"Nein" zu Fracking in Kolumbien

Bianca Bauer

In Kolumbien plant die Regierung, erstmals Fracking zur kommerziellen Ölförderung einzusetzen. Klima- und Umweltschützer*innen protestieren. Sie befürchten schwerwiegende Folgen für das Ökosystem.

 

Die Organisation Corporación Podion engagiert sich in vielen Teilen Kolumbiens für Umweltschutz und Menschenrechte. Gemeinsam mit lokalen Umweltaktivist*innen kämpft die Organisation gegen die klimaschädliche Fracking-Technologie. Doch allen Protesten zum Trotz genehmigte die nationale Umweltbehörde Ende März ein Pilotprojekt in der Gemeinde Puerto Wilches.

Es ist schon fast Mittag und die Sonne steht hoch. Jan van der Weijst geht von Tür zu Tür, um die Einwohner*innen des Dorfes namens Kilometro 8 zu einem Treffen einzuladen, bei dem es um die Auswirkungen des ersten Fracking-Projekts gehen soll. "Wissen Sie, wie viele Bohrlöcher im Magdalena-Becken geplant sind, falls das Vorhaben umgesetzt wird?", fragt er eine junge Frau, die vor ihrem Haus im Schatten sitzt und einen Fisch ausnimmt. "Fast 13000", fährt der Holländer fort. Seit 2021 arbeitet er als Fachkraft im Zivilen Friedensdienst von AGIAMONDO für die Corporación Podion in Kolumbien, die Gemeinden bei der Durchsetzung ihrer Interessen in Land- und Umweltkonflikten unterstützt. Es ist ein historischer Moment: Die Zeit wird knapp, Fracking in Kolumbien noch aufzuhalten.

Energiegewinnung versus Umweltschutz

Vor zwei Jahren hat die nationale Behörde für Kohlenwasserstoffe (ANH) mit dem halbstaatlichen Ölunternehmen Ecopetrol einen Vertrag über 76 Millionen US-Dollar für die Umsetzung des Pilotprojekts geschlossen. Im Auftrag der ANH soll Ecopetrol in der Gemeinde Puerto Wilches das Forschungsprojekt "Kale" durchführen, um zu analysieren, ob sich Fracking in Kolumbien zur kommerziellen Ölförderung eignet. Im März 2022 stimmte als letztem Schritt im Genehmigungsprozess auch die Behörde für Umweltlizenzen (ANLA) dem Projekt zu. Die ANH hat berechnet, dass durch den Einsatz von Fracking zur Erschließung der Vorkommen die Ölreserven Kolumbiens noch 22 Jahre halten, die Gasreserven bis zu 50 Jahre.

Jesus Jurado beim Fischen im Sumpfgebiet von Paredes. Die Familie lebt vom Fischfang und sorgt sich um die Folgen des Frackings für die Gewässer.
Fische aus dem Sumpfgebiet von Paredes
Blick auf die Fischer am Bootsanleger von Paredes
ZFD-Fachkraft Jan van der Wejist (vorne rechts) spricht mit Fischern über das Fracking-Pilotprojekt und dessen potenzielle Auswirkungen.

Die "Allianz für ein Kolumbien ohne Fracking" und viele Aktivist*innen der betroffenen Gemeinde Puerto Wilches bezweifelten jedoch die Wissenschaftlichkeit des Pilotvorhabens. "Man kann keine Schlussfolgerungen aus einem einzigen Pilotprojekt ziehen", erklärt Jan van der Weijst. "Denn während der Umsetzung wird das Ölunternehmen für volle Sicherheit sorgen, weil ja davon die Zukunft des Frackings in Kolumbien abhängt."

Lokale Ökosysteme in Gefahr

Unfälle mit Rohöl sind keine Seltenheit im Magdalena-Becken, wo schon seit 100 Jahren Erdöl gefördert wird. Das Gebiet voller Flüsse und Sumpfgebiete ist ein wichtiges Ökosystem. Nach Angaben von Ecopetrol gab es zwischen 2015 und 2021 mehr als tausend Vorfälle, bei denen Öl austrat, meist in kleinerem Ausmaß. Doch alle in der Region erinnern sich an das Ölleck des Bohrlochs "Lizama 158", das 2018 eine Umweltkatastrophe auslöste. Mehr als 2400 Tiere starben durch die Ölverschmutzungen. Carolina Agón, Vizepräsidentin des Fischereiverbandes in Puerto Wilches berichtet: "Einen Monat lang hat niemand mehr Fisch gekauft und wir hatten kein Einkommen."

