„Die Pandemie spielt den Täter*innen in die Hände“

Nery Rodenas, Direktor der erzbischöflichen Menschenrechtsorganisation ODHAG

Die erzbischöfliche Menschenrechtsorganisation ODHAG setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung des internen bewaffneten Konflikts und eine Kultur des Friedens in Guatemala ein. Die schwierigen Rahmenbedingungen haben sich durch die Corona-Krise noch verschlechtert. Dennoch sagt Direktor Nery Rodenas: Gemeinsam kann uns die Pandemie auch voranbringen. Hier berichtet Nery Rodenas von Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Situation in Guatemala und die Arbeit des Menschenrechtsbüros, das er leitet.

Wie hat sich die Coronavirus-Pandemie auf die allgemeine Situation in Guatemala ausgewirkt?

Die guatemaltekische Regierung setzte anfangs vor allem auf repressive Maßnahmen wie Ausgangssperren, anstatt mehr Mittel für den Gesundheitssektor oder bedarfsorientierte Aufklärungskampagnen bereitzustellen. Vor allem in den abgelegenen Regionen, in denen viele Indigene kein Spanisch sprechen, sind die Menschen über die Pandemie bis heute schlecht informiert.

Es kam auch zu Korruption beim Kauf von medizinischem Material und zu Missmanagement. Zwar wurde ein Krankenhaus extra zur Behandlung der vielen Corona-Erkrankten eingerichtet. Die Ärzte erhielten jedoch monatelang kein Gehalt.

Mittlerweile lockert die Regierung unter dem Druck der Wirtschaft die Auflagen. Nun hört man immer wieder von großen Privatfeiern der Elite, ohne dass die Polizei dort eingreift. Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle waren zu einer Jubiläumsfeier der Streitkräfte sogar mehr als 500 Gäste eingeladen. In den Armenvierteln hingegen wurden besonders zu Beginn der Pandemie Ausgangssperren brutal durchgesetzt.

Wie hat sich die Arbeit von ODHAG durch COVID-19 verändert?

Unser Engagement besteht zu einem großen Teil aus Fortbildungen rund um das Thema Menschenrechte. Die mussten wir aufgrund des Lockdowns erst mal alle absagen. Auch Gerichtsverhandlungen im Verfahren zum Genozid an der Ixil-Bevölkerung, welches wir jahrelang mit vorbereitet haben und bei dem wir die Nebenklage unterstützen, wurden suspendiert und bis heute nicht nachgeholt. Das ist ein großes Problem, denn viele Zeug*innen und Opfer, die wir begleiten, sind betagt und haben keine Zeit mehr zu verlieren. Die Pandemie spielt also den Täter*innen in die Hände, die die Prozesse verzögern wollen.

Was haben Sie unternommen, um Ihre Arbeit trotzdem fortzuführen?

Wir wollten auf keinen Fall zulassen, dass unser Engagement in Guatemala langfristig durch die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 beeinträchtigt wird. Also haben wir gemeinsam mit AGIAMONDO für die notwendige Ausstattung gesorgt, um im Rahmen der geltenden Kontaktbeschränkungen eine Weiterarbeit zunächst im Homeoffice und später auch im Büro mit Trennwänden und Hygienekonzept zu ermöglichen.

Für unsere Präsenz-Workshops haben wir alternative Online-Formate entwickelt. Teilnehmer*innen, die fernab jedes Glasfaserkabels leben, erhielten Mittel für Handyguthaben, um zumindest eine drahtlose Internetverbindung zu gewährleisten. So konnten wir mit den Menschen in Kontakt bleiben und gleichzeitig einen Überblick über die Situation im Landesinneren gewinnen.

Leider haben einige von uns durch COVID-19 auch Angehörige verloren, was sehr belastend war. Um die Situation zu bewältigen, erhielt das Team die Möglichkeit, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

In unseren praktischen Arbeitsprozessen haben wir viel dazugelernt, haben wir viel dazugelernt. Zum Beispiel, wie man interaktive Elemente in Video-Konferenzen einbaut oder Filme sinnvoll als Lehrmaterial nutzt. So gesehen hat uns die Corona-Pandemie nicht nur eingeschränkt, sondern auch ein ganzes Stück vorangebracht.

Text: Sandra Weiss

01.06.2021