Den Staat in die Verantwortung nehmen

Geschäftsführer Nery Rodenas (Mitte), Ninfa Alarcón, Verantwortliche des Kinder- und Jugendprogramms und Maynor Melgar, Leiter der Rechtsabteilung des Menschenrechtsbüros des Erzbistums von Guatemala stellen den neuen Bericht von ODHAG zur Situation von jungen Menschen in Guatemala vor.

Seit 25 Jahren setzt sich ODHAG, das Menschenrechtsbüro des Erzbistums von Guatemala, für die Rechte von Kindern und Jugendlichen ein. Ein wichtiger Aspekt ist die Dokumentation und Veröffentlichung der Fälle von Missbrauch und Gewalt.

 

Die NGO Oficina de Derechos Humanos del Arzobispado de Guatemala (ODHAG) veröffentlicht jährlich einen Bericht, der kürzlich zum 25. Mal erschienen ist. Es ist eine Aufforderung an den guatemaltekischen Staat, seine Verantwortung wahrzunehmen. ZFD-Fachkraft Daniel Siemund berichtet darüber. Als Kommunikationsfachkraft für Öffentlichkeits- und Advocacyarbeit unterstützt er das Team bei der Konzepterstellung, der Strategieplanung und der Umsetzung der Kommunikations- und Advocacyarbeit. Für die Mitarbeiter*innen der ODHAG und die Vertreter*innen der guatemaltekischen Zivilgesellschaft entwickelt er Aus- und Weiterbildungskonzepte für die Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit.

 

ODHAG hat auf der Grundlage von Untersuchungen immer wieder darauf hingewiesen, dass Kinder viele Formen von Gewalt erleiden. Darunter sind Misshandlung, sexueller Missbrauch, Menschenhandel, chronische und akute Unterernährung, Kinderarbeit und ungewollte Schwangerschaften. Trotz der Verabschiedung einiger Gesetze in den 2000er Jahren, die etwas Fortschritt brachte, ist für die junge Generation, die 41% der Bevölkerung ausmacht, keine Besserung in Sicht.

Blick ins Publikum: In der Kathedrale des Erzbistums von Guatemala wird der jährliche Bericht von ODHAG zur Situation von Kindern und Jugendlichen vorgestellt .
Auf dem Podium in der Kathedrale präsentieren Geschäftsführer Nery Rodenas (Mitte), Ninfa Alarcón und Maynor Melgar Zahlen und Fakten zur aktuellen Lage der jungen Menschen.
ZFD-Fachkraft Daniel Siemund
Im Erinnerungszentrum "Monseñor Juan Gerardi Archiv" von ODHAG in Guatemala-Stadt. Hier im Bügerkriegsarchiv der Organisation liegen Zeugnisse. Die Mitarbeiter*innen beschäftigt, wie diese sinnvoll für die Erinnerungsarbeit eingesetzt werden können.
Kinder, die die Schule abbrechen, um ihre Eltern bei der Arbeit zu unterstützten, sind ein allgegenwärtiges Bild in Guatemala.
Vor allem in den ländlichen Gebieten Guatemalas fehlen in den öffentlichen Schulen gute Schulmöbel und andere notwendige Infrastruktur.

"Bischof Juan José Gerardi, der erste Koordinator des Menschenrechtsbüros, war sehr intelligent und menschlich", betont Nery Rodenas, der Geschäftsführer der ODHAG. Der Bischof war der Meinung, dass sich die Entwicklung eines Landes am deutlichsten an sozialen Indikatoren zeigt, die sich auf Kinder beziehen. Sie offenbarten den Gesundheitszustand eines Volkes und die gesellschaftliche Ungleichheit. "Die Indikatoren der Berichte von ODHAG seit 1996 bestätigen, dass Guatemala ein krankes Land ist, in dem es wenigen gut geht, der Großteil der Bevölkerung jedoch in Armut lebt.", sagt Nery Rodas, "Bischof Gerardi wäre empört gewesen, dass trotz aller Bemühungen immer noch keine menschenwürdigen Bedingungen für Kinder garantiert sind".

Bei Amtsantritt kündigte Präsident Alejandro Giammattei einen "Kreuzzug" gegen die Kinderunterernährung an, der tatenlos blieb. Tatsächlich wurden demokratische Strukturen schrittweise zerstört. Guatemala hat lateinamerikaweit die höchste Rate an chronisch unterernährten Kindern: landesweit sind es 50 Prozent, in besonders trockenen Gebieten betrifft es zwischen 70 und 90 Prozent. "Weltweit gibt es nur fünf Länder, in denen es Kindern noch schlechter geht. Hinsichtlich Korruption und Straflosigkeit liegt das Land – laut dem jüngsten Bericht von Transparency International – auf Platz 150. Das ist der Grund für die geringen Investitionen in Bildung und Gesundheit für junge Menschen", bestätigt Ninfa Alarcón, die Leiterin des Programms für Kinder- und Jugendrechte der ODHAG.

Korruption tötet, weil sie staatliche Programme mit Maßnahmen zugunsten junger Menschen verhindert. Korruption zweigt das Geld ab, das für die Bedürfnisse der schwächsten Bevölkerungsgruppen bestimmt ist.

Ninfa Alarcón, Verantwortliche des Kinder- und Jugendprogramms des Menschenrechtsbüros des Erzbistums von Guatemala

Eine Mutter dreier Kinder aus Ciudad del Sol, Villanueva, deren Name sicherheitshalber anonym bleibt, sieht es so: "Guatemala weint. Heute können Kinder nicht mehr Kinder sein. Sie müssen ihren Eltern bei der Arbeit helfen und brechen deshalb die Schule ab. Oder sie schließen sich Gangs an. Der Staat muss in das Gesundheits- und Bildungswesen investieren, denn die Zukunft Guatemalas sind junge Menschen." Ihr ältester Sohn besuchte eine Schule am Rande der Hauptstadt. Hier haben sich Eltern und Organisationen wie die ODHAG zusammengeschlossen, um das Recht auf Bildung für Grundschüler*innen zu stärken. Besonders betroffen sind Schulen in ländlichen Gebieten. 

In vielen Regionen Guatemalas setzt sich ODHAG in Zusammenarbeit mit Gemeinden, Kommunen und dem Bildungsministerium für die Wahrung der Kinderrechte ein und arbeitet eng mit Lehrer*innen, Eltern, Kindern und Jugendlichen zusammen, um die prekäre Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern.  ODHAG eröffnete eine eigene Klinik für psychologische und psychosoziale Beratung. Das gibt Hoffnung und es ist ein zivilgesellschaftlicher Anfang. Doch gefragt ist der guatemaltekische Staat, der verantwortlich für die Entwicklung der jungen Generation ist.

10.03.2023

Text: Daniel Siemund/Bearbeitung: Ursula Radermacher