Ende 2021 übergab Ecopetrol der ANLA seinen 7000 Seiten starken Bericht zur Umweltbelastung durch das Pilotprojekt. Seitdem arbeitet die "Allianz für ein Kolumbien ohne Fracking" zielstrebig an dessen Auswertung. Ein interdisziplinäres Expertenteam unter Leitung von Podion analysierte den Bericht der Ölfirma und schickte ihre Beurteilung an die ANLA.

Fischer fürchten um ihre Lebensgrundlagen

Jan van der Weijst konzentrierte sich auf die Auswirkungen des Frackings auf die handwerkliche Fischerei. Bei seinen Treffen mit Fischern erfuhr er, dass unzählige Gewässer von einer möglichen Verunreinigung durch Öl oder Chemikalien betroffen sein könnten. "Eine Verschmutzung der Gewässer hätte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Folgen für die Gemeinden im Magdalena-Becken." Der Regionalplaner reiste bis in das entlegene Sumpfgebiet Paredes, das trotz Umweltbelastungen durch die Expansion des Palmölanbaus und der Erdölindustrie eines der wichtigsten Fischereigebiete der Region ist.

 

Wissenswert

Fracking ist ein Förderverfahren, bei dem per Bohrung in tiefe Gesteinsschichten vorgedrungen wird. Unter Verwendung von Wasser, Sand und Chemikalien werden eingelagerte Öl- und Gasvorkommen herausgelöst. Umweltschutzverbände warnen vor den unkontrollierbaren Risiken des Frackings. Besonders das obengenannte giftige Fracking-Gemisch steht in der Kritik. Ein Teil dessen wird an der Bohrstelle als sogenannter Flowback zurückgewonnen, der Rest verbleibt im Boden. Umweltaktivist*innen befürchten, dass die Flüssigkeit durch Risse oder eine undichte Bohrlochummantelung direkt in wasserführende Schichten oder in die Landschaft gelangen könnte. Das hätte fatale Folgen für die Trinkwasserversorgung und das Ökosystem.
Beim Fracking sind tausende Bohrungen nötig, um relevante Mengen an Öl und Gas zu gewinnen. Ein einziges Bohrloch ist im Schnitt nur drei Jahre nutzbar. Zudem muss bei dem Verfahren viel Energie aufgewendet werden. Entsprechend fällt der Energiegewinn gegenüber der konventionellen Ölförderung deutlich niedriger aus.
Seit 2008 steigt der klimaschädliche Methangehalt in der Atmosphäre. Wissenschaftler schätzen, dass ein Drittel des Methananstiegs durch Fracking entsteht. Methan ist ein hoch potentes Treibhausgas und klimaschädlicher als Kohlendioxid. Damit das Pariser Klimaabkommen erfüllt werden könnte, müsste der Methanausstoß um ein Drittel sinken.

 

Seit 42 Jahren leben Juana Loreo und Jesus Jurado in Paredes. Hier haben sie ihre sechs Kinder großgezogen und immer vom Fischen gelebt. Das Haus liegt nah am Wasser, der Blick ist fantastisch. Doch das Paar sorgt sich um die Zukunft. "Wenn das Sumpfgebiet zerstört wird, haben wir nichts mehr zu essen", erklärt Juana Loreo. "Rund 2000 Familien aus Puerto Wilches leben von der handwerklichen Fischerei und viele Beschäftigte aus der Palmölindustrie bessern ihr Einkommen durch den Fischfang auf", sagt van der Weijst. "In seiner Umweltverträglichkeitsstudie hat Ecopetrol die Subsistenzfischerei völlig ignoriert und potenzielle Auswirkungen nicht berücksichtigt."

Gefährliches Engagement

In einem Flugblatt fordert die mächtige kriminelle Vereinigung "Autodefensas Gaitanistas de Colombia", die aus rechtsgerichteten Paramilitärs hervorgegangen ist, mehrere Umweltschützer*innen auf, ihren Widerstand gegen das Fracking zu überdenken: "Unsere Organisation wird sich mit euch in Verbindung setzen." Auch Carolina Agón steht auf der Liste. Die Aktivistin äußert sich regelmäßig über die potenziellen Gefahren des Frackings. "Sie werden unsere Flüsse und Sumpfgebiete vergiften und immer wieder wird uns gesagt, dass wir nicht gegen Entwicklung stimmen dürfen. Aber von welcher Entwicklung sprechen wir? Und Entwicklung für wen?", fragt Agón, die sich derzeit zu ihrem Schutz in einer anderen Stadt versteckt. Sie ist schon als kleines Mädchen mit ihrem Vater fischen gegangen. "Alle Gewässer sind miteinander verbunden. Wenn ein Fluss verschmutzt wird, hat dies Auswirkungen auf alle anderen", sagt sie.

