Das Wissen aus dem Psychologie-Studium in der Friedensarbeit einsetzen

Ruth Ndashimye

Anna-Lena Bissinger ist Psychologin und unterstützt seit Mai 2022 als ZFD-Fachkraft die kirchliche Friedens- und Versöhnungsarbeit in Ruanda. Im Gespräch erzählt die 26-Jährige, wie sie ihre Qualifikationen in der Internationalen Zusammenarbeit einsetzen kann.

In welchem Bereich arbeitet Ihre Partnerorganisation und was sind dort Ihre Aufgaben?

Ich arbeite bei der Commission Diocésaine Justice et Paix (CDJP) Gikongoro in Nyamagabe, Ruanda und unterstütze hier die kirchliche Friedens- und Versöhnungsarbeit. Die Kommission wurde 1995 nach dem Genozid gegründet. Sie setzt sich für Gerechtigkeit und langjährigen Frieden auf diözesaner Ebene ein. Die Organisation begleitet zum Beispiel Familien oder Nachbar*innen, die in Konflikt stehen, unterstützt die friedliche Reintegration von ehemaligen Gefangenen und stärkt junge Menschen, um einen langfristigen Frieden im Land zu festigen.

Als Fachkraft im Zivilen Friedensdienst (ZFD) unterstütze ich das Team im eigenen Kapazitätsaufbau und der Netzwerkarbeit. Im Fokus meiner Arbeit steht außerdem die Planung und Weiterentwicklung von Workshops zu Mediation, aktivem Zuhören und Projektmanagement. Außerdem begleite ich die Friedens- und Versöhnungsarbeit in den Gemeinden.

 

CDJP Gikongoro
Nora Schnatz
Sarah Hellmann
Anna-Lena Bissinger
CDJP Gikongoro

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Einen typischen Arbeitstag gibt es eigentlich gar nicht, weil die Aufgaben so vielfältig sind. An Bürotagen beginnen wir um 7.30 Uhr mit einem gemeinsamen Gebet. In unserem Team sind wir zu fünft, aber in der ganzen Diözese arbeiten mehr als 70 Personen. Mit zwei Kolleg*innen arbeite ich sehr eng zusammen, wir planen Workshops von Inhalt bis Logistik oder erstellen Finanzberichte. An Workshoptagen treffen wir die verschiedenen Gemeindeverbände der Friedenskommissionen und sprechen über konkrete Konflikte vor Ort.

Highlights sind für mich die täglichen Teepausen, bei denen ich mit den Mitarbeiter*innen der Diözese in den Austausch komme oder die zweimal im Monat stattfindenden Sportnachmittage, bei denen wir uns zu Gymnastik, Basketball oder Volleyball treffen. Diese Begegnungen sind auch politisch gewollt, weil sie das gemeinsame Erleben fördern.

Welche Fähigkeiten sind in Ihrem Arbeitsfeld besonders gefragt und was bringen Sie als Psychologin dafür mit?

Das allerwichtigste ist die Sensibilität dafür, wie es Menschen geht, was sie brauchen. Das merke ich in den Gesprächen mit den Menschen in Ruanda immer wieder. Der Genozid ist 28 Jahre her, aber die Trauer ist immer noch präsent. Die traumasensible Arbeit ist eine Möglichkeit, mit dieser Trauer umgehen zu lernen. Ich beschäftige mich dafür mit ganzheitlichen Ansätzen wie dem Inner Healing. Aus meinem Studium bringe ich außerdem konkrete Methoden zur Vorbereitung und Begleitung von Workshops mit und grundsätzlich die Fähigkeit, mich auf Neues offen einzulassen.

Sie sind die erste Fachkraft bei der Partnerorganisation CDJP. Welche Erwartungen hat die Kommission an Sie?

Ich denke, die CDJP wünscht sich von mir vor allem gute Impulse und einen Außenblick bei den Fortbildungen der Mitarbeitenden zu Methoden der Vergangenheitsbewältigung und der  Begleitung der Versöhnungsinitiativen in den Gemeinden. Dafür ist Teamfähigkeit ganz wichtig, außerdem gute Sprachkenntnisse, um Verbindungen zu den Menschen herstellen zu können, mit denen wir arbeiten.

 

Die Zusammenarbeit mit Anna-Lena Bissinger hat mich dazu inspiriert, die Kommunikation über meine Aktivitäten und meine Mitarbeit im Team zu verbessern.

Marianne Mukabirori, Projektmanagerin der CDJP Gikongoro

Und Ihre Erwartungen?

Der wichtigste Punkt für mich war und ist die Integration ins Team und in die Organisation. Mein Wunsch, dass Menschen unterschiedlicher Nationalitäten über Grenzen und Vorurteile hinweg zusammen arbeiten können, ist vermutlich meine größte Motivation, hier in Ruanda zu sein und zu arbeiten. Grundsätzlich werde ich sehr offen aufgenommen, auch wenn es als junge Frau nicht immer einfach ist, gesehen und gehört zu werden. Ich glaube, es braucht Zeit sich aufeinander einzulassen und es geht in eine sehr gute Richtung.

Wie werden Sie bei Ihrem Einsatz durch AGIAMONDO unterstützt?

Ich bin mit der Begleitung der ZFD-Koordination von AGIAMONDO sehr zufrieden. Die Möglichkeiten der Weiterbildung während meiner Fachkraftzeit finde ich besonders wertvoll. Ich kann zum Beispiel Fachberatungen zu Themen wie Umgang mit Stress oder traumasensibler Arbeit machen, oder meine Kenntnisse in Französisch und Kinyarwanda mit Sprachkursen vertiefen. Außerdem nutze ich regelmäßig das Coachingangebot, das AGIAMONDO allen Fachkräften während ihres Einsatzes anbietet.  

Warum haben Sie sich als Psychologin für die Stelle als Friedensfachkraft im Entwicklungsdienst beworben?

Mein Psychologiestudium an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz und das nachfolgende Studium der Kulturanthropologie an der Goethe-Universität in Frankfurt habe ich absolviert, weil ich mich für Menschen interessiere. Mich beschäftigen die Fragen: Was geht in ihnen vor? Was prägt sie? Wie leben sie? Seit meinem einjährigen Freiwilligendienst in Ruanda 2014 war mir klar, dass ich dort wieder arbeiten wollte. Während meines Psychologiestudiums habe ich darum mehrere Praktika in Ruanda gemacht und dort unter anderem in einer Psychiatrie gearbeitet. Diese Erfahrungen sind für meine jetzige Stelle sehr wertvoll. Hier kann ich all meine bisherigen Erfahrungen einbringen und merke gleichzeitig: Dieser Beruf hat so viele Farben! Ich hätte nicht gedacht, dass ich in weniger als einem Jahr bereits so viel lernen kann.

20.12.2022

Text: Eva Tempelmann