Interreligiöser Dialog: Vom Dialog ins Handeln kommen

Christoph Seelbach/AGIAMONDO

Religionen haben viele verbindende Werte und Kräfte, können mitunter aber auch Konflikte verstärken und auslösen. Interreligiöse Zusammenarbeit ist daher in vielen Kontexten ein wichtiger Teil der Friedensarbeit. Über die Anliegen und Ansätze des Interreligiösen Dialogs (IRD) berichtet Ulrike Hanlon, bis Ende April Leiterin des Teams Ziviler Friedensdienst (ZFD) von AGIAMONDO.

Welche Bedeutung hat IRD für die Arbeit von AGIAMONDO?

Ulrike Hanlon: Für die Identität von Menschen ist ihre jeweilige Religion mindestens so bedeutend wie die ethnische oder nationale Zugehörigkeit. Wenn es um die Verständigung mit Menschen und Konfliktgruppen geht, geschieht das also in der Regel nicht unabhängig von Religion. Da AGIAMONDO vor allem mit katholischen Strukturen und Partnern, meist aber nicht in einem rein christlichen Umfeld arbeitet, gibt es in der Friedensarbeit fast immer und überall Aspekte interreligiöser Zusammenarbeit.

Die Entscheidung, IRD bewusst als Schwerpunkt in der Länderstrategie zu verankern und mit den Partnern dazu zu arbeiten, betrifft aber natürlich vor allem solche Länder, in denen es größere Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit gibt. Aus ihrer christlichen Identität heraus sehen sich unsere Partner in der Verantwortung, zu einem gelingenden Zusammenleben der Menschen beizutragen.

Was verstehen AGIAMONDO und die Partner unter IRD?

Ulrike Hanlon: Interreligiöser Dialog hat viel mit Austausch und Akzeptanz zu tun, um eine gemeinsame Interessensbasis zu finden und von der aus ins Handeln zu kommen. Dafür ist es notwendig, Räume zu schaffen, in denen Begegnung möglich wird und Menschen verschiedener Religionen sich besser kennen- und verstehen lernen. Dazu gehört auch, erstmal auf die eigene Religion zu schauen. Das eigene Glaubensverständnis hilft zu erkennen, wo der Bezug zu anderen ist, wo man Werte teilt, aber auch Unterschiede und Grenzen zu benennen, ohne diese als Bedrohung zu sehen. Ziel des IRD ist es, Vertrauen in das Verbindende zu fördern und Unterschiede mit Akzeptanz und Respekt wahrzunehmen, um zu einem guten Miteinander zu kommen. Wir sprechen daher auch eher von interreligiöser Zusammenarbeit, weil es nicht nur um Austausch geht, sondern darum, wie Menschen gut zusammenarbeiten und -leben können.

Warum ist es wichtig für AGIAMONDO, dazu zu arbeiten?

Ulrike Hanlon: Religion ist immer ambivalent. Religiöse Faktoren können konfliktverschärfend und -verursachend wirken. In den letzten Jahren erleben wir in den Kontexten, in denen wir arbeiten, dass Religion in Konflikten zunehmend instrumentalisiert wird. Wenn Wissen über andere Religionen fehlt oder Vorurteile und Misstrauen bestehen, kann dies leicht für andere Zwecke missbraucht werden.

Für AGIAMONDO und unsere Partner ist es daher wichtig, genau hinzusehen, wo Religion – sei es die eigene oder eine andere – zu einem Störfaktor wird. Durch ihre Werte und ihr Selbstverständnis, Leben zu schätzen und zu schützen, haben Religionen zugleich viele friedensfördernde Kräfte. Diese gilt es dafür einzusetzen, Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenzubringen, um Vertrauen und Verständigung herzustellen und damit konfliktentschärfend zu wirken. Das ist das Nachhaltige am ZFD: nicht nur einen konkreten Konflikt schnell zu klären, sondern Strukturen und Wege zu schaffen sowie Fähigkeiten zu fördern, Konflikte konstruktiv und gewaltfrei zu lösen.

An welchen Stellen setzt der IRD an?

Ulrike Hanlon: Interreligiöser Dialog kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Der Dialog des Lebens setzt auf der Alltagsebene an, indem sich Menschen darüber austauschen, welchen religiösen Regeln und Bräuchen sie im Alltag folgen, um ein konfliktfreies Miteinander zu fördern. Im Dialog des Handelns stellen die Beteiligten fest, wo sie Werte teilen und Leben miteinander gestalten und zum Beispiel gemeinsame soziale Herausforderungen bewältigen wollen. Beim spirituellen Dialog geht es darum, sich in spirituellen Formen und Erfahrungen zu begegnen. Das beginnt damit, als Gast an Feiern der anderen Religion teilzunehmen und kann bis zum gemeinsamen Beten führen.

Der theologische Dialog findet vor allem auf der Führungsebene statt, mit dem Ziel, das gegenseitige Wissen und die Akzeptanz zu stärken. Um aus der theologischen Reflexion heraus Menschen ins Handeln zu bringen, indem die Führungskräfte die geteilten Erkenntnisse in die eigenen Strukturen übersetzen. Zugleich ermöglicht der IRD religiösen Führungskräften, sich darüber zu verständigen, wo sie gemeinsam etwas auf politischer und sozialer Ebene bewegen wollen. Politische Forderungen etwa haben mehr Gewicht, wenn die katholische Kirche nicht allein agiert, sondern im Verbund mit anderen.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Ulrike Hanlon: In der Küstenregion Kenias zum Beispiel geht die politische Auseinandersetzung häufig mit der Instrumentalisierung besonders von Jugendlichen und teils extremistischer Gewalt einher. Im Coast Interfaith Council of Clerics (CICC) haben sich Führungskräfte der relevanten Religionsgemeinschaften zusammengeschlossen, um Gewalt vorzubeugen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Indem sie beispielsweise Multiplikator*innen für die Jugendarbeit in Moscheen und Kirchen ausbilden, die Jugendliche resilienter gegen Extremismus machen soll. Vor der letzten Präsidentschaftswahl hat der CICC zudem ein Frühwarnsystem aufgebaut, um potenzielle Konflikte in ihrem Umfeld zu melden.

Welche Rolle spielen die Fachkräfte dabei?

Ulrike Hanlon: Das variiert je nach Kontext. Im theologisch-akademischen Bereich etwa unterstützen Fachkräfte die Partner dabei, einen Studiengang zum IRD oder in Islamwissenschaft für Christen aufzubauen. Häufig ist die Unterstützung der Fachkräfte beim Aufbau der beschriebenen Dialogräume und Strukturen gefragt. So begleitet in Kenia eine Fachkraft den Aufbau von Forschungsstrukturen, um Erkenntnisse aus der IRD-Praxis besser zu nutzen. Indem wir den Austausch von Fachkräften und Partnern aus verschiedenen Landesprogrammen zum IRD stärken, möchten wir aus dem vielen Wissen langfristig eine Strategie für die interreligiöse Zusammenarbeit entwickeln.

21.06.2023

Interview: Angelika Söhne

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 1/2023. Zum Download der Gesamtausgabe.