Gewalterfahrungen dringen ein in Identitäten, erschüttern Gesellschaften und wirken zerrüttend auf das Sozialgefüge vieler Menschen – über Generationen hinweg. Um diese Dynamiken zu erkennen und gesellschaftliche Transformation zu unterstützen, fokussiert der Zivile Friedensdienst (ZFD) von AGIAMONDO in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Partner*innen auf das Thema "Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung".
AGIAMONDO arbeitet im ZFD seit 2009 zum Thema "Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung". Was war die Motivation für diesen Fokus?
Martin Vehrenberg (MV): Als kirchlicher Akteur in der Friedensförderung und katholischer Träger gestalten wir unser ZFD-Programm inhaltlich, fachlich und politisch in einer Weise, die unserer spezifischen Kirchlichkeit und damit unserer Identität entspricht. Teil der Weltkirche zu sein und in diesen Zusammenhängen zu agieren, ermöglicht uns Zugänge, Beziehungskontinuitäten und Räume der Begegnung, die von Vertrauen geprägt sind. Das ist gerade in Kontexten, in denen Gewalt eine Rolle spielt, sehr wichtig. Wir arbeiten mit zahlreichen kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern zusammen, die in diesem Themenfeld aktiv sind. Ihre solidarische Begleitung hat für uns hierbei einen besonderen Stellenwert.
Dr. Friederike Repnik (FR): Wir bringen also gerade auch aufgrund unserer kirchlichen Identität besondere Potenziale in diesem Feld mit. Im Geist der Katholischen Soziallehre ist das Prinzip der Personalität für uns handlungsleitend. Wir setzen nicht primär auf der Ebene von Strukturen an, sondern nehmen die Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen, mit ihren konkreten Erfahrungen in den Blick. Das ist unser Ausgangspunkt. Das ist unsere Grundlage. Dort gehen wir in Beziehung, schaffen Begegnung, treten in Dialog. Wir schauen, wo wir die Menschen stärken können, damit sie wieder Teil von persönlichen, sozialen, aber auch gesellschaftlichen Transformationsprozessen werden. Gerade nach Erfahrungen von Gewalt ist diese Herangehensweise wesentlich.
Mit welchen Herausforderungen sind Gesellschaften konfrontiert, deren Geschichte von Gewalt geprägt ist?
FR: Das kommt ganz auf den jeweiligen Kontext und die konkreten Erfahrungen der Menschen an. Allgemein gilt, dass Gewalt nie abstrakt ist, sondern immer konkret erlebt wird. Unabhängig von den körperlichen und seelischen Folgen für die Betroffenen führt die Anwesenheit von Gewalt in den meisten Gesellschaften dazu, dass sich Menschen zurückziehen. Oft ist es Selbstschutz vor erneuter Gewalterfahrung oder davor, über das Erlebte sprechen zu müssen. Oder auch mit Taten in Verbindung gebracht zu werden. Und das betrifft Gewaltopfer ebenso wie Täter*innen und Zuschauer*innen. Der Rückzug in die Anonymität führt dazu, dass keine aktive Teilnahme an sozialen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen mehr stattfindet. Es entstehen Brüche in der Kommunikation, Brüche in Beziehungen. In der Konsequenz kommt es zu einer Fragmentierung der Gesellschaft, die gemeinschaftliches Handeln erschwert und Veränderungsprozesse hin zu gewaltfreien Konzepten des Zusammenlebens fast unmöglich macht.