Der Erinnerung Flügel verleihen - Ziviler Friedensdienst in Guatemala: Vergangenheitsbewältigung begleiten – gesellschaftlichen Wandel unterstützen

Workshop mit Lehrer*innen in der Casa de la Memoria

Das Casa de la Memoria „Kaji Tulam“ in Guatemala Stadt erinnert seit 2014 als öffentlicher Raum der Begegnung und Wissensvermittlung an das Leben und Wirken der indigenen Bevölkerung Guatemalas und die Geschichte ihrer Unterdrückung. In Partnerschaft mit der Menschenrechtsorganisation CALDH begleitet ZFD-Fachkraft Karolin Loch Pädagog*innen und Schüler*innen dabei, die Inhalte des Hauses für sich zu erschließen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.

„Para no olvidar“ – „Damit wir nicht vergessen“ – steht auf dem großen, weißen Banner, das am Eingang des Casa de la Memoria im Stadtzentrum von Guatemala an der Wand hängt. Daneben bilden fünf verschiedenfarbige Quadrate ein buntes Kreuz. „Das ist das Mayakreuz. Es symbolisiert das Welt- und Lebensverständnis der Maya, der indigenen Bevölkerung dieser Region“, sagt Karolin Loch, ZFD-Fachkraft und Pädagogin im Fortbildungsprogramm des Hauses. „Hier können sie ihre Geschichte erzählen.“

Wissen, was geschehen ist

Es ist eine Geschichte des Rassismus, der Unterdrückung und letztlich des Genozids, die in der guatemaltekischen Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet. Aus diesem Grund hat die Menschenrechtsorganisation CALDH das Casa de la Memoria gegründet. Sie will die Erinnerung an das Geschehene wachhalten und zur Auseinandersetzung mit der gewaltbelasteten Lebenswirklichkeit der indigenen Bevölkerung anregen. Karolin Loch begleitet dieses Engagement.

Seit Beginn ihres Einsatzes 2018 widmet sich die Erziehungswissenschaftlerin zusammen mit den Kolleg*innen des museumspädagogischen Teams der Aus- und Weiterbildung von Lehrer*innen sowie Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die das Casa de la Memoria besuchen. Sie sollen darin bestärkt werden, sich mit der Geschichte Guatemalas zu befassen, sie kritisch zu reflektieren und auch andere zum Nachdenken anzuregen.

Kontinuum der Gewalt

Ein inhaltlicher Schwerpunkt des Casa de la Memoria, in dessen Räumlichkeiten Installationen und Schautafeln über die Verdienste der Maya sowie die geschichtlichen Ereignisse des Landes informieren, liegt auf dem Kontinuum der Gewalt. Denn die systematische Benachteiligung der indigenen Bevölkerungsmehrheit in Guatemala sei kein Phänomen der letzten Jahrzehnte, so Loch. Rassismus und Unterdrückung beginnen bereits mit der spanischen Invasion im 16. Jahrhundert und setzen sich danach in diversen Diktaturen, internen bewaffneten Konflikten, bei Prozessen der Zwangsvertreibung und Landenteignung sowie in der bis heute anhaltenden sexualisierten Gewalt gegen Frauen fort.

Das Casa de la Memoria stellt aber auch heraus, dass es in jeder Phase Widerstand gab, um die Lebensbedingungen zu verändern und die Hoffnung auf ein gerechteres Land zu erhalten.

Lernen und Weitergeben

In verschiedenen Workshops, die Karolin Loch zusammen mit ihrer Kollegin Andrea Plician Mendez konzipiert, vorbereitet und durchführt, setzen sich Lehrer*innen mit Gewaltkontinuum und Widerstand auseinander.

Sie werden angeregt, die Geschehnisse aus der Perspektive der historisch Unterdrückten zu betrachten, und erarbeiten Methoden zur partizipativen Unterrichtsgestaltung.

Gleichzeitig werden Jugendliche und junge Erwachsene fortgebildet, die sich im Casa de la Memoria als freiwillige Ausstellungsbegleiter*innen engagieren. „Hier fördern wir auf künstlerische Weise Selbstreflexion und kritisches Denken“, sagt Loch. Außerdem lernen die Teilnehmer*innen Methoden kennen, wie sie sich selbst politisch engagieren können, zum Beispiel in anderen Gruppen und Initiativen. CALDH verfolgt hier den Ansatz der Peer-Pädagogik: die Idee, dass Jugendliche von Jugendlichen lernen, frei von Altershierarchien, und mit dem Ziel, ihnen eine Stimme zu geben.

