866, 11, 74 – alle zwei bis drei Tage notiert sich Frank Kahnert die neuen Fallzahlen. 866 bestätigte Infektionen im Tschad seit Beginn der Corona-Krise, 11 aktuell Infizierte, 74 Menschen, die im Zusammenhang mit COVID-19 gestorben sind. Im internationalen Vergleich sind es niedrige Zahlen, die das tschadische Gesundheitsministerium gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an diesem 30. Juni 2020 veröffentlicht. Welche Realität sich hinter den Statistiken verbirgt, ist jedoch ungewiss.
„Viel greifbarer sind die Nebenwirkungen“
Denn die medizinische Versorgung und gesundheitliche Infrastruktur im Tschad sind schlecht. Die meisten Menschen leben in Dörfern, oft weit entfernt von schulmedizinisch ausgebildeten Fachkräften, Krankenhäusern oder Behörden, die potenziell Infizierte testen, Erkrankte pflegen, Fallzahlen dokumentieren. „Die tatsächliche Verbreitung von Sars-CoV-2 kennen wir daher nicht“, sagt Kahnert. Seit September 2019 leitet er als AGIAMONDO-Fachkraft die Dialog- und Verbindungsstelle von MISEREOR (DVS) in Tschads Hauptstadt N‘Djamena. Viel greifbarer, sagt er, seien die Nebenwirkungen, die die Pandemie in der Gesellschaft auslöse, und die das Leben und die Gesundheit vieler Menschen schwerwiegend beeinträchtigten.
Stillstand bedroht Existenzen
In einem Land ohne nennenswerte Sozialhilfe, in dem ein Großteil der Bevölkerung vom informellen Verkauf von Waren oder dem Angebot von Dienstleistungen lebt, führt der Stillstand des öffentlichen Lebens zum Verlust jeglicher Verdienstmöglichkeit, was schnell existenzbedrohend ist. „Offene Worte, die die Missstände benennen und Lösungen anmahnen, sind jedoch unerwünscht“, so Kahnert.
In der Vergangenheit sei es vielfach vorgekommen, dass Journalist*innen oder zivilge-sellschaftlich Engagierte für Kritik bedroht oder verhaftet wurden. Zudem berichteten Bürger*innen, dass patrouillierende Sicherheitskräfte nun noch rigider kontrollieren und scheinbare Verstöße gegen die Präventionsmaßnahmen bestrafen.