Kann ein Job in der Entwicklungszusammenarbeit meine Karriere voranbringen?

Wie nutzen zurückgekehrte Fachkräfte ihre im Ausland erworbenen Kompetenzen für ihre berufliche Entwicklung? Claudia Luzar, Professorin an der Katholischen Hochschule in Freiburg, berichtet.

Wo haben Sie vor der Ausreise gearbeitet und welche berufliche Position haben Sie heute?

Prof. Claudia Luzar: Bevor ich nach Kolumbien ging, habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld gearbeitet. Dort entwickelte ich einen sozialräumlichen Beratungsansatz für Gewaltopfer und promovierte 2015. Als 2016 in Kolumbien das Friedensabkommen zwischen der Guerillagruppe FARC und dem Staat unterzeichnet wurde, reiste ich als ZFD-Fachkraft von AGIAMONDO aus. Ich wollte den Friedensprozess vor Ort miterleben. Neben psychosozialer Arbeit mit Opfern des bewaffneten Konflikts, gehörte Friedens- und Versöhnungsarbeit zu meinen Aufgaben. In den sogenannten Friedenszonen unterstützte ich Ex-Guerillera-Mitglieder bei der Wiedereingliederung. Dieses praktische Wissen kam meinem Unterricht an der Hochschule Santo Tomás zugute, wo ich mit Student*innen zusammen Interviews mit Akteur*innen des Friedensprozesses führte. Von 2019 bis 2021 engagierte ich mich bei Caritas Kolumbien als Projektkoordinatorin für die Nothilfe Kolumbien/Venezuela. Heute bin ich Professorin für Sozialpolitik und politische Bildung an der Katholischen Hochschule in Freiburg.

Welche Qualifikationen haben Sie als Projektkoordinatorin bei Caritas Kolumbien erworben?

C. L.: Die Arbeit für Caritas ermöglichte mir einen tieferen Einblick in die humanitäre Hilfe und in Standards der Nothilfe. Das betrifft auch die Antragstellung und Umsetzung öffentlicher Mittel für das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Durch meine Position als "Vermittlerin" zwischen den Akteur*innen in Kolumbien und Deutschland erhielt ich Kenntnisse unterschiedlicher Lebenswelten. Gemeinsam mit den Projektbetreuer*innen der "Pastoral Social", die sich für arme und marginalisierte Menschen einsetzt, analysierte und evaluierte ich die Bedarfe der Bevölkerung vor Ort und entwickelte daraus Projekte für die Nothilfe. Neben analytischen Fähigkeiten war es wichtig, sich auf neue Situationen einzulassen und Menschen zum Sprechen über ihre Nöte und Bedürfnisse zu bewegen. Ich musste bereit sein, Neuland zu betreten, Konfliktrealitäten zu sehen sowie Armut und Leiden ohne Ohnmachtsgefühle auszuhalten. Aufgrund dieser Besuche entwickelte ich Ideen für neue Anträge oder Projekte, die später gemeinsam mit den Kolleg*innen oder Kooperationspartner*innen ausformuliert wurden. Im umgekehrten Fall schickte Caritas international Ausschreibungen. Dann schauten meine Kolleg*innen und ich nach durchführbaren Projekten und verfassten dafür Anträge. Eine weitere Qualifikation ist das "Übersetzen" im Sinne einer Einpassung kolumbianischer/venezolanischer Realitäten in die spezielle Sprache der Antragsformate des Auswärtigen Amtes.

In der Dorfschule in Campo Hermoso/Caquetá werden Kinder aus Konfliktzonen unterrichtet. Claudia Luzar trifft dort einen Lehrer, der die Schule vorstellt.
Abschlussveranstaltung in Tibú im Rahmen des Projekts "Partizipation" mit Claudia Luzar. Dabei ging es um die Umsetzung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Selbstbestimmung sowie der friedlichen Konflikttransformation in Catatumbo/Kolumbien.
Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien – Claudia Luzar (hintere Reihe, vierte von links) und ihre Kolleg*innen von Caritas besuchen ein Projekt in Agua Bonita (Caquetá) für die Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern des internen Konflikts in Kolumbien.

Wie ordnen Sie diese Qualifikationen ein?

C. L.: Diese Kompetenzen sehe ich im Bereich des Erfahrungslernens, in dem es um die gelebte Interaktion und Auseinandersetzung geht. Ein Fundament an theoretischem Wissen und sozialer Kompetenz vereinfacht dieses Lernen. Doch wirklich erlernen lassen sich die oben angeführten "Übersetzungen" und Vermittlungen erst im Austausch mit verschiedenen Menschen an unterschiedlichen Orten. 

Waren diese neuen Kompetenzen wichtig für die Bewerbungen nach Ihrer Rückkehr?

