"Das Tollste ist, wenn aus unterschiedlichen Sichtweisen eine Idee entsteht"

Als Sozialarbeiter und Kommunikationswissenschaftler hat André de la Chaux drei Jahre lang die timoresische Organisation "Ba Futuru" bei ihrer kreativen Friedensarbeit unterstützt. Seit Oktober 2022 ist er zurück in Deutschland und denkt dankbar an die Zusammenarbeit, die ihm gezeigt hat: Mit Gelassenheit und Flexibilität kann man unheimlich viel bewegen. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen.

 

Ba Futuru" heißt zu Deutsch "Für die Zukunft". Genau das ist das Programm der Organisation, für die ich von 2019 bis 2022 als AGIAMONDO-Fachkraft im Zivilen Friedensdienst in Timor-Leste gearbeitet habe. Ihr Ziel ist es, mit kreativen, künstlerischen Methoden eine friedliche Gesellschaft zu fördern, in der Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung gelebt werden. Dafür reisen die Kolleg*innen ins ganze Land, wo sie mit unterschiedlichen Zielgruppen Trainings im Bereich Theater, Film, Bürgerjournalismus oder Participatory Video entwickeln und durchführen.

 

André de la Chaux überreicht zusammen mit einem Gemeindepfarrer Certifikate an jugendliche Teilnehmerinnen.
Wie werden Kinder in Timor Leste leben? Viele Familien fragen sich, ob es gute Bildungschancen und friedliche Perspektiven für ihren Nachwuchs im Land geben wird.
Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen: André de la Chaux hat Erfahrungen in der Erlebnis-, Zirkus- und Theaterpädagogik.
Abseits der Hauptstadt Dili ist André de la Chaux auf dem Land unterwegs. Die eindrucksvollen Gebirgszüge mit versteckten Wasserfällen begeistern ihn.
Einblick in eines der Trainings mit Kolleg*innen, bei denen es inhaltlich um Themen wie Kinderarbeit, Gewalt gegen Frauen, Schulabstinenz oder die Praxis der Brautpreisverhandlung geht.

Kenntnisse aus der Erlebnis-, Zirkus- und Theaterpädagogik

Die Themen der Trainings reichen von Kinderarbeit über Gewalt gegen Frauen bis hin zu Schulabstinenz oder der Praxis der Brautpreisverhandlung. Viele meiner Kolleg*innen haben selbst Gewalt erlebt. Andere waren früher "Täter*innen". Heute wollen sie gemeinsam auf kreative Weise Veränderungen anstoßen. Durch meine IT-Ausbildung und meine Erfahrungen aus der Erlebnis-, Zirkus- und Theaterpädagogik konnte ich methodisch gut unterstützen und auch bei der technischen Umsetzung helfen. Da "Ba Futuro" seine Projekte allein über ausländische Geldgeber finanziert, braucht das Team dringend einen nachhaltigen Plan, damit es eine wichtige Arbeit langfristig fortsetzen kann.

Gemeinsame Idee aus unterschiedlichen Sichtweisen

Bevor ich nach Timor-Leste kam, war ich in Deutschland an mehreren Stellen als Sozialarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit tätig. Dort habe ich festgestellt, wie wichtig vertrauensvolle Beziehungen für eine gute pädagogische Zusammenarbeit sind. Sie aufzubauen braucht viel Zeit, Austausch und Geduld. Und manchmal muss man auch schwierige Phasen aushalten. Dieses Wissen hat mir bei meiner Arbeit in Timor-Leste viel Ruhe gegeben. Und mir ermöglicht, immer wieder dazuzulernen. Das Tollste war, wenn wir im Team aus unterschiedlichen Sichtweisen eine gemeinsame Idee entwickelt haben. Das macht für mich den Reiz bei der Arbeit im Ausland aus.

Gewaltgeprägte Geschichte Timor Lestes

Das Leben in Timor-Leste ist bis heute stark geprägt von den leidvollen Erfahrungen, die die Bevölkerung vor allem während der indonesischen Besatzung von 1975 bis 1999 machen musste. Damals wurden viele Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. Gewalt insbesondere gegen Frauen und Kinder ist leider immer noch bitterer Alltag. Zwar erlebt das Land mittlerweile einen wirtschaftlichen Aufschwung, jedoch wird in Bereichen wie dem Bildungssektor, der für die Zukunft gerade der jungen Generation so wichtig ist, kaum investiert.

Bezaubernde Natur mit Sandstränden, Gebirgszügen und Wasserfällen

Timor-Leste ist ein unglaublich schönes und vom Tourismus weitgehend unberührtes Land. Es gibt kilometerlange, menschenleere Sandstrände, eindrucksvolle Gebirgszüge, versteckte Wasserfälle. Jedes Mal, wenn ich aus der Hauptstadt Dili rauskam, war ich von der vielfältigen Natur überrascht. Gewohnt habe ich bei einer timoresischen Familie, deren Alltag ich mit allen Freuden und Sorgen hautnah miterleben durfte. Das war sehr intensiv. Auch für sie stellte sich die Frage, ob ihre Kinder zukünftig in einem Land leben werden, in dem es gute Bildungschancen und friedliche Perspektiven gibt.

Flexibel im Denken, mit Gelassenheit Lösungen finden

Ich habe in Timor-Leste viel über mich selbst gelernt, vor allem, flexibel im Denken zu bleiben und gelassener in der Lösungsfindung. Bei einer Großveranstaltung haben wir einmal ein Theaterstück vor mehreren tausend Menschen aufgeführt. Wir waren schon angekündigt, da fingen meine Kolleg*innen erst an, die Technik aufzubauen. Mein deutsches Ich sagte mir: Jetzt müssen wir aber loslegen, sonst gehen die Leute doch weg. Ich fühlte innerlich Stress. Meine Kolleg*innen machten ganz in Ruhe weiter und auch die Menschen im Publikum schauten völlig entspannt zu, was wir da trieben. Nur ich war im Stress. Die Aufführung war am Ende ein voller Erfolg.

10.01.2023

Text: André de la Chaux, Eva Maria Helm

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 3/2022. Zum Download der Gesamtausgabe.