten. Im Rahmen des Kampfs gegen die Guerrilla und - in Guatemala ganz allgemein auch gegen die indigene Bevölkerung - kamen viele Menschen (Guatemala 200.000, El Salvador 75.000) ums Leben. Überlebende von Massakern flüchteten in die Nachbarländer oder weniger umkämpfte Regionen des Landes.

Die Friedensverträge in beiden Ländern 1992 und 1996 sahen die Aufarbeitung der gewaltbeladenen Vergangenheit, die Würdigung der Opfer, die Unterstützung von Überlebenden und die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Davon ist wenig umgesetzt worden. Auch wenn es in Guatemala beispielsweise zu einigen Verurteilungen kam - so auch des früheren Präsidenten Rios Montt - wurden viele Überlebende in ihren Hoffnungen auf Gerechtigkeit enttäuscht.

Doch seitens der Kirchen und der zivilgesellschaftlichen Organisationen gab es starke Initiativen, dem Vergessen entschieden zu begegnen. Das Menschenrechtsbüro des Erzbistums Guatemalas beispielsweise sammelte über 5000 Zeugnisse von Überlebenden, die heute im Erinnerungszentrum Monsenor Juan Gerardi einzusehen sind. AGIAMONDO hat das Zentrum von Beginn an unterstützt und somit dazu beigetragen, dass Überlebende und andere Interessierte Zugang zu diesen bedeutsamen Quellen haben. Es konnten auch einzelne Gerichtsverfahren mit Hilfe der vorhandenen Zeitzeugenaussagen angestrebt werden, die die gewaltvollen Vorkommnisse in den Dörfern eindrucksvoll beschreiben.

Florian Kopp
Florian Kopp
Martina Richard

Der langjährige Leiter des Erinnungszentrums, Nery Rodenas unterstreicht die Bedeutung des Leitsatzes von Bischof Gerardi, dem Namensgeber des Zentrums: "Solange die Wahrheit nicht bekannt ist, werden die Wunden der Vergangenheit offen und unverheilt bleiben." Rodenas betont: "Nur mit der konsequenten Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit wird es Guatemala möglich sein, eine hoffnungsvolle friedliche Zukunft zu gestalten.Und dafür setzen wir uns mit ganzer Kraft ein."

Doch natürlich braucht es viel mehr, um Erinnerung zu sichern. In den Schulen beider Länder wird nicht über die gewaltbeladene Vergangenheit gesprochen. Dies ist in den Lehrplänen nicht vorgesehen. Und auch in den Familien wird oft nicht mehr über Vergangenes gesprochen, zu schmerzvoll sind oft die Erinnerungen. Umso wichtiger ist es in diesem Sinn, die Leerstelle zu füllen und Jugendlichen diesen Zugang zu ermöglichen. AGIAMONDO arbeitet mit verschiedenen Partnerorganisationen (MUPI, Caritas Chalatenango und San Vicente, CECEP, CALDH, Pastoral Social del Peten) daran, Jugendliche anzusprechen, ihnen die strukturellen Konfliktursachen zu vermitteln und sie zu motivieren, sich für eine andere Gegenwart und Zukunft einzusetzen. Sie verstehen also, dass extreme Ungleichheit, die Ausbeutung weiter Teile der Bevölkerung durch eine kleine Elite, Rassismus und die Ausgrenzung aller Andersdenkenden Faktoren waren, die in beiden Ländern in die bewaffneten internen Konflikte mündeten. Es geht also nicht nur um das Beklagen von Gewalt und Tod, sondern letztlich auch um politische Bildung.

Eine weitere Dimension der Erinnerungsarbeit ist der Erhalt und die Wiederaneignung der kulturellen Identität der indigenen Gemeinschaften. die durch die genozidalen Vorhaben der Regierungen in den 80er Jahren ausgelöscht werden sollten. Sich zu erinnern, heißt, die eigenen Wurzeln und damit die eigene Kraft wieder zu entdecken. Auch dazu kann der zivile Friedensdienst von AGIAMONDO beitragen.

10.07.2024

Text: Martina Richard