Friedensarbeit im Studium
An der Uni ist die Fachkraft in einer Doppelrolle unterwegs. Zum einen schafft sie psychosoziale Angebote für Student*innen und Mitarbeiter*innen. Zum anderen lehrt sie am Institute for Justice and Peace Studies. Das 2017 gegründete Institut bietet als einzige universitäre Einrichtung im Südsudan einen Bachelor in Friedensforschung an, der auf die Friedensarbeit etwa bei NGOs, in Regierungsinstitutionen oder lokalen und internationalen Organisationen vorbereitet.
Die Student*innen erlebt Kästle als aktive und friedensbewegte junge Menschen, die sich stark mit ihrer künftigen Rolle als Friedensfachkräfte identifizieren. "Sie haben sich ganz bewusst für diesen Studiengang entschieden, weil sie zu positiver Veränderung in ihrem Land beitragen wollen", sagt sie. Viele engagieren sich in sogenannten Graswurzel-Bewegungen.
Im Gegensatz zu anderen Studiengängen, die auf makro-politischer Ebene ansetzen, bildet das Institut Student*innen gezielt für die Friedensarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene aus. "Unsere Ausbildung ist darauf ausgerichtet, mit den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zu arbeiten", erläutert Eva Kästle. Beratungskompetenzen und Wissen zu psychischer Gesundheit zu vermitteln, ist daher ein wichtiger Teil des Lehrplans. Damit die Friedensfachkräfte mit einem ganzheitlichen Ansatz in die Versöhnungsarbeit gehen können, so die ZFD-Fachkraft, sei es notwendig zu verstehen, wie sich Gewaltkonflikte auf das individuelle und kollektive Wohlbefinden auswirken, und wie die Belastungen der Vergangenheit das gegenwärtige Leben beeinflussen. Um die Student*innen auf die Arbeit mit gewaltbelasteten Menschen vorzubereiten, vermittelt sie zudem Beratungstechniken wie aktives Zuhören oder Rückspiegelung.
Aktueller Stress trifft alte Traumata
In der Beratung nennen die Student*innen häufig ihre angespannte Finanzlage als größte Belastung, so Eva Kästle. Viele müssen nebenher arbeiten, um die Studiengebühren und Miete zu bestreiten oder ihre Familie zu versorgen. Oft wissen sie nicht, ob sie sich das nächste Semester noch leisten können. Das verursache häufig so viel Druck und Fokus auf die Gegenwart, dass kaum Raum sei, auf die Vergangenheit zu schauen und Traumata aufzuarbeiten. Aus Erfahrung weiß Kästle, dass Traumata, wenn sie unbearbeitet bleiben, zusätzlichen Stress bewirken können. "Dann wird finanzieller Druck noch mal heftiger empfunden, weil nicht genug Ressourcen und Coping-Strategien (Bewältigung von schwierigen Ereignissen im Leben) da sind, den Stress zu reduzieren", erläutert sie.
Zugleich ist das Leben im Südsudan nach wie vor von Unsicherheit geprägt, was neue Belastungen mit sich bringt. "Viele der Student*innen stammen aus ländlichen Gebieten, in denen es immer wieder Gewaltkonflikte gibt", berichtet Kästle. "Sie sorgen sich um ihre Familien dort."
Im Hier und Jetzt verorten
Bei ihrer Traumaarbeit stehe die Stabilisierung im Vordergrund, so Eva Kästle. Entsprechend zielt die psychosoziale Beratung darauf ab, Traumasymptome verstehen und reduzieren zu lernen. "Traumafolgen bedeuten vor allem, dass es eine Störung in der Raum-Zeit-Wahrnehmung gibt", erklärt die Beraterin. "Den Betroffenen scheint es, als würde das traumatische Erlebnis jetzt passieren und andauern, weil das Gehirn noch nicht gelernt hat, dass das traumatische Geschehen in der Vergangenheit liegt."
Atem- und Körperbewusstseinsübungen oder physische Impulse, wie Massagebälle, können den Betroffenen helfen, sich im Hier und Jetzt zu verorten, so Kästle. Früher habe die Psychologie Klient*innen gezielt noch mal mit dem Trauma konfrontiert. Das sei nicht in jedem Fall nötig. "Den meisten ist damit geholfen, die Traumasymptome kontrollieren und einen guten Alltag führen zu können", sagt sie.
Nachhaltig und bedarfsgerecht
Langfristig sollen Gruppen- und Freizeitaktivitäten beispielsweise im Bereich Sport und Kultur das Angebot ergänzen und eigene Beratungskapazitäten an der Uni entstehen. Eva Kästle kann sich etwa eine Weiterbildung für Absolvent*innen vorstellen, die bereits Grundkenntnisse in Beratung haben. Im Sinne von Ownership und Nachhaltigkeit sei es wichtig, alle Beteiligten mitzunehmen und zugleich professionelle Beratungsstandards zu sichern: "So dass ich irgendwann nicht mehr gebraucht werde, weil es genug qualifizierte Beratungskräfte gibt", sagt Eva Kästle.
31.08.2022
Text: Eva Kästle
Dieser Artikel stammt aus dem AGIAMONDO-Magazin "Contacts", Ausgabe 2/2022. Zum Download der Gesamtausgabe.