"Unsere DNA ist aber Dialog, Partnerschaft und Beziehung", betonte Vehrenberg. AGIAMONDO sei eine internationale Organisation, die mit Menschen aus verschiedensten Ländern der Welt zusammenarbeite und auch innerhalb der Mitarbeiterschaft sehr divers sei, ergänzte Dr. Clara Braungart, Referentin der Geschäftsführung und Sicherheitsbeauftragte bei AGIAMONDO. Beide ermutigten die Anwesenden, in die Begegnung und den Austausch zu gehen und Erfahrungen zum Thema zu teilen.
Fortwirkende Machtstrukturen
Raum dafür gab es an dem Tag genug. Gleich zu Beginn konnten sich die Teilnehmer*innen in kleinen Gruppen zu ihren eigenen Berührungspunkten und Fragen zum Thema austauschen. Hier fielen Worte wie Ambivalenz, Privilegien und das Weltdienst-Programm, aber auch provokante Fragen wie "Wenn wir von Erbe sprechen: Wer ist denn überhaupt tot?"
Dass koloniale Strukturen bis heute fortwirken, machte auch Valérie Viban in seinem Vortrag deutlich. Der gebürtige Kameruner ist seit zwei Jahren Süd-Nord-Fachkraft im Weltdienst-Programm von AGIAMONDO. Er arbeitet bei Justitia et Pax in Berlin zum Umgang mit dem kolonialen Erbe. In der Auseinandersetzung mit dem Thema vermisse er die Stimmen und Perspektiven von Afrikaner*innen, um Gerechtigkeit herstellen zu können. Dennoch ist er zuversichtlich: "Institutionen mögen starr sein, aber Menschen, die in ihnen arbeiten, sind es nicht. Ihre Interessen und Handlungen können sich ändern."
"Heute bin ich bei dir Gast"
Am Nachmittag gab es weitere Inputs von Maximilian Engl, der bei AGIAMONDO Trainings zu Kulturbewusster Kommunikation gibt, und von Dr. Friederike Repnik, ZDF-Beraterin auf Zeit zum Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit. "Es geht immer um Beziehungen", betonte Repnik in ihrem Vortrag. Sie erklärte, welche Spuren jahrzehntelange Kriege, wie zum Beispiel in Kolumbien, bei den Menschen hinterließen und wie groß das Misstrauen in Beziehungen fortan sei. Repniks konkrete Handlungsempfehlungen, um Verbindungen herzustellen: Mit den Menschen sprechen, nicht über sie. Ehrlich sein. Mitfühlen. Im Bestreben, alles richtig machen zu wollen und unbehagliche Situationen möglichst zu vermeiden, vergäßen wir im Miteinander manchmal, den Blick von uns auf unser Gegenüber zu richten und zu fragen: Wie es geht es dir? Wie empfindet ihr die Situation?
Oder wie Pater Kessler es in einer kurzen, aber eindrücklichen Ansprache ausdrückte: "Heute bin ich bei dir Gast." Es brauche die Bereitschaft, Unrecht anzuerkennen und sich zu solidarisieren. Gleichzeitig lud er die Anwesenden ein, neugierig zu bleiben und auf das Heute zu schauen.
Was tun – ganz konkret?
Das traf einen Nerv bei etlichen Teilnehmer*innen, die sich im Austausch fragten: Was können wir jetzt und ganz konkret tun, um koloniale Strukturen nicht weiter zu reproduzieren? "Das Thema wird wegen der vielen Begrifflichkeiten – Dekolonisation, Critical Whiteness, Machtkritik – schnell abstrakt", meinte Diana Peynado, Mitarbeiterin im Team Verträge und Soziale Sicherung. Sie fand die Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig, wünscht sich aber mehr Fokus auf konkrete Situationen.
"Es ist wichtig, in den Teams an den kleinen Dingen zu arbeiten, statt an der Wucht des Themas zu verzweifeln", schlug Zelda Baako vor, die seit zwei Jahren in der Personalgewinnung arbeitet."Wie gehen wir miteinander um?" "Wer kommt zu Wort, beziehen wir alle mit ein?" "AGIAMONDO trage mit seiner Arbeit bereits ein großes Stück dazu bei, Verantwortung zu übernehmen und Fehler wiedergutzumachen."
Die Einbeziehung der Süd-Nord-Fachkräfte in die Arbeit der Gremien könne ein Schritt zu mehr gleichberechtigter Zusammenarbeit sein, gab AGIAMONDO-Geschäftsführerin Dr. Claudia Lücking-Michel im Gespräch zu bedenken. Johannes Holz, Berater auf Zeit des Weltdienst-Programms, überlegte, das Thema Unternehmensbewusstsein mit den Perspektiven der Süd-Fachkräfte stärker in den Blick zu nehmen.
"Das Wichtigste heute und in der Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlichster Hintergründe ist es, Erfahrungsräume zu schaffen", betonte Friederike Repnik. Das fange schon bei Begegungen zwischen Geschäftsleitung und Hausmanagement in den Gruppenarbeiten an, ergänzte Maximilian Engl, der die Auseinandersetzung mit dem Thema Kultur und koloniale Kontinuitäten mit einer Wildwasser-Fahrt verglich, "es ist nicht einfach, einen Kurs zu finden." Die Fortbildung der AGIAMONDO-Mitarbeiter*innen war einer von vielen Schritten, es dennoch zu tun.
21.09.2022
Text: Eva Tempelmann