Verbunden im Glauben: Begegnungen von Mitgliedern unterschiedlicher Religionen in Sri Lanka

Roshan Pradeep

Projekte der Begegnung und Stärkung fördern im multiethnischen und multireligiösen Sri Lanka das friedliche Zusammenleben unter Buddhisten, Hindus, Muslimen und Christen.

 

Erlebnisse, die Angehörige verschiedener Glaubensgemeinschaften miteinander teilen, stärken den gegenseitigen Respekt und das Verständnis füreinander. In Sri Lanka, wo Menschen aus vier Weltreligionen zusammenleben, unterstützen der ZFD von AGIAMONDO und seine Partner diese Begegnungen auf unterschiedliche Weise – und fördern so wichtige Grundlagen für den Frieden im Land.

Bei jedem Schritt, den Barbara Hees und Dilini Perera machen, knirscht der staubige Schotter unter ihren Sohlen. Es ist ein heißer Tag in Moratuwa im Süden Sri Lankas und der Pfad, auf dem die beiden Mitarbeiterinnen des lokalen "Centre for Society and Religion" (CSR) zum römisch-katholischen Hiniduma Calvary Schrein emporwandern, ist steil. Unmittelbar vor ihnen schiebt sich der Prozessionszug, dem sie folgen, zwischen tiefgrünen Palmen und Sträuchern langsam den Hügel hinauf. Drei Jugendliche schultern gezimmerte Holzkreuze, die Luft ist erfüllt von Gesang und Gebet – und schließlich Jubel, als die ersten Teilnehmenden erschöpft, aber glücklich den Gipfel erreichen.

Rund 60 Gläubige einer Frauengruppe und ihre Kinder haben sich heute getroffen, um gemeinsam den hiesigen Kreuzweg zu gehen und an das Leiden Jesu Christi zu erinnern. Ein katholischer Priester begleitet sie zu den einzelnen Stationen, spricht Gebete und erklärt deren Bedeutung. Einige sind den Weg schon oft gegangen. Für andere ist diese Erfahrung völlig neu. Sie haben noch nie ein Kreuz getragen, eine Andacht gesprochen oder in der Bibel gelesen. Nicht aus Zurückweisung oder Desinteresse, sondern weil sie einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören. Sie sind Buddhisten.

 

CSR-Projektleiterin Dilini Perera (unten rechts) begleitet Mitglieder einer multireligiösen Frauen- und Kindergruppe dabei, das Erlebnis einer christlichen Zeremonie miteinander zu teilen.
Zum Gedenken werden im buddhistischen Tempel Öllampen entzündet. Das gemeinsame Erleben von Ritualen, die religionsübergreifend praktiziert werden, fördert gegenseitigen Respekt und Verständnis.
Der Koordinator des ZFD-Landesprogramms in Sri Lanka Thomas Vanke (Mitte), die ehemalige ZFD-Referentin Anika May (7. v. l.) aus Köln und ZFD-Fachkraft Barbara Weghofer (6. v. l.) treffen sich mit Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen und Geistlichen der neuen Partnerorganisation Caritas Batticaloa (EHED) in Batticaloa.
In der Kirchengemeinde Vipulanandhapuram in Batticaloa lernen christliche und hinduistische Kinder und Jugendliche gemeinsam Englisch.
Die Partnerorganisation EHED verbessert durch den gemeinsamen Englischunterricht Bildungschancen für Kinder und Jugendliche und fördert so eine Lingua franca, in der sich alle verständigen können.

Rituale anderer Glaubensgemeinschaften erleben

Die Rituale anderer Glaubensgemeinschaften kennenlernen und sie gemeinsam erleben, ist das Ziel des interreligiösen Projekts, das die AGIAMONDO-Partnerorganisation CSR im Großraum von Colombo ins Leben gerufen hat. Es geht darum, Menschen unterschiedlichen Glaubens miteinander vertraut zu machen und zu verstehen, dass Spiritualität verbinden kann – egal, in welchem Rahmen sie gelebt wird.