Die 21-jährige Mishelle Rangel ist Mitglied der Umweltschutzinitiative Aguawil, die sich trotz Bedrohungen gegen das Fracking engagiert.
ZFD-Fachkraft Jan van der Wejist spricht mit Einwohnern des Dorfes Kilometro 8, das direkt vom Fracking-Pilotprojekt betroffen wäre.
Umweltschutzinitiativen versuchen mit Wandmalereien auf die Gefahren des Frackings für Natur und Umwelt aufmerksam zu machen.

In den letzten zwei Jahren wurden viele Mitglieder der Anti-Fracking-Allianz bedroht, berichtet David Uribe, Anwalt von Podion bei einer Pressekonferenz einen Tag vor der Anhörung der ANLA. "Das Leben von Frauen, die sich gegen das Fracking engagieren, ist besonders gefährdet", erklärt er. Der Nichtregierungsorganisation "Global Witness" zufolge ist Kolumbien für Umweltverteidiger*innen das gefährlichste Land der Welt. Mindestens 227 Aktivist*innen sind 2020 weltweit getötet worden, berichtet die NGO – 65 davon in Kolumbien.

Das Gebiet am mittleren Lauf des Magdalena-Flusses gehört zu den Regionen, die besonders vom bewaffneten Konflikt in Kolumbien betroffen waren. Trotz der schrittweisen Auflösung der Paramilitärs und der FARC Guerilla herrschen auf den Straßen immer noch Angst und Schrecken. Oft weiß die Zivilbevölkerung nicht, welche bewaffnete Gruppierung gerade in ihrem Dorf aktiv ist. Aus Angst vor Repressalien nehmen viele auch nicht an den Treffen und Protesten gegen das Fracking teil. "Gruppen des organisierten Verbrechens spielen eine große Rolle bei der Ermöglichung der Erdölförderung", weiß van der Weijst. "Sie unterdrücken den sozialen Protest, stigmatisieren, verfolgen, bedrohen und üben Druck auf die Justiz aus."

Junge Menschen an der Spitze des Protests

Eine Gruppe von Freunden gründete 2020 das Komitee Aguawil, um die Menschen vor Ort über die Risiken des Frackings aufzuklären. Die meisten sind jung, oft nicht älter als 25 Jahre. Die 21-jährige Mishelle Rangel ist Besitzerin eines Schönheitssalons. Sie ist in Puerto Wilches aufgewachsen und hat viel Zeit auf den Flüssen verbracht. Sie weiß daher, welche Schäden die jahrzehntelange Ölförderung verursacht hat. Auch sie lehnt das Fracking in Kolumbien kategorisch ab, da sie eine weitere Zerstörung der Artenvielfalt und Verseuchung der Gewässer befürchtet. "Die Unternehmen versprechen viel, doch was sie hinterlassen, ist Umweltverschmutzung. Wir werden immer wieder betrogen," sagt sie. Den Mitgliedern von Aguawil ist wichtig, die Menschen direkt und in einfacher Sprache über das Fracking zu informieren. Sie fahren in die vom Pilotprojekt betroffenen Dörfer und malen große Wandbilder an die Fassaden. Eines zeigt die karibische Seekuh, die hier ihre Heimat hat und vom Aussterben bedroht ist. Im Innern sind eine Raffinerie und ein Fischerboot zu sehen.

Seit zwei Jahren begleitet und unterstützt das Team von Podion die Initiative. Mit ihren Kampagnen hat Aguawil nationale Sichtbarkeit erlangt. Doch damit nehmen auch die Bedrohungen zu. "Natürlich habe ich große Angst. Um uns herum gibt es viele bewaffnete Akteure, die in wenigen Minuten hier sein können", gesteht Mishelle Rangel. Eine ihrer Mitstreiterinnen, die 21-jährige Yuvelis Morales, ist vor Kurzem ins Exil nach Frankreich geflüchtet, nachdem sie mehrfach bedroht wurde.

Hoffnung für die Umwelt

Die "Allianz für ein Kolumbien ohne Fracking" hatte sich noch kurz vor der Genehmigung der ANLA mit Vertreter*innen von Botschaften, internationalen Organisationen und der kolumbianischen Regierung getroffen. In Frankreich konnte Yuvelis Morales am internationalen Frauentag bei einem Treffen mit Präsident Macron von der Gefahr für die Umweltaktivist*innen und ihrer Sorge über das Fracking-Vorhaben berichten. "Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen" sagt van der Weijst. Hoffnung macht ein neuer Gerichtsentscheid, die Genehmigung auszusetzen, weil die Umweltbehörde das Verfahren zur Konsultation der Gemeinde nicht eingehalten hat.

01.05.2022

Text: Bianca Bauer

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2022. Zum Download der Gesamtausgabe oder der PDF-Version des Artikels.