Gesundheit fördern und Gewalt gegen Frauen verringern

Ursula Kölbel leitet die Dialog- und Verbindungsstelle von Misereor

Ursula Kölbel ist seit Juli 2018 Leiterin der Dialog- und Verbindungsstelle von Misereor in der demokratischen Republik Kongo (DR Kongo). Im Interview erzählt sie, wie ihre Arbeit konkret aussieht und welche Partnerprojekte Misereor unterstützt.

In welcher Organisation arbeiten Sie als Leiterin der MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in der Demokratischen Republik Kongo?

Die Dialog- und Verbindungsstelle von Misereor ist seit ihrer Gründung 2005 angekoppelt an die INADES-Formation Congo, die Teil des panafrikanischen Netzwerk INADES-Formation ist, das sich für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung in Afrika einsetzt. Durch die NGO ist es möglich, Personal anzustellen, ein Büro anzumieten oder mein Arbeitsvisum zu bekommen. Außerdem ist der regelmäßige Austausch mit dem Direktor von INADES über die aktuelle politische Situation, Sicherheitsfragen oder kulturelle Fragen, die die Arbeit mitbestimmen, wichtig für mich.

Welche Projekte unterstützen Sie und was möchte Misereor damit erreichen?

Misereor arbeitet mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, die durch finanzielle Zuschüsse, Gespräche und Fachberatung begleitet werden. Ich stärke den Dialog zwischen diesen Partnern und der Misereor-Geschäftsstelle und fördere die Vernetzung und den Austausch der Partner untereinander. In der DR Kongo gibt es über 40 Projekte, die Misereor fördert. Partnerschaften im Gesundheitsbereich bestehen oft länger als zehn Jahre, weil so Gesundheitszentren im ländlichen Raum ihre Basisversorgung langfristig verbessern und die Bevölkerung leichter erreichen können. Weitere Bereiche sind Bildung für Straßenkinder und Sekundarschulbildung für Mädchen, in der Ländlichen Entwicklung sind es Trinkwasserversorgung, nachhaltige Landwirtschaft und ökologisches Bauen sowie Menschenrechte, Good Governance und Demokratisierung. Projekte, die Misereor unterstützt, müssen den Ärmsten der Armen helfen und sich an anerkannten entwicklungspolitischen Zielen orientierten. Ein Beispiel: In einem Projekt werden minderjährige Mütter durch Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen unterstützt und zugleich wird an nachhaltigen Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen gearbeitet, damit es langfristig weniger minderjährige Mütter und ungewollte Schwangerschaften gibt.

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Die Projektträger sind meist katholische Organisationen auf diözesaner Ebene, wie Gesundheitsbüros, die durch Supervisionen und Fortbildungen die Leistungen der Gesundheitszentren in ihrem Verantwortungsbereich verbessern. Mit diesen Partnern spreche ich regelmäßig, um ihre Projekte zu unterstützen und die Situation vor Ort besser einschätzen zu können. Wir informieren uns gegenseitig zu Themen, die auf deutscher oder europäischer entwicklungspolitischer Ebene diskutiert werden und die für die Lobbyarbeit in Deutschland wichtig sind. Auch Verbindungen zu Partnerorganisationen und/ oder zur katholischen Bischofskonferenz (CENCO) stelle ich her.
 

Begutachtung einer Solaranlage
Kooperativenmitglieder im Kobaltabbau
Workshop zu nachhaltiger Landwirtschaft
Bau eines manuellen Brunnens

Warum ist Ihre Unterstützung als Leiterin der MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle für die Partnerorganisationen wichtig?

Manche Partner arbeiten unter so prekären Bedingungen, dass Projektaktivitäten gefährdet sein können. Meine Mittlerfunktion hilft bei Lösungen, weil ich die Erfordernisse von Misereor und dem BMZ und die Bedingungen vor Ort verständlich mache. Außerdem nehme ich Fortbildungs- oder Beratungsbedarfe wahr, vermittle Gutachter*innen oder helfe bei Anpassungsprozessen an Veränderungen. Die DR Kongo nimmt in vielen internationalen Rankings zu Demokratie, Entwicklung oder Geschlechtergerechtigkeit hintere Plätze ein. Das Land hat in den letzten 25 Jahren zwei Kriege erlebt und der Osten ist bis heute nicht befriedet. Es ist die Region, in der Frauen weltweit das höchste Risiko haben, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden.

Inwiefern trägt Ihre Arbeit dazu bei, dass sich Partnerorganisationen für die „Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ engagieren?

Alle Projekte werden von mir und den Partnern mit der "Gender-Brille" betrachtet. Das bedeutet zu schauen, inwiefern Jungen, Mädchen, Frauen und Männer in Projekten jeweils von Gewalt betroffen sind. Für die Gesundheitszentren bedeutet es, dass Verantwortliche, unterstützt durch die Expertise von Fachleuten vor Ort, Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt entwickeln. Für den Bau von Schulen oder Internate muss darauf geachtet werden, dass Gebäude optimalen Schutz gegen Missbrauch bieten.

Welche Maßnahmen gegen Gewalt gibt es für Kinder und Jugendliche?

Misereor unterstützt mehrere Straßenkinder-Projekte, drei davon in Kinshasa. Während die Kinder und Jugendlichen in Partnereinrichtungen leben, idealerweise bis zur Reintegration in ihre Familie, erhalten sie eine medizinische Versorgung und psycho-soziale Betreuung. Viele sind durch Gewalterfahrungen oder Missbrauch traumatisiert. Das pädagogische Personal vermittelt christliche und menschenrechtsbasierte Werte wie Gewaltlosigkeit oder Gleichberechtigung. Die Kinder und Jugendlichen werden beim Schulbesuch oder Ausbildungsmaßnahmen unterstützt.
 

Woran merken Sie, dass Ihre Arbeit sinnvoll und wirksam ist?

Eine gute, wirkungsorientierte Arbeit ist für mich nur durch die gut aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit im „Kongo-Team“ von Misereor möglich. Als dessen Teil sehe ich mich am richtigen Platz – als diejenige, die permanent vor Ort ist. Bei Projektbesuchen erlebe ich Menschen, die konkret ihr Leben verbessern konnten, zum Beispiel durch einen selbstverwalteten Trinkwasser-Brunnen in ihrem Dorf. Mein persönliches Anliegen ist es, die Genderperspektive und die Förderung von Frauen noch mehr einzubringen und ich hoffe, dass dies in den nächsten Monaten und Jahren weiter gelingt.

Was motiviert Sie bei der Arbeit?

Trotz aller Krisen und Probleme sind die Menschen optimistisch, das motiviert und inspiriert mich.  Menschen, die ihre Würde durch medizinische Behandlung oder durch die Thematisierung erlittener Ungerechtigkeit wiedererlangen, geben mir neuen Elan für die Arbeit, die oft unter schwierigen und belastenden Bedingungen stattfindet.

Interview: Ursula Radermacher

21.11.2020