Vertrauen schafft Frieden

Liberia ist für den Zivilen Friedensdienst eine Herausforderung: In dem ehemaligen Bürgerkriegsland prägen Armut, soziale Spannungen und Gewalt den Alltag. Die ZFD-Partnerorganisationen wirken darauf hin, im Land Brücken des Verständnisses füreinander zu bauen. Dabei unterstützen die fünf ZFD-Fachkräfte, die dort mitarbeiten.

 

Immer wieder donnerstags rücken in Liberia Menschen etwas enger zusammen, die an einer friedlicheren Zukunft ihrer Gesellschaft arbeiten. Per Zoom schaltet sich das Führungspersonal von 16 lokalen Partnerorganisationen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) mit den Fachkräften aus den Trägerorganisationen des ZFD von AGIAMONDO und Brot für die Welt zusammen. In den gut 90 Minuten, die sie jede Woche füreinander reservieren, geht es um Fragen, die sie alle bewegen: Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in Sachen Politik und Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Gender und Umwelt in Liberia? Was gibt es für uns zu tun? Und wie können wir uns gegenseitig dabei unterstützen?

Keimzelle des Zivilen Friedensdienstes in Liberia wächst

Was als Arbeitsgruppe zur Bewältigung der COVID-19-Krise begann, hat sich – auf Wunsch der Partner – zur technischen Arbeitsgruppe für die engere Vernetzung des ZFD in Liberia und zu einer Keimzelle für eine stärkere Kooperationen weiterentwickelt.

Reverend Fr. P. Sumo-Varfee Molubah (links) und ZFD-Fachkraft Manfred Rink
Während eines Evaluationsworkshops diskutieren Teilnehmer*innen und Reverend Fr. P. Sumo-Varfee Molubah (links), Leiter des Bildungssekretariats der Erzdiözese Monrovia.
Finance-Officer Joseph Mulbah, seine Frau und Marion Koerbel (rechts) nehmen an einem Friedensfest teil.
Marion Koerbel war als Wahlbeobachterin an einer Schule/Wahlstation bei den Senatswahlen am 8. Dezember 2020 in Monrovia dabei. Die Wandkopien zeigen die Ausweise der Wahlberechtigten.

Wann immer es seine Zeit erlaubt, nimmt auch Reverend Father Sumo-Varfee Molubah, Priester und Leiter des katholischen Bildungssekretariats der Erzdiözese Monrovia an der Besprechung teil. "Dieses Treffen ermöglicht es, sich über die Aktivitäten der einzelnen Organisationen auf den neuesten Stand zu bringen und andere Informationen auszutauschen, die hilfreich sein können, um der Gesellschaft besser zu dienen", fasst er zusammen und erläutert: "Der Aufbau dieses sehr starken Netzwerks von ZFD-Mitarbeiter*innen und ihren jeweiligen Partnerorganisationen wurde von Marion Koerbel angestoßen."

Aufgrund von COVID-19 wurden Schulen geschlossen. Viele Schulmitarbeiter*innen konnten ihre Familien nicht mehr ernähren. Marion Koerbel suchte sofort Spender*innen für Nahrungsmittel. So erhielten im Dezember 2020 mehr als 2.000 Familien Lebensmittel.

Reverend Father Sumo-Varfee Molubah

Marion Koerbel hatte 2017 die 2006 geschaffene Stelle als Koordination des ZFD in Liberia übernommen und sieht es als großen Erfolg, dass sich die Arbeitsgruppe gefestigt hat. "Es ist eine sehr freundschaftliche Art des Miteinanders geworden", bilanziert sie. "Ich arbeite dort mit Persönlichkeiten zusammen, die fachlich sehr versiert, aber auch persönlich herzlich, offen und kreativ sind."

 

Wissenswert

Auch fast 20 Jahre nach Ende des verheerenden Bürgerkrieges, der Liberia zwischen 1989 und 2003 erschütterte und mehr als 270.000 Menschen das Leben kostete, ist das Land noch nicht stabil. Die Verluste, Verletzungen und Traumatisierungen der Kriegsjahre hat die Gesellschaft juristisch und politisch kaum bearbeitet, ebenso die durch die Gewalt verursachten Traumata und Verletzungen in den Beziehungen. Korruption ist immer noch ein großes Problem.

Als die Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf 2006 bis 2018 die Regierungsgeschäfte innehatte, verbesserte sich zwar die Menschenrechtssituation, aber die Schwachstellen im Justizwesen und die Intransparenz politischer Entscheidungen sorgte dafür, dass die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Regierung setzt. Einen massiven Rückschlag erlebte der Aufbau des Landes durch eine gravierende Ebola-Epidemie zwischen 2014 und 2016. Auch unter dem neuen Staatspräsidenten George Manneh Weah seit 2018 sorgen extreme Armut und Arbeitslosigkeit für soziale Spannungen, der Bildungs- und der Gesundheitssektor liegen am Boden. Die COVID-19-Pandemie verschärfte die ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage weiter.

