Gedenken an die Opfer des Bürgerkriegs in Guatemala

Das Buch "Erinnerungen an die Opfer des Völkermords" wurde dem Publikum vom Menschenrechtsbüro des Erzbistums von Guatemala (ODHAG) vorgestellt.

Mit einem Buch und einer virtuellen Gedenkstätte erinnert die NGO ODHAG die guamaltekische Gesellschaft an die eigene Geschichte. Der ZFD von AGIAMONDO unterstützte dabei.

 

Es sind erschreckende Zahlen und Daten: 200.000 Menschen verloren im guatemaltekischen Bürgerkrieg zwischen 1960 und 1996 ihr Leben und 45.000 Personen gelten bis heute als vermisst, was diesen bewaffneten Konflikt zum grausamsten in ganz Lateinamerika machte. Aber seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens vor 29 Jahren hat es keine staatliche Aufarbeitung dieser Verbrechen gegeben. Die dafür Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen, obwohl die "Kommission zur historischen Aufklärung" in ihrem Bericht "Guatemala, Erinnerung an das Schweigen" von 1999 feststellt, dass 93 Prozent der verübten Gewaltverbrechen während des 36 Jahre andauernden Bürgerkriegs staatlichen Stellen zugeordnet werden müssen.

Die Vergangenheit anschauen

Um den Toten und Verschleppten einen Namen, ein Gesicht und eine lebendige Erinnerung zu geben, stellte das Menschenrechtsbüro des Erzbistums von Guatemala (ODHAG) jetzt das Buch "Erinnerungen an die Opfer des Völkermords" vor und eine neu gestaltete virtuelle Gedenkstätte unter www.memorial-genocidio-guatemala.org. Beides entstand im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Zivilen Friedensdienst von AGIAMONDO. Mit 3.500 Lebensgeschichten bietet die interaktive Plattform der guatemaltekischen Gesellschaft und anderen Interessierten einen digitalen Raum, um der Opfer des Bürgerkriegs zu gedenken und somit das Schweigen und Vergessen zu brechen, das der guatemaltekische Staat bisher in Bezug auf seine blutige und gewalttätige Vergangenheit aufrechtzuerhalten versucht.

Gewalt führt in den meisten Gesellschaften dazu, dass sich Menschen zurückziehen und nicht mehr aktiv an sozialen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen teilnehmen. Es entstehen Brüche in der Kommunikation und in Beziehungen und es kommt zu einer Fragmentierung in der Gesellschaft. Gemeinschaftliches Handeln wird erschwert und Veränderungsprozesse hin zu gewaltfreien Konzepten des Zusammenlebens fast unmöglich gemacht.

Das Buch und die Plattform informieren über die Lebensgeschichten der Opfer des Bürgerkriegs: wer sie waren, wo sie lebten und welche Bedeutung diese Menschen für ihre Familien und die Gemeinschaft hatten.
Zur Buchvorstellung sind Menschen aller Altersgruppen gekommen. Neben dem Buch gibt es eine interaktive Plattform, die über die Lebensgeschichten von 3.500 Opfern informiert.
Das Buch zum Gedenken an den Bürgerkrieg in Guatemala wurde auch von AGIAMONDO, dem Konsortium ZFD und der Bundesregierung/BMZ unterstützt.
Susanne Breuer, ZFD-Koordinatorin von AGIAMONDO für Zentralamerika und Südmexiko, Sabine Eismann von der Deutschen Botschaft in Guatemala und Nery Rodenas, Geschäftsführer von ODHAG stellen das Buch vor (von links).
ZFD-Koordinatorin Susanne Breuer, Raúl Nájera, Mitarbeiter von ODHAG, Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtsbüros des Erzbistums von Guatemala (ODHAG) und Ángela Cúc, Journalistin sprechen über die Bedeutung von Erinnerungsarbeit in Guatemala.

Geschichtliche und juristische Aufarbeitung

AGIAMONDO fördert daher im ZFD-Regionalprogramm Mittelamerika (Guatemala, El Salvador, Südmexiko) schwerpunktmäßig Projekte zum Thema "Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit". Die ODHAG setzt sich für die Aufarbeitung der Verbrechen während des Bürgerkriegs in Guatemala ein. Schwerpunkte sind dabei die geschichtliche und juristische Aufarbeitung des Genozids an der indigenen Bevölkerung. Die Dokumentation der Verbrechen geschieht durch Zeitzeugenbefragungen und den Aufbau von Archiven. Grundsatz ist: "Solange die Wahrheit nicht bekannt ist, werden die Wunden der Vergangenheit offen und unverheilt bleiben." Es werden Erinnerungsorte, wie z.B. Gedenkstätten und Ausstellungen mitentwickelt. Das ermöglicht betroffenen Zugang zu Wissen und zu Methoden der Vergangenheitsarbeit. Darüber hinaus bietet die ODHAG auch psychosoziale Begleitung für Opfer der Verbrechen an.

Sich der eigenen Geschichte stellen

Die virtuelle Plattform www.memorial-genocidio-guatemala.org bietet nun einen Ort zum Gedenken an, indem die Geschichten der Opfer erzählt werden: Wo sie lebten, welche Bedeutung sie für ihre Familien und die Gemeinschaft hatten. Der deutsche Botschafter in Guatemala, Dr. Hardy Boeckle, sagte diesbezüglich: "Für mich ist die Vergangenheitsbewältigung ein sehr wichtiges und zentrales Thema. Deutschland, das aus der eigenen Geschichte heraus um die Bedeutung der Aufarbeitung der Vergangenheit weiß, unterstützt immer wieder in anderen Ländern Initiativen dieser Art. Sich der eigenen Geschichte verantwortungsvoll zu stellen und dann auch die Täter der Justiz zu überstellen, ist ein großer Schritt zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit."

Verantwortliche vor Gericht bringen

Maynor Alvarodo von der guatemaltekischen Menschenrechtsorganisation GAM (Grupo de Apoyo Mutual) forderte: "Es müssen jetzt wieder Aktionen und politische Maßnahmen ergriffen werden, um die Verantwortlichen endlich vor Gericht zu bringen. Ein Staat, der nicht weiß, wo 45.000 seiner Bürger sind, ist auf sehr fragilem Fundament aufgebaut."

Die Aufklärung der Verbrechen ist Nery Rodenas, dem Geschäftsführer der ODHAG, ein absolut wichtiges Anliegen, und geht - wenn auch sehr langsam - vorwärts: So verfügte ein Berufungsgericht kürzlich nach 99 Anhörungstagen die Neuaufrollung des Genozid-Prozesses gegen den ehemaligen General Manuel Benedicto Lucas García. Dem ehemaligen hohen Militär wird vorgeworfen, für die Ermordung von mehr als 1.400 Ixil-Mayas zwischen 1978 und 1982 verantwortlich zu sein. "In der Debatte um den Völkermordprozess wurden jede Menge Dokumente zu Tage gefördert, Geburtsurkunden und in einigen Fällen auch Sterbeurkunden. Aber wir wissen darüber hinaus nicht, wer diese Menschen waren. Neben den Bemühungen um Gerechtigkeit ist es unser Anliegen die Opfer zu würdigen. Es waren, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Großeltern, die vor ihrer Ermordung größtenteils in der Landwirtschaft tätig waren, die von dem lebten, was ihnen das Land gab", erläutert Nery Rodenas die Bedeutung der virtuellen Gedächtnis-Plattform und der Publikation.

04.03.2025

Text: Daniel Siemund und Katharina Engels