"Umgang mit dem kolonialen Erbe" – wie die Zusammenarbeit mit einer Süd-Nord-Fachkraft Justita et Pax bereichert

Justitia et Pax

Dr. Jörg Lüer ist Geschäftsführer von Justitia et Pax. Zusammen mit Valérie Viban, Süd-Nord-Fachkraft von AGIAMONDO, erarbeitet er ein Konzept zum „Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes“, das Partner in Ländern des globalen Südens mit einbezieht. Im Interview spricht er über ihre Zusammenarbeit.

Herr Dr. Lüer, was schätzen Sie an Valérie Viban und was hat sich durch ihn bei Justitia et Pax verändert?

Mich beeindrucken Valérie Vibans Energie, seine Bereitschaft, sich auf andere Perspektiven einzulassen und sein herzerfrischender Humor. Mit heiterer Gelassenheit und engagierter, kompetenter Ernsthaftigkeit arbeitet er in unserem Team mit, das durch ihn mit einem neuen Blick aus afrikanischer Perspektive bereichert wurde.

Was erwarten Sie von seiner Mitarbeit?

Durch Valérie Vibans Erfahrungen und Sichtweise vermeiden wir, dass wir uns nur um uns selbst drehen. Die gemeinsame Arbeit an dem Konzept weckt bei uns ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen, die mit dem kolonialen Erbe einhergehen.

Wie werden die afrikanischen Partner eingebunden: ab welchem Zeitpunkt, zu welchen Fragen?

Da das Thema sehr komplex ist, verschaffen wir uns aktuell einen systematischen Überblick und definieren unsere Ausgangspunkte für die kommenden Dialoge und Unternehmungen. Zudem haben wir Partnern in Afrika und Europa signalisiert, dass wir bald auf sie zukommen werden. Die mit der Thematik verbundenen Fragen sind oftmals hoch sensibel. Stichwort: Völkermord an den Nama und Herero. Deshalb ist diese informelle Vorbereitung ausgesprochen wichtig. Man kann, wie wir generell aus dem Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit wissen, mit solchen Themen nicht einfach rausplatzen. Der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen braucht Zeit. Leider konnten wir aufgrund der Pandemie unsere Partner nicht so besuchen, wie wir uns das eigentlich gewünscht hätten.

 

Wissenswert

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Frieden) wurde 1967 gegründet und versteht sich als Forum der katholischen Einrichtungen und Organisationen, die im Bereich der internationalen Verantwortung der Kirche in Deutschland tätig sind. Justitia et Pax ist deren gemeinsame Stimme in Gesellschaft und Politik – und damit Akteurin des politischen Dialogs. Die Kommission erarbeitet kirchliche Beiträge zur Entwicklungs-, Friedens- und Menschenrechtspolitik Deutschlands und entwickelt Konzepte für die internationale Arbeit der katholischen Kirche.
 

Mehr auf der Homepage von Justitia et Pax zum Umgang mit den Folgen des Kolonialismus

Haben die afrikanischen Partner und die deutschen Organisationen bei strittigen Fragen gleichwertige Entscheidungsbefugnisse?

Es ist in der Arbeit von Justitia et Pax seit langem üblich, dass wir mit unseren Partnern gemeinschaftliche Unternehmungen durchführen, bei denen beide Seiten offen ihre Interessen einbringen. Da wir uns immer angemessen Zeit nehmen, um eine gemeinsame Grundlage zu entwickeln, haben wir dann auch bei strittigen Fragen eine gute Basis, um gemeinsam nachhaltig zu entscheiden.

Welche Partner in welchen Ländern stehen bei dem Konzept im Fokus?

Der Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit ist seit vielen Jahren Teil unserer Arbeit, aus der vielfältige spannende Kooperationen in Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika entstanden sind. Anlaufstellen sind für uns die ortskirchlichen Strukturen sowie die Strukturen von Justitia et Pax in den jeweiligen Ländern. Sie sind unverzichtbar für unsere Arbeit. Beim Umgang mit dem kolonialen Erbe setzen wir derzeit einen Schwerpunkt auf Namibia und Kamerun.

Wird gewaltbelastete Vergangenheit grundsätzlich mit bzw. als Folge von kolonialem Erbe betrachtet?

Das ist je nach Land und Kontext sehr verschieden. Es gehört zur Überwindung kolonialer Denkweisen, den jeweiligen Zusammenhängen und Geschichten auch in ihrer Unterschiedlichkeit angemessene Aufmerksamkeit und Respekt zu zeigen. Vorschnelle Verallgemeinerungen helfen nicht weiter. Man sollte nicht die bestehende Prägekraft kolonialer Gewalt unterschätzen. Auch die oftmals gewalttätigen Prozesse der Dekolonialisierung, wirken bis in heutige Konfliktlagen fort. Jedoch lässt sich auch nicht alle aktuelle Gewalt nur dem Kolonialismus zuschreiben. Letztlich geht es darum, die Ursachen von Gewalt zu beheben, die vielfältigen toxischen Wirkungen zu überwinden und zu Heilung und Versöhnung beizutragen.

Den Interviewteil mit Valérie Viban finden Sie nachfolgend unter "Weitere News".

Interview: Ursula Radermacher

26.05.2021