Partnerorganisationen kämpfen selbst um elementarste Dinge

Eine solch vertrauensvolle Zusammenarbeit ist im von sozialen Spannungen, Korruption und Gewalt geprägten Liberia nicht selbstverständlich: "Hier kämpfen die Menschen ums Überleben", erklärt Marion Koerbel. "Der Gesundheitsbereich ist am Boden, mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben und es gibt sehr viel Arbeitslosigkeit." Auch den Partnerorganisationen fehlt es an den einfachsten Dingen, um ihre Arbeit aufrecht zu erhalten: Sie haben oft weder Strom noch Internet- oder Mobilfunkzugang und können nicht immer die Gehälter regelmäßig zahlen.

Reverend Molubah informiert sich an dieser Wahlstation über die wahlberechtigten Personen. An der Wand hängen Kopien der Wahlausweise für die Senatswahl 2020.
Einmal in anderen Rollen aufeinandertreffen: Bei einem gemeinsamen Putz- und Renovierungsprojekt lernen sich die Teams der Abteilungen der Erzdiözese ganz neu kennen.
Schülerinnen mit ihren klassischen Schuluniformen in den Farben Grün und Weiß der katholischen Schulen in Liberia feiern den Tag der Heiligen Saint Isabel of France am 26. Februar in Monrovia.
Bei einer Veranstaltung einer Partnerorganisation in Gbarnga/Nordliberia konnten junge Menschen ihre Talente vorstellen. Marion Koerbel (rechts) ist als Gast dabei.

Zurzeit arbeitet Marion Koerbel mit fünf Partnerorganisationen zusammen. Perspektivisch könnten es insgesamt acht bis zehn Partner werden. Außerdem betreut sie vier ZFD-Fachkräfte von AGIAMONDO im Land. Wichtig sei bei den Partnerorganisationen, dass die Vorstellungen, die man von einer Zusammenarbeit habe, zueinander passen: "AGIAMONDO hat ein ganz besonderes Konzept der Arbeit", erklärt Koerbel. "Unsere Fachkräfte arbeiten und leben in einer Organisation mit. Die Voraussetzung dafür ist, dass man sich aufeinander verlassen können muss und für die unterschiedliche Art und Weise des Denkens offenbleibt."

Unser Institut bietet Kurse zur Stärkung des Sicherheitssektors an. Mit einem Think Tank fördert es die Entwicklung von Frauen in Führungspositionen in den Bereichen Öffentlicher Dienst, Regierungsführung und Forschung. Ermöglicht wird dies durch den ZFD.

Professor T. Debey Sayndee, Direktor des Kofi-Annan-Institut für Konflikttransformation in Monrovia

In der Zusammenarbeit mit Reverend Fr. Sumo-Varfee Molubah vom Bildungssekretariat der Erzdiözese Monrovia hat sich das Vertrauen zu Koordinatorin Koerbel und der Fachkraft Manfred Rink über Jahre hinweg gefestigt. Es bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Friedensarbeit in den 27 Schulen mit ihren 1.000 Angestellten und 13.000 Schüler*innen, für die das Bildungssekretariat zuständig ist.

Wie die Erzdiözese Monrovia vom Außenblick profitiert

Reverend Molubah hat von dem Außenblick profitiert, sagt er: "Marion Koerbel erkannte beispielsweise, dass die Abteilungen und Institutionen der Erzdiözese Monrovia zwar gut funktionierten, aber noch mehr erreichen könnten, wenn sie sich gegenseitig ergänzen würden, indem sie zusammenarbeiten. So greifen die Schüler*innen und das Personal des Schulsystems der Erzdiözese jetzt auf die medizinische Hilfe des katholischen Gesundheitssekretariats zurück, wenn sie krank werden", erklärt er. "Sie fahren nicht mehr weit weg, um medizinische Hilfe zu suchen, wenn diese Hilfe in den Einrichtungen des Gesundheitssekretariats günstig und in unmittelbarer Nähe ist."

 

Wissenswert

AGIAMONDO begann 2006 sein ZFD-Landesprogramm in Liberia. Heute unterstützt es mit zurzeit fünf Fachkräften lokale Partnerorganisationen in ihrem Engagement, mit der von Gewalt belasteten Vergangenheit umzugehen und deren Folgen konstruktiv zu bearbeiten. Es geht auch darum, die Fragmentierung in der Gesellschaft zu überwinden, die als Folge der unbearbeiteten Verletzungen und Brüche entstanden ist. Die Partnerorganisationen befinden sich in der Hauptstadt Monrovia und in der Diözese Gbarnga.