C. L.: Nach Kolumbien bin ich mit dem klaren Ziel gegangen, den Friedensprozess zu analysieren, mitzuerleben und zu gestalten. Meine Maxime war stets, ein Standbein in der Universität und eines in der Praxis zu haben, so auch während meiner Arbeit bei Caritas international. Die Ausschreibung der Katholischen Hochschule (KH) Freiburg für die Professur Sozialpolitik und Politische Bildung in der Sozialen Arbeit sprach mich sofort an. Es ist eine stringente Fortsetzung meines beruflichen Weges. Die Qualifikationen aus Deutschland und Kolumbien, die ich in der Lehre, Forschung und Beratung erworben habe sowie meine Kontakte zu Caritas international, anderen internationalen und kirchlichen Organisationen waren sicherlich hilfreich.

 

Wissenswert

Fachkräfte in der personellen Entwicklungszusammenarbeit, die am Ende ihrer Dienstzeit stehen, erhalten von AGIAMONDO ausführliche Informationen zu Leistungen nach der Rückkehr. Dazu gehören Angaben zu Versicherungen, zur Rückreise und zum Arbeitslosengeld. Zurückgekehrte Fachkräfte werden von Fachreferent*innen individuell beraten und werten bei Tagungen für Rückkehrer*innen gemeinsam ihre Erfahrungen aus. Weitere Angebote sind die Begleitung und Vernetzung von Rückkehrer*innen.
AGIAMONDO ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste e. V. (AGdD), die in Seminaren für Rückkehrer*innen Impulse, Austausch und zusätzliche Beratung für den weiteren Werdegang gibt. Die Kurse behandeln Berufs- und Weiterbildungsplanung sowie die Jobsuche. In der 2021 veröffentlichten Verbleibstudie der AGdD wurden ehemalige Fachkräfte zur beruflichen Entwicklung befragt. Ein Schwerpunktthema bezog sich auf Kompetenzen von rückkehrenden Fachkräften, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden und die den beruflichen (Wieder-)Einstieg erleichtern. Gefragt wurde auch nach der Relevanz des Entwicklungsdienstes für den Einstieg in eine internationale Karriere. Für Arbeitgeber interessante Kategorien waren demnach Flexibilität, analytisches Denken und Fähigkeiten im Programm-Management. Mehr als die Hälfte der Befragten sehen auch eine substanzielle Nachfrage für die interkulturelle Kompetenz, die sie in ihrer Zeit als Fachkraft erworben haben.

Wann setzen Sie ihr in Kolumbien erworbenes Wissen ein?

C. L.: In meiner Vorlesung über Konflikt- und Gewaltforschung bringe ich Wissen und Erfahrungen aus meiner Zeit bei Caritas international und dem Zivilen Friedensdienst ein. Die Verbindung zu Caritas international ist bis heute stark. Ein Kollege und ich bieten ein Seminar über Internationale Soziale Arbeit und Entwicklungszusammenarbeit an. Auch bei Diskussionen über die Universalität und Durchsetzung von Menschenrechten mit Student*innen und dem Büroleiter von Caritas international in Afghanistan fließt Wissen aus Kolumbien ein.

Hat sich Ihr Fokus bei der Arbeit oder in der beruflichen Entwicklung verändert?

C. L.: Meine berufliche Entwicklung ist ein Prozess des ständigen Lernens. In der gemeinsamen Analyse und Diskussion mit den Student*innen entdecke ich Neues. Aus meinen wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen kann ich zwar reichlich schöpfen, doch in einer sich verändernden Welt ist der Austausch mit Student*innen und Kolleg*innen für mich essentiell. Mein beruflicher Fokus ist internationaler geworden. Ich habe bereits zwei Seminare gegeben, in denen sich Student*innen der Sozialen Arbeit aus Bolivien, Kolumbien und Deutschland virtuell über Unterschiede und Verbindendes ausgetauscht haben.

Wie erleben Sie sich persönlich seit der Rückkehr aus Kolumbien? Hat sich etwas verändert?

C. L.: Ich bin geduldiger geworden. Ein verspäteter Zug oder eine Quarantäne bringen mich nicht aus der Ruhe, wie ich angesichts der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen 2020 in Deutschland bemerkte. Sowohl die Erfahrung der strikten Corona-Quarantäne in Kolumbien als auch der Ausgangssperren und Tanzverbote in "normalen" Zeiten in Gebieten mit bewaffneten Akteuren, führten bei mir zu mehr Geduld und Dankbarkeit. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie Sicherheit, Frieden oder ausreichend Nahrung zu haben, schätze ich stärker und nutze diese Ressourcen bewusster.  

10.05.2022

Interview: Ursula Radermacher