"Beim Aufstieg zum Schrein haben auch die buddhistischen Frauen das Kreuz getragen und von ihren tiefen Gefühlen durch diese Erfahrung berichtet", sagt Dilini Perera. Zusammen mit Barbara Hees, Sozialpädagogin und ZFD-Fachkraft von AGIAMONDO bei CSR, hat sie den Ablauf des heutigen Tages mit vorbereitet. Die multireligiöse Frauengruppe, mit der sie zusammenarbeiten, lebt in sehr prekären Verhältnissen. Die meisten sind alleinerziehend, viele haben früh Gewalt erfahren und keinen Schulabschluss. "Angesichts dieser Schwierigkeiten ist das Potenzial für Spannungen unter ihnen sehr hoch", sagt Hees. Ungleichheiten aufgrund religiöser oder ethnischer Zugehörigkeiten verschärften diese noch.

Das gemeinsame Kraftschöpfen aus den religiösen Traditionen anderer bewirke Verständnis, Solidarität und letztlich Reflexion über Berührungspunkte. Im Anschluss an den vollendeten Kreuzweg steht für den Nachmittag der Besuch eines buddhistischen Tempels an. Dort wird die multireligiöse Gruppe ebenfalls einer Zeremonie beiwohnen, wird Blumen opfern, Öllichter entzünden und bestenfalls feststellen, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen und ihren Bräuchen gibt.

 

Wissenswert

Interreligiöser Dialog ist einer der wesentlichen Arbeitsschwerpunkte des ZFD von AGIAMONDO in Sri Lanka. Seit seinem Start im Jahr 2018 ist das Programm auf sechs Friedensfachkräfte und einen Koordinator angewachsen, die mit sieben lokalen Partnerorganisationen zusammenarbeiten. Das Partnernetzwerk umfasst die gesamte Insel und involviert alle religiösen und ethnischen Gruppen des Landes – Singhalesen, Tamilen und Muslime. Die meisten Singhalesen sind Buddhisten und die meisten Tamilen sind Hindus. Die Muslime in Sri Lanka werden als eigene ethnische Gruppe betrachtet. Sowohl unter den Singhalesen als auch unter den Tamilen gibt es Christen, was ihnen im multireligiösen und multiethnischen Kontext des Landes eine einzigartige Rolle als Brückenbauer verleiht. In ihren Projekten setzen AGIAMONDO und seine Partner deshalb darauf, Räume zu schaffen, in denen sich alle Glaubensgemeinschaften begegnen und an gemeinsamen Erfahrungen wachsen können.

 

Empowerment und Brückenbau

Die Ambition, dass sich Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit begegnen und miteinander in den Austausch gehen, macht einen wesentlichen Teil der Friedensarbeit von AGIAMONDO und seinen Partnerorganisationen in Sri Lanka aus. Das multiethnische Land hat ein schweres Erbe zu bewältigen: Jahrhundertelang haben europäische Kolonialmächte Ressourcen ausgebeutet und Rivalitäten zwischen den Bevölkerungsgruppen verstärkt. All das ist bis heute spürbar, unter anderem in der Benachteiligung von Minderheiten.

"Die aktuelle Wirtschaftskrise verschärft die sozioökonomische und politische Marginalisierung noch", sagt Thomas Vanke, Koordinator des ZFD-Landesprogramms von AGIAMONDO auf der Insel. Seit 2021 lebt und arbeitet er in Sri Lanka, davor war er in postkonflikt- und multiethnischen Kontexten wie Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Israel/Palästina tätig. Er weiß: "Wir brauchen starke Gemeinschaften, damit sich die Menschen auf Dialog und Verständigung einlassen können anstatt um ihre Existenz zu bangen." Um das zu erreichen, möchte er mit seinem Programm in den nächsten vier Jahren Aktivitäten für Dialog und Brückenbau mit Empowerment verbinden.

Beispiele, wie das aussehen kann, hat er sich erst kürzlich angesehen, auf einer Reise nach Batticaloa, das im fragilen Osten des Landes liegt, der bis zu dessen Ende 2009 besonders vom 30 Jahre andauernden Bürgerkrieg betroffen war. Dort setzen sich die Partnerorganisationen Eastern Social Development Foundation (ESDF) und Caritas Batticaloa (EHED) für Frieden und Verständigung zwischen christlichen und muslimischen, aber auch hinduistischen Gemeinschaften ein. Ihr Mittel zur Stärkung: Bildung und psychosoziale Unterstützung.

