In der Krise voneinander lernen - Auf die Bedrohung durch Sars-CoV-2 reagierten viele Menschen in Madagaskar mit Mut, Risikobereitschaft und Kreativität, berichtet Frank Wiegandt, der MISEREOR-Partner in der Krise begleitet hat.

Studierende in Madagaskar, deren Bildungseinrichtung wegen Covid-19 schließen musste.

In Madagaskar gibt es kaum Ärzte und fast keine Intensivstationen. Wer ernsthaft erkrankt, muss meist ohne schulmedizinische Versorgung zurechtkommen. Zur Bewältigung der Corona-Krise kommen daher in dem ostafrikanischen Inselstaat Prävention und Aufklärung große Bedeutung zu. Herausforderungen, denen die Bevölkerung laut Frank Wiegandt mutig und kreativ begegnet ist.

In Madagaskar bei guter Gesundheit zu sein ist ein hohes Gut. Es ist ein Zustand, den es zu bewahren gilt, denn in dem ländlich geprägten Inselstaat besteht nur sehr eingeschränkt Zugang zu Gesundheitsversorgung. Im Schnitt gibt es 18 Ärzte für 100.000 Einwohner*innen und die wenigen Krankenhäuser des Landes sind für die Behandlung vor allem schwerer Verläufe nur unzureichend ausgestattet. Der beste Schutz vor lokal grassierenden Krankheiten wie Malaria, Cholera, Tuberkulose oder sogar der Pest ist der, einer Ansteckung vorzubeugen.

Präventionsmaßnahme Abschottung: Das Infektionsrisiko sinkt, die Not nimmt zu

Auch aus diesem Grund reagierte die madegassische Regierung im Frühjahr 2020 sehr zügig, als es darum ging, die Gefahr einer Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus vor Ort zu verhindern. Als in Deutschland Mitte März die ersten Schulen schlossen, wurde in Madagaskar der internationale Flugverkehr eingestellt, kurz darauf trat für die Hauptstadt Antananarivo und die Hafenstadt Tamatave eine Ausgangssperre in Kraft. Die Einführung einer allgemeinen Maskenpflicht, die Schließung aller Seehäfen, Schulen und Universitäten sowie ein Verbot des Taxi- und Busverkehrs folgten unmittelbar.

Für den Großteil der Bevölkerung sank dadurch das Risiko, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren, obwohl bereits erste Fälle bekannt wurden. Durch die Ausgangsbeschränkungen und den Stillstand des öffentlichen Lebens fielen für die meisten Menschen aber auch Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten weg, die sie zuvor vor allem informell ausgeübt hatten. Ohne staatliche Unterstützung erwarten zu können, waren viele auf Nothilfe angewiesen – eine Situation, auf die zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft, darunter auch Partner von MISEREOR, umgehend reagierten.

Studierende der Fachhochschule ISCAMEN unterstützen die Gemeinde bei der Desinfektion der Kathedrale.
Aus Kanistern bauten Student*innen Wasserspender für ihre Heimatdörfer.
AGIAMONDO-Fachkraft Frank Wiegandt arbeitet als Berater von MISEREOR am Institut für Sozialarbeit.
Frère Omar, Leiter der Fachhochschule ISCAMEN in Morondava

Schnelle Hilfe für die Schwächsten

Mit der aktiven Unterstützung der zuständigen Bischöfe in Tamatave und Morondava an der Westküste wurden kurzerhand Maßnahmen zur Eindämmung des Virus eingeleitet und besonders schwache Bevölkerungsgruppen in den Blick genommen, um sie in der Krise zu stärken. So organisierte das neue Entwicklungsbüro der Erzdiözese in Tamatave Schutzmasken und Desinfektionsmittel für Gefängnisinsass*innen und versorgte sie mit zusätzlichen Mahlzeiten, um ihre Immunabwehr zu verbessern. Auch das Gefängnispersonal wurde für die neuen Hygieneanforderungen sensibilisiert und in die Aktivitäten eingebunden.

In Morondava brachte die Schließung der regionalen Fachhochschule Institut Supérieur Catholique du Menabé (ISCAMEN) sowie aller Dienstleistungen auf dem Campus zahlreiche Studierende in Versorgungsnotstände. Auch hier agierte Schulleiter Frère Omar schnell und mutig, indem er die jungen Leute kurzfristig in Hygienemaßnahmen zum Wohl der Gemeinde einband und ihnen Schulungen über Infektionsschutz anbot. Ausgestattet mit Wissen zur Prävention von COVID-19 sowie selbst gefertigtem Schutz- und Hygienematerial konnten die Studierenden nach der Rückkehr in ihre Heimatdörfer zahlreiche Menschen vor Ort unterstützen.

Offenheit und Lernbereitschaft stehen im Vordergrund

Für die fachliche Begleitung der organisatorischen Aufgaben durch MISEREOR zeigte sich, dass der kontaktlose Austausch mit den Partnern über Video-Chat sehr gut funktionierte. Wissend um die Dringlichkeit der Situation arbeiteten alle Beteiligten mit viel Initiative, effektiv und äußerst motiviert zusammen.

Nahrungsmittelhilfen für verarmte Haushalte, psychosoziale Unterstützung für von Gewalt betroffene Familien und andere Maßnahmen wurden so zügig diskutiert und schnell beschlossen.

Zunächst noch vor Ort in Antananarivo, seit Mitte April 2020 dann aus dem Home-Office in Deutschland, blieb Frank Wiegandt als Organisationsberater und Fachkraft von MISEREOR stets nah dran an den Überlegungen, Initiativen und Strategien der Partner in Madagaskar. Für ihn zeigte die Krise deutlicher denn je, dass Offenheit und die Bereitschaft voneinander zu lernen in der Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund stehen. „Während der vermeintlich entwickelte globale Norden durch das Corona-Virus so verwundbar war wie selten zuvor, tasteten sich die Menschen in Madagaskar mit Kreativität und Risikobereitschaft mutig voran“, sagt Wiegandt.

Erfahrungen bewahren

Mit vereinten Kräften ist so vieles möglich – an diese positive Erfahrung möchten Wiegandt und MISEREORS madegassische Partner auch in Zukunft anknüpfen. Nach der Corona-Pandemie wollen sie die Ansätze vertiefen, die in der Krise angestoßen wurden, und weiter daran arbeiten, die hygienischen Zustände im Land, den Zugang zu Trinkwasser und die allgemeine Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Text: Frank Wiegandt

28.8.2020