Als Fachkraft im Zivilen Friedensdienst in Timor-Leste - Lernen und Lehren mit friedlichen Mitteln

Als ZFD-Fachkraft für Friedenspädagogik und partizipative Unterrichtsmethodik arbeitet Sandra Schweiger an der Sekundarschule Sacrojes Becora in Dili/ Timor-Leste. Sie lebt seit Februar 2019 in Dili und schloss ihr Studium mit einem Master in Konfliktlösung und Mediation ab. Nachfolgend spricht sie über die Geschichte des Landes und darüber, wie sie ihre Arbeit und die Menschen erlebt:

„Die gewaltvolle Vergangenheit des Landes mit Kolonialregime und Besatzung hat auch dazu geführt, dass Schüler*innen bis heute körperliche Gewalt als Disziplinierungsmaßnahmen seitens ihrer Lehrer*innen erleben. Diese sind unterbezahlt und schlecht ausgebildet, weil der Bildungssektor finanziell vernachlässigt wird. Unterrichtet wird traditionell frontal, Abschreiben und Auswendiglernen sind Standard. Die Lehrenden sprechen, die Schüler*innen hören zu, Widerspruch ist unerwünscht.

Dieser Ausgangssituation begegnet das Landesprogramm des Zivilen Friedensdienstes von AGIAMONDO mit dem Schwerpunkt „Förderung der gewaltfreien Konfliktbearbeitung und Teilhabe durch Pädagogik, Medien und gewaltpräventive Maßnahmen“. Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes in Timor-Leste arbeiten in Lehrerausbildungsstätten, Medienstationen und Schulen.

Eine davon ist die Eskola Sacrojes, Becora, in der ich mitarbeite, dort wird vom Kindergarten bis zum Abitur unterrichtet. Sie ist eine von sieben Privatschulen mit 90 Lehrer*innen und ca. 1200 Schüler*innen aus dem ganzen Land, damit verbunden sind kulturelle Unterschiede und gesellschaftliche Konflikte. Timor-Leste hat 32 Sprachen und Dialekte. Der Unterricht findet in der Landessprache Tetum statt, alle Unterrichtsmaterialien sind jedoch in Portugiesisch verfasst.

Das Friedenspädagogik-Projektteam, zu dem Vizedirektor Candido Belo da Luz, die Englischlehrerin Alda Carvalho de Jesus und ich gehören, entschied 2019, dass die Friedensarbeit persönlichkeitsstärkend sein und gewaltfreies Verhalten fördern soll. Es gibt ein eigenes Unterrichtsfach in Friedenserziehung und regelmäßige Trainings für Lehrer*innen. Unterrichtsthemen sind Selbstreflexion, Umweltbewusstsein und konstruktive Konfliktbearbeitung. Mit partizipativen Methoden wie Gruppendiskussionen, Spielen, Rollenspielen werden eigene Talente und Schwächen entdeckt und kreatives Handeln sowie kritisches Denken gefördert. Der Unterricht, der an fünf Tagen in der Woche stattfindet, soll individuelles Lernen ermöglichen und ist sehr interaktiv gestaltet. Das Vertrauen untereinander wird durch die Teilnahme anderer Lehrer*innen gestärkt. Sie können dabei Ideen für Übungen und alternative Methoden für ihren eigenen Unterricht sammeln.

Wissenswert

Timor-Leste hat mit 450 Jahren portugiesischer Kolonialherrschaft und 25 Jahren indonesischer ­Besatzung zwei gewalttätige Regime erlebt, die viele Menschen das Leben kostete. Durch den Befreiungskampf wurden drei Viertel der Bevölkerung vertrieben, die Infrastruktur zerstört und Mangelernährung ist immer noch weit verbreitet. Das Land ist erst seit kurzem unabhängig und sowohl Regierungsstrukturen als auch Bildungssystem mussten komplett neu aufgebaut werden.

Chemie-Lehrer*innen und Praktikant*innen testen Experimente für den Unterricht.
Lehrende probieren chemische Reaktionen mit einfachsten Mitteln aus, um sie später mit den Schüler*innen durchzuführen.
Letztes Training für Lehrer*innen Ende September zu praktischen Unterrichtsmethoden.
Ein Mathematik-Lehrer probiert aus wie man Trigonometrie mit Hilfe eines Steins, einer Schnur und eines Klinometers lehren kann.
Lehrende bereiten Experimente für den Unterricht vor.
Das Friedenspädagogik-Projektteam: Englischlehrerin Alda Carvalho de Jesus, der stellv. Schulleiter Candido Belo da Luz, Sandra Schweiger (von links)

Die Schüler*innen verwirrt oft, dass in unserem Unterricht gelobt und nicht traditionell getadelt wird. Mich beeindruckt in den Übungen das soziale Verhalten in der Gruppe. Dies hängt mit dem Wertesystem der Gesellschaft zusammen, in dem die Gemeinschaft wichtiger ist als das Individuum. Die Schüler*innen treffen in der Gruppe souverän Entscheidungen, diskutieren und kooperieren, um ein Ziel zu erreichen.

Zweimal pro Monat erarbeiten wir in den Trainings mit Lehrer*innen alternative Strategien, um Disziplin im Klassenzimmer mit gewaltfreier Kommunikation zu erreichen. Wir sprechen über die Auswirkungen von physischer Gewalt und wie sie sich vermeiden lässt. Auch Planung, professionelle Durchführung und Evaluierung von Unterrichtseinheiten gehören dazu. Für 2021 ist geplant unsere Trainingsinhalte auch außerhalb Dilis zu vermitteln.

Nach intensiven anderthalb Jahren, in denen ich die lokale Sprache gelernt habe und das Vertrauen des Vize-Direktors und der Lehrer*innen gewinnen konnte, kann ich auf das Schulmanagement einwirken. Wir haben im Peace Education Team eine gute Basis gefunden und können vor allem die jungen Lehrer*innen sehr gut erreichen. Das motiviert mich besonders. Nicht ganz einfach ist es auf dem Schulareal regelmäßig Schläge mitzuerleben. Mit dem Wissen um die Vergangenheit Timor-Lestes und der anthropologischen Einordnung, kann ich mich jedoch gut abgrenzen. Mich freuen die kleinen Fortschritte: Lehrer*innen, die mir erzählen, dass sie die Methoden zur positiven Disziplinierung nutzen, die neuen Materialien verwenden und die Schüler*innen weniger schlagen.“

Mehr über das Programm Ziviler Friedensdienst.


Text: Sandra Schweiger/ Ursula Radermacher

20.10.2020