Fachkraftarbeit in Zeiten von Corona – Ursula Holzapfel, Kolumbien: „Ich kann meine Unterstützung jetzt in besonderer Weise anbieten“

AGIAMONDO-Fachkraft Ursula Holzapfel in Kolumbien

AGIAMONDO-Fachkraft Ursula Holzapfel arbeitet im Auftrag von Misereor als Koordinatorin von Maßnahmen zur Begleitung von Gewaltopfern aus afrokolumbianischen Gemeinden in der Diözese Quibdó im Departamento del Chocó in Kolumbien. Hier berichtet Sie, wie sich die Corona-Pandemie auf das Leben der Menschen vor Ort auswirkt und wie sich ihre Arbeit aufgrund der Beschränkungen verändert hat.

Warum haben Sie sich entschieden, in der aktuellen Krisensituation nicht in Ihr Heimatland zurückzukehren?

Meine Aufgabe ist hier vor Ort, und das eben nicht nur im „Normalfall“ – der hier wiederum so gut wie nie gegeben ist – sondern besonders dann, wenn es schwierig ist und ich meine Unterstützung in der psychosozialen und spirituellen Begleitung der Menschen, die Gewalt erlebt haben, in besonderer Weise anbieten kann und für diese Menschen da sein kann. Deshalb war es für mich keine Option, nach Deutschland zurückzukehren.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Alltag im Chocó?

Seit dem 20. März wurden die Menschen dazu aufgerufen, sich freiwillig zu isolieren, seit dem 24. März ist diese präventive Isolation für das ganze Land obligatorisch und zunächst bis zum 26. April verordnet. Jede Person darf einmal pro Woche für die Besorgung und Erledigung lebenswichtiger Dinge wie Arztbesuche oder Lebensmitteleinkäufe die Wohnung verlassen. Damit nicht alle am selben Tag vor die Tür gehen, werden die Ausgangstage über die Endnummern der Personalausweise geregelt, die Tagesszeit richtet sich nach dem Geschlecht: Frauen dürfen vormittags raus und Männer am Nachmittag. Das hat leider zur Folge, dass die Frauen keine Transportmöglichkeiten finden – die normalerweise von Männern angeboten werden – und deshalb die weiten Wege mit ihrem Einkauf zu Fuß zurücklegen müssen.

Im Chocó ist vergangene Woche die erste Person an COVID-19 erkrankt. Trotzdem hoffen wir, dass die Pandemie hier glimpflich verläuft. Es gibt hier keine Industrie und daher kaum Luftverschmutzung, was die Gefahr minimieren könnte, schwer an Corona zu erkranken. Auch sind die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen der alten und kranken Menschen bedeutend kleiner, als in den großen Ballungszentren.

Hat sich in Bezug auf den bewaffneten Konflikt durch die Krise etwas geändert?

Leider bleiben bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen bewaffneten Gruppen auch während der aktuellen Krise an der Tagesordnung und vor allem die Landbevölkerung, Indigene und Afrogemeinden müssen fliehen.

Welche Änderungen ergeben sich für Ihre Arbeit?

Aufgrund der aktuellen Situation hat sich meine Arbeitsweise stark verändert: Anstatt die Frauengruppen und Einzelpersonen, mit denen ich arbeite, persönlich zu treffen, halte ich den Kontakt zu ihnen, indem ich sie anrufe, ihnen WhatsApp-Nachrichten schreibe oder Sprachnachrichten hinterlasse.

Die Arbeit mit der Partnerorganisation läuft über Videokonferenzen und klappt ziemlich gut, sofern das Internet funktioniert und Strom da ist. Eventuell werden wir, wenn die Krise irgendwann vorbei ist, weiterhin solche Videokonferenzen durchführen, damit zukünftig auch diejenigen Teammitglieder an den Sitzungen teilnehmen können, die, die in den abgelegenen Gegenden leben und uns so besser vernetzen.

Wie gehen die Menschen im Alltag mit der Situation um? Ist die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert?

Die Supermärke sind eigentlich ziemlich gut bestückt, jedoch haben nur wenige Menschen das Geld, um auch nur das Notwendigste zu kaufen, da die Preise sich stark erhöht haben. Die Mehrzahl wartet auf humanitäre Hilfe. Allerdings gab es bei der Vergabe der Hilfsgüter einen Massenasturm, mittlerweile wird auch das über die Ausweisnummer geregelt.

Hier im Chocó leben mindestens 90 Prozent der Familien von der Hand in den Mund und darüber hinaus in den Städten auch unter extrem beengten Wohnverhältnissen und ohne fließendes Wasser. Viele müssen ihr tägliches Überleben auf der Straße sichern und ihr Zuhause ist oft nur ein Schlafplatz. Zwar bietet der Staat im Moment Hilfen für die Armen in Form von Geldzuweisungen und Lebensmittelpaketen an. Doch es gibt schon viele Klagen, dass längst nicht alle berücksichtigt werden. So wurden die fast 500 Flüchtlinge aus Venezuela, die es seit etwa einem Jahr hierhin verschlagen hat, bisher bei der Verteilung der Lebensmittel übergangen. Wir helfen ihnen dabei, Namenslisten zu erstellen um den Nachweis zu erbringen, dass es sich bei diesen Menschen tatsächlich um Migranten handelt, damit sie in Zukunft auch ihren Anteil bekommen. Dabei achten wir gleichzeitig darauf, dass keine sensiblen Daten der Personen herausgegeben werden.

 

Interview: Theresa Huth

23.04.2020