Einschätzungen eines „Weltdienstlers“‎

Süd-Nord-Fachkraft Felipe Bley-Folly stellt in Deutschland Weichen für den Schutz indigener Völker in Brasilien: Gewalt und Diskriminierung gegen indigene Völker nehmen in Brasilien immer mehr zu. Als ‎eine der ersten Süd-Nord-Fachkräfte von AGIAMONDO arbeitet der brasilianische ‎Menschenrechtsanwalt Felipe Bley-Folly bei FIAN International in Heidelberg, damit die Guarani ‎und Kaiowá ihre Rechte verteidigen und ihre Siedlungsgebiete schützen können. Handlungs‎bedarf zur Verbesserung der Situation sieht er auch bei der EU.‎

Brasilien hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Land entwickelt, in dem die Demokratie angegriffen wird, die Gewalt zunimmt und die Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt. Seit dem parlamentarischen Putsch gegen Dilma Roussef 2016, der von den großen Medien des Landes unterstützt wurde, und der Wahl des rechtsex-tremen Jair Bolsonaro zum Präsidenten 2018, haben sich diese Spannungen verschärft. Auf autoritäre Weise betreibt die aktuelle Regierung den Abbau der Menschenrechte, die Privatisierung der natürlichen Ressourcen, der Staatsunternehmen und der öffentlichen Daseinsvorsorge. Darunter leiden viele Menschen, in besonderem Maße die indigenen Völker.

Vertreibung zugunsten industrieller Landwirtschaft

Dramatisch ist etwa die Lage der Guarani und Kaiowá, die zu den größten indigenen Völkern Brasiliens gehören. Allein im Bundesstaat Mato Grosso do Sul sprechen wir von etwa 43.000 Menschen. Seit Jahrzehnten werden sie durch die Ausbreitung der industriellen Soja-, Zuckerrohr- und Rindfleischproduktion von ihrem Land vertrieben. Aktuell sind sie mehr denn je Angriffen des Agrobusiness ausgesetzt und es wird immer unwahrscheinlicher, dass sie die offizielle Abgrenzung und Anerkennung ihres Landes durchsetzen können. Selbst bei Siedlungsgebieten, die wie im Fall Guyraroka bereits zu traditionellen indigenen Gebieten erklärt wurden, wurde der Demarkierungsprozess unterbrochen und mittlerweile widerrufen.

Wie auf kleinen Inseln leben viele indigene Völker mittlerweile zwischen Straßen und Landwirtschaftsflächen, die ihre Territorien förmlich einschließen.‎
Seit Generationen besiedeln indigene Volksgruppen wie die Guarani und Kaiowá das Land ihrer Vorfahren. Mit Zeremonien versuchen sie, ihr territoriales Erbe ‎zu schützen.‎

Advocacy gegen Menschenrechtsverletzungen

FIAN International und FIAN Brasilien unterstützen politische Versammlungen der Guarani und Kaiowá, Aty Guasu und die ausschließlich von Frauen geführte Aty Kuña, in Mato Grosso do Sul dabei, ihre Interessen zu verteidigen. Des Weiteren arbeitet FIAN mit dem Indigenen-Missionsrat CIMI der katholischen Kirche zusammen und trägt dazu bei, die Lage der Kaiowá und Guarani weltweit bekannt zu machen. Angesichts des autoritären Regimes und des zunehmenden Rassismus in Brasilien ist Advocacy das Gebot der Stunde. Im Dezember 2016 legte Aty Guasu mit Unterstützung seiner Partner der interamerikanischen Menschenrechtskommission eine Beschwerde über die systematischen Menschenrechtsverletzungen an den Guarani und Kaiowá vor, in der sie auch die ausstehende Demarkierung des Landes und die fehlende Aufklärung der Morde an Vertreter*innen der indigenen Völker beklagte.

Internationale Lobby- und Advocacy-Arbeit, Beschwerden bei regionalen und internationalen Menschenrechtskommissionen sowie Delegationen, die in Europa Lobbyarbeit machen, wirken erst auf lange Sicht und verfügen nur über schwache Instrumente zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Dennoch: Die Sichtbarkeit, die durch solche Aktivitäten erreicht wird, fördert die internationale Solidarität und erzeugt Druck auf die brasilianischen Institutionen.

EU in der Verantwortung

Alle Staaten sind für den Schutz der Menschenrechte verantwortlich – auch die Mitglieder der Europäische Union, die große Mengen Soja und Fleisch aus den Siedlungsgebieten der Guarani und Kaiowá sowie anderer indigener Völker importieren. Zwar erkennt das Europäische Parlament in der Resolution 2016/2991(RSP) die prekäre Situation der Guarani und Kaiowá an und mahnt die EU-Mitgliedsstaaten, verbindlich auf die Wahrung der Menschenrechte zu bestehen, wenn sie mit den verantwortlichen Unternehmen Handel treiben. Vor Ort geht die Vertreibung jedoch weiter.

Mehr denn je hat die internationale Zusammenarbeit die Aufgabe, die Industrieländer an ihre Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen in Staaten zu erinnern, aus denen sie Rohstoffe beziehen und in die sie – zur Mehrung des eigenen Wohlstands – ihre Güter exportieren. Programme wie der „Weltdienst“ unter Leitung von AGIAMONDO sind dafür ein entscheidendes Instrument, da Fachkräfte aus dem Süden die Möglichkeit erhalten, ihre Sicht und ihre Erfahrung im Norden einzubringen und dort Prozesse für eine gerechtere Verteilung zu fördern. 

 


Perspektivwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit

Felipe Bley-Folly ist brasilianischer Menschenrechtsanwalt und arbeitet im Rahmen des Programms „Weltdienst“ von AGIAMONDO seit 2018 für FIAN International in Heidelberg. Gemeinsam mit der internationalen Menschenrechtsorganisation unterstützt er die indigenen Völker Guarani und Kaiowá im brasilianischen Mato Grosso do Sul bei ihrem Widerstand gegen Landraub und Unterdrückung. Felipe Bley-Folly ist einer der ersten Fachkräfte, die aus einem Land des Südens nach Deutschland vermittelt wurden, um hier seine Perspektive einzubringen und das Engagement für soziale und ökologische Gerechtigkeit zu fördern und zu stärken.

 

Globale Solidarität für lokalen Widerstand

Im Kampf um ihr Land haben viele indigene Völker in Brasilien Genozid und politische Ausgrenzung erlitten. Zwar erkannte die Verfassung der Föderativen Republik Brasilien 1988 zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Autonomie und Selbstbestimmung der indigenen Völker an und räumte ihnen das Recht auf das Land ihrer Vorfahren ein. Die Realität sieht jedoch anders aus. Im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, der knapp so groß ist wie Deutschland, werden die Guarani und Kaiowá seit Jahren vertrieben und ihrer Lebensgrundlage beraubt. Doch viele indigene Völker wehren sich, so auch die Guarani und Kaiowá, die sich politisch organisieren, internationale Allianzen bilden und versuchen, ihre Territorien zurückzuerobern. Teil dieses Bündnisses sind auch FIAN International und FIAN Brasilien, die unter der Leitung von Aty Guasu, Aty Kuña und CIMI die Advocacy- und Lobbyarbeit ihrer Bewegung unterstützen und mit entwickeln.