Interreligiöse Kooperationskreise engagieren sich für den Frieden

ZFD-Fachkraft Laura Schwiertz (vorne Mitte) und die Gruppe, die am Participatory-Video-Workshop in Mafraq teilnimmt.

Für die Friedensarbeit von URI MENA (United Religions Initative Middle East North Africa), dem größten Graswurzelnetzwerk im Nahen Osten und Nordafrika, spielen interreligiöse Kooperationskreise eine zentrale Rolle. Laura Schwiertz arbeitet als ZFD-Fachkraft beim regionalen Ableger von URI in Amman/Jordanien.

 

"Die gemeinsame Weisheit unseres Wissens macht die Welt zu einem besseren Ort. Lasst uns das Wissen jeder Religion, ihren spirituellen Ausdruck und die indigenen Traditionen respektieren." So beschreibt die United Religions Initiative (URI), eine weltweite Bewegung aus den USA den Kern ihrer Mission.

Von Amman aus arbeitet ihr regionaler Ableger URI MENA, die über 90 Kooperationskreise in 14 Ländern koordiniert. "Wir wollen das friedliche Zusammenleben aller Menschen aus der MENA-Region wiederbeleben und sie als einen Ort darstellen, an dem Menschen mit verschiedenen Glaubensrichtungen und Überzeugungen zusammenleben", beschreibt Regionalkoordinator Mamoun Khreisat. Nicht immer einfach, denn auch Israel und Palästina gehören zu den Mitgliedsländern. Die NGO sei das größte Graswurzelnetzwerk in der MENA-Region, sagt Khreisat. "Unser Ansatz ist umfassend: Wir arbeiten mit Regierungsvertretern und etablierten großen Organisationen durch Top-Down-Ansätze. Gleichzeitig aber auch mit informellen Initiativen und Gruppen von unten nach oben."

Graswurzelarbeit bedeutet für mich, die Stimmen zu hören, die nicht oft gehört werden, und die Menschen zu befähigen, das Beste aus sich herauszuholen.

Mamoun Khreisat, Regionalkoordinator URI MENA

Oft geschieht der interreligiöse Dialog in Alltagssituationen. Zum Beispiel beim Müllsammeln und anschließendem Grillen in einem Park in Amman. Als sich die URI-Gruppe dafür traf, sprach sie über die Bestattungs- und Hochzeitstraditionen ihrer Religionen, berichtet Laura Schwiertz, Fachkraft im Zivilen Friedensdienst (ZFD) von AGIAMONDO. Es reichte, einen Themenimpuls zu geben, damit die Menschen ins Gespräch kamen, "ohne, dass ausdrücklich 'interreligiöser Dialog' darüberstehen musste".

 

Mamoun Khreisat und Anwohner während des Community Services "Cleaning Forest", bei dem es auch um Bewusstseinsbildung für Umweltfragen geht.
Mamoun Khreisat, Regionalkoordinator von URI MENA, auf der PEACE-Konferenz mit Erasmus-Plus-Teilnehmern. Sozialarbeiter*innen aus fünf Ländern tauschen sich zum Thema Nachhaltigkeit und Frieden aus.
Das URI-MENA-Team aus Amman und URI-MENA-Kooperationskreise aus Saudi-Arabien und dem Irak während eines Art-Workshops in Ma´an, bei dem auch eine Erasmus-Gruppe mit dabei war.
Die URI-Mena-Freiwillige Lisa Inacio bestaunt das neue Magazin. Es ist die erste Publikation von URI MENA, die Beiträge aus fast allen Mitgliedsländern enthält, auch aus Israel und Palästina.
Team URI MENA mit Praktikant*innen und Laura Schwiertz (vorne links) bei einem Research Trip in Ma'an.

Vernetzung und Kommunikation der "Circles"

Seit über einem Jahr arbeitet Laura Schwiertz in der URI-MENA-Zentrale. Sie hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung und sorgt als Kommunikationsmanagerin dafür, dass UM durch ihre Öffentlichkeitsarbeit bekannter wird und die Mitglieder sich bei Veranstaltungen vernetzen. Außerdem bietet sie Medien-Schulungen an und berät einzelne Kooperationskreise (Circles), wie sie sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit breiter aufstellen können. Dabei hilft ihr, dass sie zehn Jahre lang als freie Journalistin für Medienanstalten in Deutschland berichtet hat.

Wir bestärken die Menschen, ihre religiösen Wurzeln zu festigen und mit den anderen zu teilen. Es geht darum, alltägliche und friedliche interreligiöse Begegnungen zu ermöglichen.

Laura Schwiertz, ZFD-Fachkraft bei URI MENA

"Dank Laura Schwiertz haben wir eine viel stärkere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit", sagt ihr Vorgesetzter Mamoun Khreisat. "Alle Veranstaltungen werden in kurzen Filmen festgehalten, ausführliche Berichte werden geschrieben. Sie ermutigt unsere Kooperationskreise, sich mehr um die Sichtbarkeit zu bemühen, und sie hat ein wunderbares Magazin erstellt, in dem die meisten unserer Kooperationskreise etwas über ihre Arbeit berichten."

