Alte Muster durchbrechen - In Timor-Leste fördern Friedenspädagog*innen gewaltfreie Verhaltens- und Unterrichtsmethoden an Schulen

Candido Belo da Luz ist stellvertretender Schulleiter der Eskola Sacrojes in Dili.

Körperliche Züchtigung und Gewalt an Schulen sind in Timor-Leste weit verbreitet. Ein schlecht ausgestatteter Bildungssektor, vor allem aber die in der Gesellschaft fortwirkende gewaltvolle Vergangenheit des Landes tragen dazu bei. An der Eskola Sacrojes, einer Schule in der timoresischen Hauptstadt Dili, unterstützt ZFD-Fachkraft Sandra Schweiger ein Team für Friedenspädagogik dabei, Lehrer*innen und Schüler*innen konfliktsensibles Verhalten und gewaltfreie Unterrichtsmethoden zu vermitteln.

„In der Zeit der portugiesischen Kolonialherrschaft und der indonesischen Besatzung wurde auch unser Bewusstsein kolonialisiert”, sagt Candido Belo da Luz, stellvertretender Leiter der Eskola Sacrojes, einer Schule in Dili, der Hauptstadt Timor-Lestes. Eltern wie Fachkräfte seien geprägt von Unterdrückung, Gewalt, Angst und Misstrauen – ein Erbe, das nicht nur die Gesellschaft an sich, sondern auch den Alltag der Schüler*innen stark beeinträchtigt.

Denn: Körperliche Züchtigung und Gewalt gehören in den meisten Bildungseinrichtungen des Landes zur gängigen Disziplinierungspraxis. Im Unterricht gilt es, dem Lehrervortrag zu folgen, Inhalte abzuschreiben und auswendig zu lernen. Widersprüche oder das kritische Hinterfragen von Sachverhalten werden unterdrückt statt gefördert. An der Eskola Sacrojes soll sich das aber ändern.

Individuelles Lernen fördern

Seit einem Jahr engagieren sich Belo da Luz und seine Kollegin Alda Jesus de Carvalho zusammen mit der ZFD-Fachkraft Sandra Schweiger dafür, im Rahmen eines Projektes zur Friedenspädagogik gewaltfreie Strukturen an der Schule zu stärken. Ein Schwerpunkt des Programms ist der Unterricht für Friedenserziehung, der ab der 11. Klasse an fünf Tagen in der Woche stattfindet, und bei dem auch Lehrer*innen hospitieren können. „Wir leiten die Jugendlichen mit partizipativen Methoden dazu an, ihre Talente, Stärken und Schwächen zu reflektieren, und fördern ihre kreative kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Inhalten”, erläutert Sandra Schweiger den Lehrplan. Ziel ist es, freies individuelles Lernen zu ermöglichen und konfliktsensibles Verhalten einzuüben. Ein vertrauensvoller Umgang zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen sei hierfür eine wichtige Voraussetzung, so Schweiger.

Gewaltfreie Kommunikation im Fokus

Um das zu unterstützen, liegt ein weiterer Schwerpunkt des Projekts auf der Weiterbildung der Lehrkräfte. „Zwei Mal im Monat bieten wir Trainings an, in denen wir zum Beispiel alternative Strategien erarbeiten, um Disziplin in der Klasse herzustellen”, sagt Schweiger. Der Fokus dabei ist vor allem auf gewaltfreie Kommunikation gerichtet. „Wir sprechen aber auch über die Konsequenzen physischer Gewalt oder ganz allgemein über die professionelle Planung und Durchführung partizipativen Unterrichts.”

Einem Großteil der Lehrer*innen fehlt es aufgrund ihrer unzureichenden Ausbildung an diesem Wissen. Sandra Schweiger hat jedoch das Gefühl, dass die Unterstützung des Friedenspädagogik-Teams gut angenommen wird, vor allem von jungen Lehrer*innen. Sie berichten ihr, dass sie zunehmend Methoden zur positiven Disziplin einfließen lassen, weniger schlagen und abwechslungsreichere didaktische Materialien verwenden.

Candido Belo da Luz ist stellvertretender Schulleiter der Eskola Sacrojes in Dili.
ZFD-Fachkraft Sandra Schweiger (Mitte) ist Mitglied des Friedenspädagogik-Teams, das sich hier trifft.
Schüler*innen bei Gruppenübungen im Klassenzimmer.
Schulung der Fachkräfte in gewaltfreier Kommunikation und in partizipativen Unterrichtsmethoden.

Veränderung braucht Zeit

Letztlich müsse der Frieden von jedem einzelnen kommen, sagt Candido Belo da Luz. Doch Verhaltensänderungen brauchen Zeit. Belo da Luz geht es vor allem darum, Lehrer*innen und Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, Gewalterfahrungen zu hinterfragen, alte Muster zu durchbrechen und das Gefühl von Partizipation zu erleben. „Nur so kann Timor-Leste eine positive, politisch stabile Zukunft ohne Konflikt und Zerstörung erleben.” Im kommenden Jahr sollen die Unterrichts- und Trainingsinhalte des Projektes auch an anderen Schulen des Landes verbreitet werden.

Timor-Leste – kleiner Staat vor großen Herausforderungen

Timor-Leste hat zwei Kolonialregime erlebt, die fast 500-jährige portugiesische Kolonialherrschaft und die gewalttätige Besatzung durch Indonesien (1975-1999), während der nahezu 200.000 Menschen ums Leben kamen. Bis zur Unabhängigkeit 2002 wurden Hunderttausende vertrieben, die Infrastruktur nahezu vollständig zerstört. Seitdem versuchen die 1,2 Millionen Timoresen ihr Land, das so groß ist wie Schleswig-Holstein, wiederaufzubauen. Jedoch: Bis heute gibt es eine erschreckend hohe Zahl an Menschen mit Mangelernährung. Regierungsstrukturen und auch das Bildungssystem sind fragil. In der Gesellschaft schwelen zahlreiche Konflikte. Banden, die vor allem arbeitslose Jugendliche ansprechen und deren Einfluss bis in die Führungsebenen reicht, bekämpfen sich vielerorts gegenseitig auf offener Straße. Das Vertrauen der Menschen untereinander ist schwer erschüttert. 2018 gelang es der Regierung nach vorgezogenen Parlamentswahlen nur knapp, eine arbeitsfähige Koalition zu bilden. Deren Zukunft ist aufgrund diverser Personalwechsel jedoch ungewiss.

Das ZFD-Landesprogramm von AGIAMONDO in Timor-Leste unterstützt Schulen, Ausbildungsstätten für Lehrkräfte und Medienstationen dabei, friedliche Konfliktlösung sowie zivile Teilhabe durch Pädagogik, Medien und gewaltpräventive Maßnahmen zu fördern.

Text: Sandra Schweiger, Eva Maria Helm; Fotos: Sandra Schweiger/Eskola Sacrojes