Wenn der Regen zum Fluch wird

Im Einsatz gegen die Folgen einer der schlimmsten Dürrekatastrophen seit 1981 unterstützt MISEREOR seine Partner in Kenia bei Nothilfe- und Präventionsmaßnahmen.

 

Zwei Jahre lang hat es in Teilen Nordkenias nicht mehr geregnet. Die Folgen der extremen Dürre bedrohen die Lebensgrundlagen der Menschen. Schon jetzt leiden Millionen an akuter Unterernährung und geraten in Konflikte um die Nutzung und Verteilung der immer knapper werdenden Ressourcen. Gemeinsam mit seinen kenianischen Partnern setzt sich MISEREOR für eine Verbesserung der Situation ein.

Als es im Januar 2022 in Marsabit County zu regnen beginnt, ist der Boden so ausgetrocknet, dass er kein Wasser mehr aufnehmen kann. Zwei Jahre in Folge sind in manchen Gegenden Nordkenias die Niederschläge ausgeblieben. Jetzt brechen die Wolken auf und gießen literweise Wasser aus, weit mehr als gewöhnlich. Es dauert nur wenige Augenblicke, dann sind aus Rinnsalen Bäche und aus Bächen Fluten geworden. In der kargen steinigen Fläche hält die Wassermassen kaum etwas auf. Hunderte Schafe und Ziegen, die von Dürre ausgezehrt und geschwächt sind, können nicht mehr fliehen.

Ausgetrockneter Boden mit tiefen Rissen
Ausgezehrt von der Hitze und ohne ausreichend Nahrung und Wasser verenden viele Tiere. Pastoralisten, die von der Viehhaltung leben, verlieren damit ihre Lebensgrundlage.
Wenn aufgrund des ausbleibenden Regens Quellen versiegen, müssen die Menschen immer tiefer graben, um Wasser zu finden.

Aus einer Katastrophe entsteht die nächste

"Mindestens 1500 Tiere sind bei den Überschwemmungen Anfang des Jahres ertrunken", berichtet Kamila Krygier, die in Kenias Hauptstadt Nairobi die Dialog- und Verbindungsstelle von MISEREOR leitet. Dort koordiniert und unterstützt sie die Zusammenarbeit mit den kenianischen Partnerorganisationen. Viele der lokalen NGO's setzen sich im Wassersektor, im Bereich ländlicher Entwicklung oder auch in der Friedensförderung für die Menschen in Kenia ein. Sie verfolgen die extremen Wetterlagen genau und die Not der pastoralen und bäuerlichen Bevölkerung, die durch sie entsteht.

So paradox es auch erscheinen mag, dass Vieh in Zeiten der Dürre ertrinkt, so sind Sturzfluten ebenso wie extreme Trockenheit Auswirkungen der Erderwärmung und für die Menschen vor Ort der Beginn eines Teufelskreises. Denn die meisten sind abhängig vom Zugang zu Wasser und der Nutzung der Böden – ob als Weideland für ihr Vieh oder landwirtschaftliche Nutzflächen für den Ackerbau. Versiegt der Regen, geht diese Grundlage verloren und damit alle Erträge, auf denen die Existenz der Menschen aufbaut. Aus einer Katastrophe entsteht die nächste.

Ringen um das, was bleibt

Ernährungssicherheit ist die eine Sache, die auf dem Spiel steht. Sozialer Frieden ist eine andere. Um noch Weideflächen zu finden, sind viele Hirtenfamilien gezwungen, ihre Heimatregion zu verlassen. Oft wandern sie kilometerweit auf der Suche nach Wasser und Futter für die Tiere. Dabei durchqueren oder nutzen sie Gebiete, die bereits andere Gemeinschaften für sich beanspruchen. Es kommt zu Konflikten, die oft in Gewalt münden.

 

Wissenswert

Der Klimawandel und die Ernährungsunsicherheit verschärfen die Situation in Kenia: Seit knapp zwei Jahren herrscht in dem ostafrikanischen Land eine extreme Dürre, die unter anderem durch die globale Erwärmung verursacht wird. Die Folgen sind vertrocknete Böden, Missernten, Wasserknappheit, aber auch Überschwemmungen und Insektenplagen. Sie treffen auf ein fragiles System, in dem Millionen Menschen und Tiere von einer intakten Umwelt abhängig sind. Verstärkt durch die inflationsbedingte Preissteigerung bei Öl und Weizen, sind  jüngsten UN-Berichten zufolge allein in Kenia etwa 2,8 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Bereits im September 2021 machte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta auf die durch die Dürre entstehende Notlage aufmerksam und rief den Katastrophenfall aus. Die Situation wird sich nun noch verschärfen, da Kenias Weizenimporte zum größten Teil aus der Ukraine kommen und durch den dortigen Krieg bis auf Weiteres ausfallen.

 

"Zurzeit werden diese Spannungen noch verschärft, da bald Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden", so Krygier. Die politischen Rivalen nutzten die prekäre Situation aus, um Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzustacheln. Aufgrund der wirtschaftlichen Notlage vieler Menschen steige außerdem die Anfälligkeit für Bestechung und politische Manipulation und damit das Risiko, dass im Kontext der anstehenden Wahlen die Gewalt eskaliert.

Frieden ist eine wichtige Voraussetzung

Um die Menschen in Kenia direkt, aber auch nachhaltig zu unterstützen, ist Konfliktprävention daher immer ein wichtiger Teil des Engagements der MISEREOR-Partner vor Ort. Viele Organisationen fördern derzeit den Aufbau neuer Versorgungssysteme wie solarbetriebene Brunnen oder Wasserspeicher – die meisten mit einer Friedenskomponente, indem sie die Nutzer*innen des Wassers in das Management der Systeme einbinden. So können sie auf Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit Einfluss nehmen. Andere Initiativen begleiten Gemeinschaften dabei, ihr Land als Gruppe zu registrieren, um Rivalitäten und Vertreibung vorzubeugen. "In einigen ländlichen Projekten bemühen sich unsere Partner auch, traditionelle ökologische Landwirtschaftsmethoden zu reaktivieren, damit die Erträge besser werden", so Krygier.

Bewältigung und Anpassung unterstützen

Auf diese Weise gehen Maßnahmen zur Bewältigung der akuten Notlage Hand in Hand mit dem Aufbau von Strukturen zur Anpassung an die veränderten Bedingungen. MISEREOR begleitet diese Arbeit in Form von Dialog, Beratung, Vernetzung und Weiterbildung. "Wir bemühen uns außerdem, die Perspektive unserer Partner international sichtbar zu machen", sagt Krygier. Aktuell begleitet ein Vertreter der Partnerorganisation "Power Shift Africa", die sich für erneuerbare Energien in Kenia einsetzt, die Lobbyarbeit von VENRO für die G7-Präsidentschaft Deutschlands.

Den Regen wird das nicht zurückbringen, aber hoffentlich die Erkenntnis fördern, dass es mehr gemeinsamer Anstrengung bedarf, um den Klimawandel zu stoppen, dessen Auswirkungen schon heute die Existenzen von Millionen Menschen am Horn von Afrika bedrohen.

01.05.2022

Text: Kamila Krygier

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2022. Zum Download der Gesamtausgabe und der PDF-Version des Artikels.