Positive Erfahrungen machen und weitergeben

ZFD-Fachkraft Barbara Weghofer begleitet beide Organisationen bei ihren Projekten. Nach den islamistischen Osteranschlägen auf eine protestantische Kirche in Batticaloa 2019 sind interreligiöse Verständigung und Versöhnung wichtiger denn je. Insbesondere Frauen benötigen Unterstützung. Schätzungen zufolge werden 39 Prozent aller Haushalte in der traditionell patriarchalischen Region von ihnen geführt, was auf die lang anhaltenden Konflikte und sozioökonomischen Marginalisierung zurückzuführen ist. ESDF stärkt sie durch psychosoziale oder rechtliche Beratung, organisiert Kampagnen zu sozialer Gerechtigkeit oder Workshops, auch für Jugendliche. Die Stimmung bei diesen Begegnungen sei meist sehr inklusiv und freudvoll, sagt Weghofer. "Es ist eine positive Erfahrung mit Vielfalt, die die Beteiligten miteinander teilen. Diese können sie weitergeben und so zu mehr Akzeptanz und Integration in einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft beitragen."

Dieses Ziel verfolgt auch die Partnerorganisation EHED in der Gemeinde Vipulanandhapuram mit ihrem Projekt "Peace through English & More". Kinder und Jugendliche verschiedener ethnischer und religiöser Zugehörigkeiten erhalten hier zusammen Englischunterricht. Sie lernen, friedlich miteinander umzugehen und in einer gemeinsamen Sprache zu kommunizieren – im multilingualen Sri Lanka eine wichtige Voraussetzung für die Verständigung zwischen den Ethnien. "Außerdem ist es ein solides Bildungsangebot für die Familien, das sie sich nicht vom Mund absparen müssen", so Weghofer. Das öffentliche Schulsystem leide unter einem Mangel an kompetenten Lehrkräften und strukturellen Schwächen, was sich langfristig auf die Kinder, ihre Familien und die marginalisierten Gemeinschaften, in denen sie leben, auswirke. Die Absicht ist also, dass die Kinder positive Erfahrungen machen – mit Institutionen, mit Andersgläubigen, mit Schule und Lernen – damit sie in der Lage sind, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft zu leisten.

 

In vertrauter Atmosphäre erörtern Frauen und Männer unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit beim interreligiösen Forum in Jaffna Ideen für ein friedlicheres Zusammenleben.
Bei den interreligiösen Treffen entwickeln sich Gespräche zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften wie Buddhismus, 
Hinduismus, Islam und Christentum.

Die wichtigste Grundlage ist Vertrauen

Für das Gelingen dieser Projekte sei Vertrauen entscheidend, sagt Barbara Weghofer, die schon lange im Bereich der Friedensarbeit tätig ist. Vertrauen gegenüber den Partnern, Vertrauen untereinander, aber auch Vertrauen in sich selbst. Das sei harte Arbeit. Gesellschaftliche Veränderungen brauchten einen langen Atem und nicht immer blieben Geber beharrlich. Auch seien viele Gruppen weiterhin stark gespalten, der Frieden in der Ostprovinz fragil. Umso mehr freut sich die ZFD-Fachkraft über das kleine Wunder, wie sie es nennt, das in den Klassenzimmern der Caritas passiert, wenn hinduistische und christliche Kinder neben- und miteinander lernen.

Um Vertrauen geht es auch dem Human Development Centre der Caritas (HUDEC), einer weiteren Partnerorganisation von AGIAMONDO, die in Jaffna im Norden Sri Lankas aktiv ist. Sie bietet im Rahmen ihres "Programms für religiöse Freundschaft" Workshops und interreligiöse Foren für Jugendliche, Erwachsene und religiöse Autoritäten an. Bei jedem Treffen diskutieren die Teilnehmenden über bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen – Waisenkinder, Bildungsperspektiven, Drogenproblematik, religiöse Uneinigkeit – und erörtern Maßnahmen zu deren Überwindung. ZFD-Fachkraft André de la Chaux arbeitet seit Kurzem bei HUDEC mit und ist beeindruckt von der Dynamik des Austauschs unter den Beteiligten.