Kreise bleiben eigenständig

Die 90 "Circles", in denen sich Erwachsene, Jugendliche und Kinder engagieren, bilden die Keimzellen der Organisation. Bedingung für die Gründung eines Circles bei URI MENA ist, dass deren Mitglieder mindestens drei verschiedene Diversitäten repräsentieren. Das heißt, dass sich mindestens drei Menschen unterschiedlichen Religionen, deren Konfessionen, indigenen Traditionen oder spirituellen Praktiken zuordnen oder  sich als Atheist*innen verstehen. "Es ist eine lose Zusammensetzung von Menschen, die sich in ihrer Nachbarschaft oder Community für dasselbe Ziel einsetzen und sich bei uns registriert haben", erklärt ZFD-Fachkraft Schwiertz. "Sie sind damit Mitglieder, bleiben aber eigenständig und haben ihre eigene Satzung."

Freiwillige von URI MENA tragen gespendete Essenspakete aus dem Auto. Damit unterstützen sie den Ramadan Kareem Community Service in einer syrischen Flüchtlingsgemeinde.
URI MENA und Desert Bloom Cooperation Circle hosten Teilnehmer*innen einer Studiengruppe eine Woche lang zum Thema "Peace of Mind". Hier setzen sie bei einem Workshop Pflanzen gegen Desertifikation (Wüstenbildung).
Mohammed Jarrar and Abdullah Al_Abdullah schneiden ihr eigenes Filmmaterial zum Thema "Gewalt gegen Frauen" im Participatory-Video-Workshop (von links).
Mohammed Jarrar (Mitte) und zwei weitere Teilnehmerinnen während eines partizipativen Video-Workshops.
Laura Schwiertz, Rania Mohammed Alstalifat und Salsabela Abd Alsalam Shdefat erkunden gemeinsam die Features der Editing-App für den Filmschnitt (von links).
Imad Nababteh vom Kooperationskreis Desert Bloom moderiert einen partizipativen Video-Workshop.

Die Mitgliedschaft bei UM hat für diese Gruppierungen zahlreiche Vorteile. Zum Beispiel können sie den Status von UM als Nichtregierungsorganisation nutzen und sich auf internationale Projektausschreibungen bewerben. Die Circles haben unterschiedliche Schwerpunkte. So gibt es in Amman eine Gruppe, die Spendenaktionen und Ausflüge für vernachlässigte Kinder durchführt. Ein Kreis aus Mafraq an der syrischen Grenze setzt sich für Witwen und Waisen ein. Mit ihm hat Laura Schwiertz einen fünftägigen Workshop zur Herstellung von partizipativen Videos durchgeführt, der spannende Filmprojekte hervorbrachte. 

Für den Kooperationskreis Desert Bloom engagiert sich der 35-jährige Imad Nababteh als Projektmanager, Moderator und Antragsteller. "Wir organisieren Schulungskurse, internationale Konferenzen, Englischunterricht, Forschungsaustausch, machen Arbeit gegen Radikalisierung, unterstützen Studierende bei Reisen und der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten und engagieren uns in Umweltfragen", beschreibt er die Aufgabenpalette.

Kontakt zu anderen Religionen ist in Jordanien normal. Als Muslim habe ich Christen, Juden, Bahais, Wahabiten, Ahmadi und Atheisten als Freund*innen bzw. Kolleg*innen. Durch den Kooperationskreis weiß ich mehr über die Ahmadi und die Bahai-Religion.

Imad Nababteh, Kooperationskreis Desert Bloom

Wissenswert

Mit ihrem Anliegen des interreligiösen Dialogs für den Frieden fühlt sich URI MENA in Jordanien gut aufgehoben. Die Beziehungen zwischen Islam und Christentum gelten traditionell als gut. "Jordanien hat eine sehr lange Geschichte als gastfreundlicher Staat", sagt Regionalkoordinator Mamoun Khreisat. "Menschen mit unterschiedlichem religiösem und kulturellem Hintergrund können hier in Frieden leben. Wir finden ein sehr gutes Umfeld, um von hier aus unsere Botschaft der Gastfreundschaft und des Respekts zu verbreiten." Dem Islam gehören über 97 % der Bevölkerung an, darunter überwiegend Menschen sunnitischen Glaubens. Laut jordanischer Verfassung ist der Islam Staatsreligion, es herrscht aber Religionsfreiheit. Zum Christentum gehören gut zwei Prozent der Bevölkerung. Auch Minderheiten von Buddhisten, Hindus, Juden, Jesiden, Bahai und Drusen leben im Land. Dass URI MENA Gruppen von Jesiden, Bahai und Drusen eine Plattform für Konferenzen, Trainings und Workshops gab, um ihren Glauben vorzustellen, zählt Mamoun Khreisat zu den wichtigsten Erfolgen der Organisation.
(Quellen: URI MENA, World Factbook)

 

Laura Schwiertz, selbst evangelische Christin, fühlt sich wohl in ihrem religiös diversen, sechsköpfigen Team und schätzt die respektvolle Atmosphäre: "Die Kollegen senden mir an christlichen Feiertagen immer schon morgens Glückwünsche", sagt sie. "Auf der anderen Seite esse und trinke ich selbstverständlich im Ramadan nichts im Büro, wenn Muslim*innen im Raum sind – obwohl alle betonen, dass dies nicht notwendig ist." URI MENA, so sagt Laura Schwiertz, sei eben wie eine Familie.

21.09.2022

Text: Carmen Molitor