Der Weg zur Versöhnung in Kolumbiens Pazifikregion

Interethnische Wahrheitskommission: Bei einem Gefecht zwischen Paramilitärs und der Guerillaorganisation FARC detoniert 2002 eine Zylinderbombe in der Kirche von Bojayá. Leyner Palacios* verliert dort 28 Familienmitglieder. Seitdem setzt er sich für die Opfer der Gewalt ein. Für ihn ist es zwingend, dass sich ein solches Drama niemals wiederholt. Aber wie die blutige Vergangenheit aufarbeiten? Seit 2018 unterstützt die Coordinación Regional del Pacífico Colombiano, die sich für die Rechte der indigenen und afro-kolumbianischen Bevölkerung einsetzt, die Bildung der Interethnischen Wahrheitskommission der Pazifikregion (CIVP). Sie soll Licht in die dunkelsten Abgründe der Gewalt bringen und den Weg in eine friedvolle Zukunft ebnen.

Bei der Coordinación arbeitet seit Mai diesen Jahres Eric Bejarano als Fachkraft des Programms Ziviler Friedensdienst der AGEH. Um sich auf seine neue Arbeit in Kolumbien vorzubereiten hat der 45-jährige Historiker und Anthropologe auch mit Experten in Guatemala und El Salvador über Erinnerungskultur gesprochen. Besonders prägend waren seine Gespräche über den bedeutenden Bericht „Guatemala Nie Wieder“, der die Verbrechen während des bewaffneten Konfliktes in Guatemala so ausführlich wie kein anderer schildert. Für die nächsten drei Jahre wird der Kolumbien-Experte die CIVP in Fragen der Wahrheitsfindung fachlich beraten, Methoden vermitteln und Advocacy Arbeit leisten, um weitere Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zu garantieren.

Die CIVP wird die Erinnerungen der Betroffenen und die historischen Vorfälle aufarbeiten sowie die Auswirkungen des Konfliktes auf den Pazifikraum (z.B. ökologischen und wirtschaftlichen Schäden und die Folgen für die Bevölkerung) untersuchen. Die Gründer gehen davon aus, dass Mord und Vertreibung auf ökonomische Interessen, wie z.B. Goldabbau und Ölpalmenanbau, zurückzuführen sind: Wie hat die Gewalt Großgrundbesitzer und Unternehmer begünstigt? Wer hat sich mitschuldig gemacht? Für diese und viele andere Fragen müssen Antworten gefunden werden. Ein Bericht wird der nationalen Wahrheitskommission, die aus dem Friedensabkommen zwischen dem Staat und den FARC-Guerillas hervorgegangen ist, zur Verfügung gestellt.

ZFD-Fachkraft Eric Bejarano
Kinder, unterwegs in ihrem Wohngebiet
Arbeitsgruppe mit Dionisio Rodríguez Paz, Jesús Albeiro Parra, Leidy Paz und Rocio Palacios (von links)

Für Padre Albeiro Parra** sind die Empfehlungen besonders wichtig, die im Bericht erscheinen müssen, denn diese sollen sicherstellen dass der kolumbianische Staat Pläne für eine kollektive Wiedergutmachung auch tatsächlich umsetzt. “Wenn wir langfristigen Frieden aufbauen wollen dann müssen wir sicherstellen dass es für die Menschen in der Pazifikregion Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung der Gewalt gibt”.

Das Mandat für die Interethnische Wahrheitskommission kommt von den schwarzen und indigenen Gemeinschaften. Es hat vier Jahre lang gedauert bis die CIVP endlich im Mai dieses Jahres, 17 Jahre nach dem Bojayá-Massaker, gegründet wurde. Vier Jahre lang reisten die Gründer bis in die entlegensten Dörfer, um dort mit Vertretern der Diözesen und Gemeindeführern über Wahrheitsfindung zu sprechen. Denn von Anfang an war klar dass die Art und Weise der Vergangenheitsarbeit von den Opfern selbst wesentlich mitbestimmt werden muss.

Barrio/ Wohngebiet in der Pazifikregion
Die Menschen stehen stundenlang Schlange für Wasser, das nur ein- oder zweimal pro Woche in ihrem Wohngebiet angestellt wird.
Teilnehmende des Planungsworkshop von CIVP***

Wichtig auf dem Weg zu Versöhnung sind nach ersten Erfahrungen auch Treffen zwischen Opfergruppen und Tätern und Zeremonien bei denen die Täter ihre eigenen Verbrechen anerkennen und dafür die betroffenen Gemeinden um Verzeihung bitten. Einen solchen Gedenk- und Entschuldigungsakt gab es bereits in Bojayá als Vertreter der FARC um Verzeihung für ihr Verbrechen baten. Leyner Palacios war bei diesem Akt dabei und hat die Entschuldigung entgegengenommen. “Ich habe gespürt, wie ich meine Würde zurückgewonnen habe”. Palacios wünscht sich dass alle Opfer die Möglichkeit haben dies zu spüren.



* Leyner Palacios ist Opfervertreter und Generalsekretär der CIVP. Er ist Mitbegründer des Komitees für die Opferrechte von Bojayá und wurde für seine Arbeit 2017 vom Global Centre for Pluralism ausgezeichnet. Als Opfervertreter hat er auch an den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und FARC in Havanna teilgenommen.



**Padre Albeiro Parra ist der Leiter der Coordinación Regional del Pacífico und ebenfalls Mitglied der CIVP. Er gehört auch der Diözese von Quibdó an. Er war langjähriger Leiter der Sozialpastorale der Diözese und hat die Kommission "Leben, Gerechtigkeit und Frieden" der Diözese  Quibdó ins Leben gerufen, um die Menschenrechte der vom Konflikt betroffenen Menschen zu verteidigen.

 

***Gruppenfoto: Leyner Palacios, Caren Castro, Eric Bejarano, Dionisio Rodríguez Paz, Iliana Gutierrez, Jesús Albeiro Parra, Leidy Paz, Eliana Lumbo, Mercedes Rentería, Rocio Palacios, Padre Johnny Milton Córdoba, ZFD-Koordinatorin Ulrike Hemmerling (von links)

 

Fotos/ Text: Bianca Bauer