 

Wissenswert

Multiethnizität als Herausforderung und Chance: Es gibt und gab in Sri Lanka immer Menschen und Glaubensgemeinschaften, die sich für interreligiösen Dialog einsetzen und eingesetzt haben. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Bauerngewerkschaften mit christlichen und buddhistischen Mitgliedern. Und auch die Christian Workers‘ Fellowship, eine anglikanische Initiative, die in den vergangenen drei Jahrzehnten stark gewachsen ist, schließt alle Glaubensrichtungen ein.

Ethnische und religiöse Spannungen bleiben dennoch eine Herausforderung. In den 1980er Jahren eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Tamilen und Singhalesen in einem Bürgerkrieg, der fast 30 Jahre andauerte und 100.000 Menschenleben forderte. Dies beeinträchtigte auch das Verhältnis zu den Muslimen, die 1995 von der tamilischen Miliz aus den Nordprovinzen vertrieben wurden. Nach den Anschlägen islamistischer Fundamentalisten auf christliche Kirchen 2019 ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen vor allem im Osten Sri Lankas sehr angespannt.

Armut und wirtschaftliche Ungleichheit, die durch die aktuelle Wirtschaftskrise weiter wachsen, verstärken diese Spaltungen. Hoffnung setzen viele Menschen in die Jugend, die weniger gezeichnet ist vom Krieg und offener aufeinander zugehen kann.

Hoffnung in die jüngere Generation

"Bei unserem letzten Treffen kamen religiöse Führungspersönlichkeiten des Buddhismus, Hinduismus, Islam und der katholischen Kirche zusammen, und es war zu spüren, dass sie diese Möglichkeit der Begegnung sehr schätzen", sagt der Sozial- und Medienpädagoge de la Chaux. Das Forum findet in regelmäßiger Form statt. Viele Teilnehmer*innen kennen sich bereits und manche fahren bis zu 1,5 Stunden, um dabei zu sein. "Sie wissen, dass sie hier eine wertschätzende Atmosphäre vorfinden, was ihnen Sicherheit gibt, offen über Dinge zu sprechen", so de la Chaux weiter. Neben den vornehmlich männlichen Anwesenden hätten sich dieses Mal sogar einige muslimische Frauen aktiv an den Diskussionen beteiligt, was bisher eher selten war.

Er habe viele verbindende Momente wahrgenommen, etwa als ein älterer Mann plötzlich angefangen habe, ein tamilisches Lied zu singen, umgedichtet auf den interreligiösen Dialog, und alle Anwesenden mitklatschten. Oder auch in den Gesprächen, in denen viele ihre positiven Erwartungen an die jungen Menschen ansprachen, die aufgrund der fehlenden Kriegserfahrung, offener im Umgang miteinander sind.

Gemeinsam für eine Kultur der Toleranz

Auch die Kinder der Frauen aus Moratuwa sehen, wie man das macht. Im Tempel Aluthgama Kande Viharaya angekommen, zünden sie mit ihren Müttern und den anderen christlichen und buddhistischen Familien Öllichter an und halten inne. Eine Frau erklärt der Gruppe die wichtigsten Werte des Buddhismus: Liebende Güte, Selbstlosigkeit, Freundschaft, Gleichmut, innere Ruhe und Gewaltlosigkeit. Im Grunde gleichen sie den christlichen Werten der Nächstenliebe, der Feindesliebe, der Sorge um die Ärmeren und der Solidarität, die am Vormittag auf dem Kreuzweg besprochen wurden. So ist die Erfahrung des heutigen Tages eine verbindende, eine, die Mut macht, die Kraft gibt für Toleranz und Respekt vor den religiösen Überzeugungen anderer. Und die von der jetzigen an die nächste Generation weitergegeben werden kann.

30.06.2023

Text: ZFD-Programm AGIAMONDO/Sri Lanka, Eva Helm

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2023. Zum Download der Gesamtausgabe.