Workshop mit Lehrer*innen in der Casa de la Memoria
Rollenspiel während einer Fortbildung, um die Lebensrealität unterdrückter Gruppen besser zu verstehen.
Maskenbau einer jugendlichen Ausstellungsbegleiterin, die sich mit ihrer eigenen Identität befasst.
Gruppenfoto einer Lehrer*innenfortbildung mit ZFD-Fachkraft Karolin Loch ( vordere Reihe links)

Damit wir nicht vergessen

Dass sie hierzu einen Beitrag leisten kann, indem sie das Team des Casa de la Memoria durch ihre produktive Fremdheit unterstützt und andere Erfahrungen und Ansätze einbringt, motiviert Karolin Loch sehr, wie sie sagt. „Außerdem lerne ich jeden Tag von den Menschen und Situationen, die mir in Guatemala begegnen.“ Auf einer Feierlichkeit, die kürzlich in Gedenken an im Bürgerkrieg ermordete Maya veranstaltet wurde, habe sie beeindruckt, wie versöhnlich gemeinsames Erinnern sein kann, und dass es Frieden tatsächlich erfahrbar mache.

Genau das will das Casa de la Memoria fördern: „Kreativ und engagiert dem Vergessen begegnen und der Erinnerung Flügel verleihen“, sagt Karolin Loch. Erst dann entstehe Raum für neue Perspektiven und eine guatemaltekische Gesellschaft, in der alle frei von Rassismus und gleich an Chancen und Rechten leben können.

Zentrum gegen Menschenrechtsverletzungen

Das Centro Para la Acción Legal en Derechos Humanos, CALDH (Zentrum für rechtliche Maßnahmen im Bereich der Menschenrechte) setzt sich seit vielen Jahren als anerkannte Nichtregierungsorganisation für die Wahrung der Menschenrechte in Guatemala ein.

Wichtigstes Bestreben von CALDH ist es, in Guatemala, aber auch weltweit die Auseinandersetzung mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu fördern, die in Guatemala vor allem gegen Frauen und die indigene Bevölkerung begangen wurden und werden, und dabei sicherzustellen, dass Gewalt, Straflosigkeit und Ungerechtigkeit beendet werden und sich nicht wiederholen.

Dazu setzt sich CALDH mit unterschiedlichen Programmen und Projekten – darunter das Casa de la Memoria – für kreative Wissensvermittlung, die juristische Aufarbeitung der Verbrechen, die Begleitung und Unterstützung der Betroffenen sowie für die Vergangenheitsbearbeitung und ein plurikulturelles Guatemala frei von Rassismus ein.

Kontinuum der Gewalt in Guatemala

Rassismus und Unterdrückung gegenüber indigenen Bevölkerungsgruppen zugunsten einer wirtschaftlichen Elite in Guatemala gehen in ihren Ursprüngen bis in die Zeit der spanischen Kolonisierung zurück. Auch nach der Unabhängigkeit 1821 behielt eine kleine konservative Oberschicht die politische Kontrolle, was für die Maya erneut Ausbeutung, Enteignung und Diskriminierung bedeutete.

Die sich verschärfende soziale Ungleichheit führte in den frühen 1960er Jahren zur Entstehung revolutionärer Bewegungen. In der Folge entwickelte sich ein Bürgerkrieg zwischen wechselnden autoritären Regierungen und linken Guerillaorganisationen. Dieser gipfelte Anfang der 1980er Jahre in der Gewaltherrschaft des Diktators Efraín Ríos Montt, der tausende Maya ermorden und ihre Dörfer vernichten ließ. Insgesamt kamen während des Konflikts mehr als 200.000 Menschen ums Leben, 45.000 verschwanden, die meisten – so stellte eine Wahrheitskommission 1999 fest – durch Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte.

Bis heute ist es nicht gelungen, die strukturellen Ursachen des Rassismus und der sozialen Ungleichheit in Guatemala zu überwinden. Eine Aufarbeitung der Gewalt findet nur vereinzelt statt. 2013 jedoch erreichten Überlebende des Bürgerkriegs, unterstützt von Menschenrechtsgruppen, unter denen CALDH als Nebenklägerin auftrat, einen großen Erfolg: Für den Genozid an den Maya-Ixil und seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde Efraín Ríos Montt vor Gericht schuldig gesprochen.

Text: Karolin Loch, Eva Maria Helm; Fotos: CALDH