Frauen in ein selbstständiges, gewaltfreies Leben begleiten

Ordensschwester Lorena Jenal und AGIAMONDO-Fachkraft Linda Auth bei einem Treffen.

AGIAMONDO-Fachkraft Linda Auth ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Beziehungen. Sie wird nach Papua-Neuguinea ausreisen und dort im House of Hope der katholischen Diözese Mendi als Sozialarbeiterin mitarbeiten. Das House of Hope soll ein Zufluchtsort für Frauen in akuten Notlagen werden, die von Gewalt betroffen sind, vorrangig für Frauen die Opfer von Hexenverfolgung werden.

Linda Auth, deren Stelle von Missio finanziert wird, hat in einer Beratungsstelle Frauen, die Gewalt erlebten, begleitet. Im Interview spricht die 28-Jährige über ihre bisherigen beruflichen Eindrücke und die Erwartungen an ihre zukünftige Arbeit.

Wo haben Sie bisher gearbeitet?

Ich habe in einer SOLWODI Fachberatungsstelle für ausländische Frauen gearbeitet, die von Gewalt betroffen sind. SOLWODI steht für SOLidarity with WOmen in DIstress (Solidarität mit Frauen in Not) und ist ein überkonfessioneller und überparteilicher Verein, der ausländische Frauen unterstützt, die in Deutschland in Notsituationen geraten. Er wurde von Schwester Dr. Lea Ackermann in Kenia gegründet. Die Schwerpunktthemen in der Fachberatungsstelle, in der ich tätig war, sind Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre. In der Zeit bei SOLWODI habe ich viele sehr starke Frauen kennengelernt, deren Leben seit ihrer Kindheit oft ein schwerer Kampf war. Mich hat immer wieder beeindruckt, dasssie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgegeben haben und jeden Morgen die Kraft hatten, aufzustehen und sich für das Leben zu entscheiden.

Mit welcher Art von Gewalt waren Frauen, die Sie begleitet haben, konfrontiert?

Für mich war es eine große Freude, zu sehen, wie sich die Frauen entwickelt haben. Viele hatten schwere physische und/ oder psychische Gewalt erlebt, die häufig durch die engsten Vertrauten innerhalb der Familie oder des sozialen Umfelds ausgeübt wurde. Sie wurden geschlagen, erniedrigt, beschimpft und häufig persönlich sehr stark eingeschränkt und kontrolliert. Diese Frauen, die einen neuen Anfang wagten und sich mir, einer völlig fremden Person öffneten, um über die traumatischen Erlebnisse zu sprechen, fand ich mutig. Als Beraterin war es für mich ein großes Privileg, sie auf ihrem Weg in ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben begleiten zu dürfen.

Vor einigen Jahren begleitete ich eine Frau, die von ihren Eltern als 18-jährige mit einem Mann, den sie kaum kannte, in ihrem Heimatland zwangsverheiratet wurde. Er nahm sie mit nach Deutschland, wo sie im Haus der Schwiegereltern leben und arbeiten musste. Sie bekam vier Kinder, durfte keinen Deutschkurs besuchen und das Haus nicht allein verlassen. Nach 13 Jahren in Deutschland kam sie in unsere Beratungsstelle. Gemeinsam suchten wir nach möglichen Zukunftsperspektiven und begleiteten sie auf ihrem Weg. Heute lebt sie mit ihren Kindern allein in einer eigenen Wohnung. Sie hat einen Sprachkurs besucht und unterhält mit ihrer Halbtagsstelle sich und ihre Kinder. Erfolgsgeschichten wie diese machten mir große Freude und motivierten mich für die Arbeit im Gewaltschutz. Besonders freute mich, einer Frau über längere Zeit zur Seite zu stehen, mit ihr auf vergangene Situationen und Hürden zurückzublicken und das Erreichte wertzuschätzen.

Was ist das House of Hope?

Seit knapp 40 Jahren arbeitet Sr. Lorena Jenal, eine Schweizer Ordensschwester, im südlichen Hochland von Papua-Neuguinea. Seit mehreren Jahren unterstützt sie Frauen, die Opfer von Hexenverfolgung werden. Diese Frauen brauchen einen Ort, an dem sie sicher sind und nach Folter und Gewalt zur Ruhe kommen können. Das wird das Frauenschutzzentrum House of Hope sein, das nun gebaut wird. Sr. Lorena wird das Projekt leiten und dort gemeinsam mit ihrem lokalen Team arbeiten, zu dem ich gehören werde.

Wie werden Sie Ihre Kenntnisse dort einbringen?

Meine Mitarbeit soll einen ganzheitlichen Heilungs- und Aufarbeitungsprozess bei den Frauen unterstützen und wo es möglich ist, ihre Wiedereingliederung in die Gemeinschaft mit Versöhnungsarbeit und Mediation erleichtern. Darüber hinaus soll Aufklärungs- und Präventionsarbeit innerhalb der Communities durchgeführt werden. Als junge Frau werde ich dabei vorrangig in Schulen und mit Jugendgruppen arbeiten. Eine weitere Aufgabe wird sein, Mitarbeiter*innen und Multiplikator*innen in Workshops und Schulungen weiterzubilden.

Als Frauen teilen wir alle, unabhängig von unserer Herkunft, das Frausein. Ich hoffe auf dieser Basis einen vertrauensvollen Zugang zu den Frauen aufbauen zu können und sie ein Stück ihres Lebensweges zu begleiten. Es wird ganz pragmatisch darum gehen, mit ihnen Alltagsstrukturen, eine gute Gemeinschaft im House of Hope aufzubauen und ihren Schritt zurück in ein selbstständiges, gewaltfreies Leben zu begleiten.

Besonders freue ich mich darauf, in einem interkulturellen Team von Frauen mitzuarbeiten und im Austausch mit den Kolleginnen voneinander lernen zu können.

Interview: Ursula Radermacher

03.11.2020