Begeistert vom Zivilen Friedensdienst

Lida Losada

Sie entwickelt Programme, plant Strategien, vernetzt Institutionen und kümmert sich um Verwaltung und Finanzen – seit 2016 arbeitet Ulrike Hemmerling als ZFD-Koordinatorin in Bogota, Kolumbien. Was sie fasziniert und bewegt, erzählt sie in einem Interview.

„Es wird nie langweilig“

Seit zehn Jahren ist Ulrike Hemmerling dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) verbunden. Bevor sie 2016 als ZFD-Koordinatorin für die AGIAMONDO nach Kolumbien ging, arbeitete sie für DED/GIZ in Guatemala. Heute lebt die 46-jährige Dipl.-Psychologin mit ihrer Familie in Bogota.

Was hat Sie motiviert nach Kolumbien zu gehen?

Der Friedensprozess, der mich sehr interessiert, war in vollem Gange, als ich mich auf die Stelle als ZFD-Koordinatorin für AGIAMONDO bewarb. Außerdem stammt mein Mann aus Kolumbien und für unsere beiden Kinder ist es wichtig, das Land zu erleben.

 Was begeistert Sie am Zivilen Friedensdienst?

Als Koordinatorin reizt mich die große Bandbreite an Themen und Herausforderungen im ZFD. Das Programm engagiert sich in Krisen- und Konfliktregionen. Es stärkt Partnerorganisationen, die Veränderungsprozesse voranbringen wollen und hilft, Gewalt aufzuarbeiten und zu überwinden. Diese gesellschaftlichen Veränderungen sind ohne die Zivilgesellschaft undenkbar. Und doch fehlt es gerade ihr an technischer, finanzieller und moralischer Unterstützung.

Hier unterstützt der ZFD mit dem Entsenden von Fachkräften, Fortbildungen, Vernetzungen und Finanzierungen. Alleinstellungsmerkmale des ZFD im Spektrum der internationalen Zusammenarbeit sind die langfristige Begleitung und der Aufbau von Partnernetzwerken.

Wo liegen die Schwerpunkte des ZFD in Kolumbien?

 ZFD-Fachkräfte der AGEH unterstützen ihre Partnerorganisationen bei der Bearbeitung von Land- und Ressourcenkonflikten, gewaltbelasteter Vergangenheit und bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen. Die Zivilbevölkerung leidet unter dem mehr als 50 Jahre dauernden Bürgerkrieg und der Gewalt von Paramilitärs, Guerillagruppen, kriminellen Banden. Viele Menschen wurden von ihrem Land vertrieben, das danach umverteilt wurde und nun oft agroindustriell genutzt wird, z. B. für den Anbau von Palmöl, Bananen, Viehzucht.

Kolumbien ist mit ca. sieben Millionen intern Vertriebenen und der größten ungleichen Verteilung von Landbesitz weltweit in einer Spitzenposition. Ca. 1% der Landbesitzer verfügen über 80% des bebaubaren Landes. Landreform bzw. Rückgabe sind politisch hoch brisante Themen. Konfliktverschärfend werden zudem bäuerliche, afrokolumbianische und indigene Gemeinden durch Energiegewinnungs- und Bergbauprojekte bedroht. Der ZFD unterstützt kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen mit rechtlichen und psychosozialen Ansätzen sowie mit Theaterpädagogik, Friedensjournalismus, Advocacy oder Umweltmonitoring. Seit Abschluss des Friedensvertrages nehmen friedenspädagogische und versöhnungsorientierte Initiativen zu.  Allerdings nimmt die Gewalt in Kolumbien aktuell wieder zu, daher geht es immer auch um das Aufzeigen aktueller Menschenrechtsverletzungen und die Begleitung von Opfern der Gewalt.

Lida Losada
Lida Losada
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Lida Losada

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Projekte und Fachkräfte zu begleiten, ist ein Teil meiner Arbeit. Zudem widme ich mich aber auch Themen wie Programmentwicklung, strategischer Planung, Verwaltung und Finanzen, Planung, Monitoring, Sicherheitsbelange und Vernetzung. In der Koordination finde ich eine große Gestaltungsfreiheit und schätze die gute Teamarbeit mit meiner Koordinationskollegin Claudia Hurtado Rivas und den anderen Mitarbeitenden. Unsere Partnerorganisation Podion hilft uns sehr und wir erhalten viel Unterstützung von AGIAMONDO. Es wird nie langweilig und ich sehe, dass ich zu Veränderungsprozessen beitragen kann.

 

Gibt es ein Erlebnis, das Sie bei Ihrer Arbeit besonders beeindruckt hat?

Bei einem Workshop zu Vergangenheitsaufarbeitung sprachen die Teilnehmer*innen über Gewalterfahrungen. In der Atmosphäre von Trauer und Mitgefühl wurde der Wunsch laut, dass Schweigen zu brechen. Da fasste ein ehemaliger afrokolumbianischer Soldat den Mut zu sprechen: „Nach einem Gefecht blickte ich in die offenen Augen eines toten gleichaltrigen Guerilleros, der mir ähnlich sah. Das erschütterte mich und ich verstand, dass der Krieg nichts bringt. Heute will ich statt zu kämpfen, lieber Menschen zusammenbringen, deshalb arbeite ich mit Jugendlichen in einem Kulturprojekt gegen Gewalt.” Das hat mich sehr beeindruckt und auch in dem Glauben bestärkt, dass Veränderungen möglich sind.

 

Wie ist das Leben mit Familie in Kolumbien?

Lärm, Verkehr, Smog und Stress der 8-Millionenstadt Bogota sind sehr anstrengend. Das beeinflusst auch das Familienleben. Und da ich beruflich viel reise, ist der „Spagat“ zwischen Arbeiten und Familie nicht ganz einfach. Für meine Kinder ist es nicht immer leicht, dass ich ständig unterwegs bin. Viele Gespräche und Zuwendung erleichtern es. Doch ohne die Unterstützung meines Mannes und seiner Familie, könnte ich meine Arbeit nicht leisten. Daher sind die Auszeiten für uns als Familie wichtig, um gemeinsame Zeiten zu haben und Kolumbiens magische Seiten zu erforschen.

  

15.11.2019, Fotos: Lida Losada, Text: Ursula Radermacher