Die Partnerorganisationen arbeiten in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Konflikttransformation und Gendergerechtigkeit. So werden beispielsweise auf nationaler Ebene Mitarbeiter*innen von 27 katholischen Schulen durch das Bildungssekretariat der Erzdiözese Monrovia in psychosozialer Beratung und gewaltfreier Konfliktbearbeitung ausgebildet. Einen Master-Studiengang in Friedens- und Konfliktstudien konnte das Kofi-Annan-Institute for Conflict Transformation der Universität von Liberia aufbauen. Eine Professionalisierung der Sozialarbeit ist das Ziel des Mother Patern College of Health Sciences, das einen neuen Master-Aufbaustudiengang in psychosozialer Beratung entwickelt hat. An besseren Zugängen zu Recht und Gerechtigkeit für benachteiligte Gruppen arbeitet dagegen die Foundation for International Dignity. Für junge Menschen setzt sich Youth Crime Watch Liberia ein. Die Organisation klärt junge Menschen, insbesondere Frauen, über ihre Rechte auf und hilft ihnen häusliche und sexuelle Gewalt zu verarbeiten.

 

Ein anderes Ergebnis der Zusammenarbeit ist der Aufbau einer psychosozialen Unterstützung der Kinder in den katholischen Schulen. ZFD-Fachkraft Rink bildete darin zuerst Vertrauenslehrer*innen und Sozialarbeiter*innen und dann Direktor*innen aus. "Es ist eine hierarchische Gesellschaft, in der sehr autoritäre Formen des Umgangs herrschen", erklärt Marion Koerbel. In interaktiven und partizipativen Trainings und mit viel praxisnaher Begleitung zeigte der ZFD neue Wege der Konfliktlösung auf.

Die Schulen sind wie kleine Spiegel der Gesellschaft. Da trifft sich alles und es werden alle Konflikte deutlich, die in Familien und anderswo auftreten.

Marion Koerbel

Das änderte zunächst die Art und Weise, wie die Vertrauenslehrer*innen mit den Schüler*innen kommunizierten und führte dazu, dass Direktor*innen sich ebenfalls in neuen Leadership-Formen ausbilden ließen. Und auch das Sicherheitspersonal der Schulen weiß jetzt, wie es mit Ärger und Frustration von Student*innen umgehen kann, ohne sie anzuschreien oder sogar zu schlagen.

Anspruchsvoller Dialog bereitete Reform des Sicherheitssektors vor

Auch auf höherer politischer Ebene erzielten die Partnerorganisationen mithilfe des ZFD Erfolge. So baute das Kofi-Annan-Institut für Konflikttransformation in Monrovia in Zusammenarbeit mit der UN einen Think Tank für den Sicherheitssektor des Landes auf. Dazu tauschten sich in regelmäßigen Gesprächen Vertreter*innen aus Ministerien, Zivilgesellschaft und Polizei über die Probleme aus, die im Sicherheitsbereich bestehen.

Die höchste Priorität ist für mich, die Beziehung zu Partnern und Fachkräften zu halten. Das ist mein Hauptaugenmerk. Wenn das nicht funktioniert, dann funktioniert gar nichts in der Arbeit. Es ist das A und O.

Marion Koerbel

Kein einfacher, aber ein erhellender Austausch. Die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft monierten, dass sie die Polizei oft als korrupt und unzuverlässig wahrnehmen, während die Polizist*innen davon berichteten, dass ihre finanzielle Ausstattung ihnen noch nicht einmal gestatte, ihre Einsatzwagen nachzutanken, um zu einem Tatort zu fahren. "So bekam man ein Verständnis füreinander und entwickelte eine grundlegende Reform", berichtet Marion Koerbel. "Daran haben der Direktor der Organisation und unsere Fachkraft einen großen Anteil gehabt, in dem sie den Dialog moderierten und eine Publikation dazu erstellten."

Wunsch nach vertrauensvollem Netzwerk inmitten einer misstrauischen Gesellschaft

Koerbel wird mindestens noch bis 2024 im Land bleiben. Sie wünscht sich, dass sich die "Donnerstagsarbeitsgruppe" auch ohne das Zutun der ZFD-Fachkräfte weiterentwickelt. "Meine Vision ist, dass sich dieses Netzwerk von Organisationen noch mehr festigt und die Partner ein wirkliches gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Dass sie es weiter schaffen, in einer Gesellschaft, wo sehr viel Misstrauen und Korruption herrschen, gegenseitig ihre Arbeit zu stützen und zu stärken."

21.03.2022

Text: Carmen Molitor