Psychosoziale Unterstützung in der Friedensarbeit im Südsudan

Der Weg in die Unabhängigkeit war im Südsudan von jahrelangen bewaffneten Konflikten begleitet. Die gewaltsame Vergangenheit wirkt bis heute im Leben der einzelnen Menschen und im Miteinander nach. Mit den Belastungen und Traumata umgehen zu lernen ist ein zentrales Thema am Institut für Friedensarbeit der Katholischen Universität in Juba, mit dem der Zivile Friedensdienst von AGIAMONDO zusammenarbeitet.

 

Wenn sie sagt, dass sie psychosoziale Beratung anbietet, hört ZFD-Fachkraft Eva Kästle oft: "Das ist genau, was wir hier brauchen." Seit 2021 arbeitet die 38-Jährige als Beraterin für psychosoziale Unterstützung an der Catholic University of South Sudan. Rund 1400 Frauen und Männer studieren derzeit am Campus in Juba. Kästle trifft hier auf viel Offenheit für psychosoziale Themen. "Die Student*innen, aber auch Lehrkräfte und Angestellte, reden sehr offen über ihre Belastungen und Traumata und sind interessiert an Beratung", berichtet sie. "Ich muss das gar nicht groß bewerben, der Bedarf ist da."

Die psychosozialen Angebote sind Teil des Programms, mit dem der Zivile Friedensdienst Menschen im Südsudan beim Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit unterstützt. "Friedensarbeit stand oft in der Kritik, Menschen zusammenzubringen, ohne zu berücksichtigen, wie gewaltvoll die Vergangenheit für sie war und welche Auswirkungen dies bis in die Gegenwart hat", sagt Eva Kästle. Psychosoziale Beratung und Traumaarbeit in die Friedensarbeit zu integrieren, sieht sie als Weg zu mehr Nachhaltigkeit. "Eines der Ziele von Traumaarbeit ist, den inneren Frieden wiederherzustellen", erklärt die Fachkraft. "Der innere Frieden ist notwendig, um den Frieden nach außen zu tragen und Dialoge zwischen Konfliktparteien zu suchen."

 

Angebote, wie ein Arbeitsfrühstück im Team, sind ZFD-Fachkraft Eva Kästler wichtig, um Vertrauen aufzubauen und die psychosozialen Angebote gemeinsam weiterzuentwickeln.
Rund 1400 Frauen und Männer studieren auf dem weitläufigen Campus der Katholischen Universität in Juba.
Eva Kästle (rechts) während einer Vorlesung mit Student*innen, die ein Bachelorstudium in Friedensforschung am Institut für Friedensarbeit der Katholischen Universität in Juba absolvieren.

Friedensarbeit im Studium

An der Uni ist die Fachkraft in einer Doppelrolle unterwegs. Zum einen schafft sie psychosoziale Angebote für Student*innen und Mitarbeiter*innen. Zum anderen lehrt sie am Institute for Justice and Peace Studies. Das 2017 gegründete Institut bietet als einzige universitäre Einrichtung im Südsudan einen Bachelor in Friedensforschung an, der auf die Friedensarbeit etwa bei NGOs, in Regierungsinstitutionen oder lokalen und internationalen Organisationen vorbereitet.

Die Student*innen erlebt Kästle als aktive und friedensbewegte junge Menschen, die sich stark mit ihrer künftigen Rolle als Friedensfachkräfte identifizieren. "Sie haben sich ganz bewusst für diesen Studiengang entschieden, weil sie zu positiver Veränderung in ihrem Land beitragen wollen", sagt sie. Viele engagieren sich in sogenannten Graswurzel-Bewegungen.

Im Gegensatz zu anderen Studiengängen, die auf makro-politischer Ebene ansetzen, bildet das Institut Student*innen gezielt für die Friedensarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene aus. "Unsere Ausbildung ist darauf ausgerichtet, mit den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zu arbeiten", erläutert Eva Kästle. Beratungskompetenzen und Wissen zu psychischer Gesundheit zu vermitteln, ist daher ein wichtiger Teil des Lehrplans. Damit die Friedensfachkräfte mit einem ganzheitlichen Ansatz in die Versöhnungsarbeit gehen können, so die ZFD-Fachkraft, sei es notwendig zu verstehen, wie sich Gewaltkonflikte auf das individuelle und kollektive Wohlbefinden auswirken, und wie die Belastungen der Vergangenheit das gegenwärtige Leben beeinflussen. Um die Student*innen auf die Arbeit mit gewaltbelasteten Menschen vorzubereiten, vermittelt sie zudem Beratungstechniken wie aktives Zuhören oder Rückspiegelung.

Aktueller Stress trifft alte Traumata

In der Beratung nennen die Student*innen häufig ihre angespannte Finanzlage als größte Belastung, so Eva Kästle. Viele müssen nebenher arbeiten, um die Studiengebühren und Miete zu bestreiten oder ihre Familie zu versorgen. Oft wissen sie nicht, ob sie sich das nächste Semester noch leisten können. Das verursache häufig so viel Druck und Fokus auf die Gegenwart, dass kaum Raum sei, auf die Vergangenheit zu schauen und Traumata aufzuarbeiten. Aus Erfahrung weiß Kästle, dass Traumata, wenn sie unbearbeitet bleiben, zusätzlichen Stress bewirken können. "Dann wird finanzieller Druck noch mal heftiger empfunden, weil nicht genug Ressourcen und Coping-Strategien (Bewältigung von schwierigen Ereignissen im Leben) da sind, den Stress zu reduzieren", erläutert sie.

Zugleich ist das Leben im Südsudan nach wie vor von Unsicherheit geprägt, was neue Belastungen mit sich bringt. "Viele der Student*innen stammen aus ländlichen Gebieten, in denen es immer wieder Gewaltkonflikte gibt", berichtet Kästle. "Sie sorgen sich um ihre Familien dort."

Im Hier und Jetzt verorten

Bei ihrer Traumaarbeit stehe die Stabilisierung im Vordergrund, so Eva Kästle. Entsprechend zielt die psychosoziale Beratung darauf ab, Traumasymptome verstehen und reduzieren zu lernen. "Traumafolgen bedeuten vor allem, dass es eine Störung in der Raum-Zeit-Wahrnehmung gibt", erklärt die Beraterin. "Den Betroffenen scheint es, als würde das traumatische Erlebnis jetzt passieren und andauern, weil das Gehirn noch nicht gelernt hat, dass das traumatische Geschehen in der Vergangenheit liegt."

Atem- und Körperbewusstseinsübungen oder physische Impulse, wie Massagebälle, können den Betroffenen helfen, sich im Hier und Jetzt zu verorten, so Kästle. Früher habe die Psychologie Klient*innen gezielt noch mal mit dem Trauma konfrontiert. Das sei nicht in jedem Fall nötig. "Den meisten ist damit geholfen, die Traumasymptome kontrollieren und einen guten Alltag führen zu können", sagt sie.

Nachhaltig und bedarfsgerecht

Langfristig sollen Gruppen- und Freizeitaktivitäten beispielsweise im Bereich Sport und Kultur das Angebot ergänzen und eigene Beratungskapazitäten an der Uni entstehen. Eva Kästle kann sich etwa eine Weiterbildung für Absolvent*innen vorstellen, die bereits Grundkenntnisse in Beratung haben. Im Sinne von Ownership und Nachhaltigkeit sei es wichtig, alle Beteiligten mitzunehmen und zugleich professionelle Beratungsstandards zu sichern: "So dass ich irgendwann nicht mehr gebraucht werde, weil es genug qualifizierte Beratungskräfte gibt", sagt Eva Kästle.

31.08.2022

Text: Eva Kästle

Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 2/2022. Zum Download der Gesamtausgabe.