Wenn der Fluss rauscht

Bianca Bauer

Mit Radiosendungen, virtuellen Workshops und Kunst auf Hauswänden macht die kolumbianische Organisation PODION über viele Kanäle auf Umweltkonflikte aufmerksam.

Wie vielseitig und fruchtbar die Region Magdalena Medio im Zentrum Kolumbiens tatsächlich ist, kann sich Oscar Sampayo zurzeit nur noch auf Fotos oder im Internet anschauen. Wegen der strengen Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und bewaffneter Konflikte in der Region darf der Umweltaktivist seit März nicht mehr in die Gemeinden der Umgebung reisen. Dabei ist es so wichtig, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben, weiß Sampayo, ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen und darüber aufzuklären, wie sie sich gegen Landraub und Ausbeutung wehren können.

Auswirkungen von Bergbau und Ölindustrie

Der Politologe arbeitet für das Umweltprojekt der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation „Corporación PODION“, die sich in vielen Teilen des Landes für Artenvielfalt, Umweltschutz und die Wahrung der Menschenrechte einsetzt. Auch in Barrancabermeja, der größten Metropole im Magdalena Medio. „Öl-Hauptstadt“ Kolumbiens wird sie von den Einheimischen genannt. Hier breiten sich die Anlagen der landesweit größten Ölraffinerie aus. Die ganze Gegend ist reich an Bodenschätzen. Erdöl und Kohle, aber auch Kalkstein und andere Mineralien werden gefördert und verarbeitet – mit erheblichen Auswirkungen auf Wasser und Böden.

Als Kind habe er in den Sumpfgebieten noch Biberratten, Rochen und Rundschwanzseekühe beobachtet, erzählt Sampayo. Heute sind viele Tierarten bedroht, ebenso wie die Existenzen der Menschen, die von der Landwirtschaft oder der Fischerei leben. Denn der Bergbau beansprucht immer mehr Acker- und Weideflächen, Abraumabfälle kontaminieren das Grundwasser, Siedlungen müssen neuen Gruben weichen.

Wissenswert

Kohleabbau und Erdölförderung in Kolumbien verursachen massive Umweltschäden und bedrohen die Rechte und Existenzen der lokalen Bevölkerung. Diese Missstände anzumahnen ist für ZFD-Fachkraft Claudia Hurtado Rivas und ihre Kolleg*innen vom Umweltprojekt der kolumbianischen „Corporación PODION“ im Kontext der Corona-Kontaktsperre noch schwieriger geworden – zumal digitale Kommunikation nur bedingt funktioniert. Trotzdem haben sie kreative Lösungen gefunden, um mit ihrem Engagement auf Distanz präsent zu bleiben.

Bianca Bauer
Peace Brigades International - PBI Colombia
Bianca Bauer
Oscar Sampayo
Bianca Bauer

Digitale Kommunikation nur bedingt möglich

Um Bäuerinnen und Bauern, Fischerei-Verbände, Gewerkschaften und andere Akteur*innen zu unterstützen, aber auch negative Effekte des Bergbaus zu dokumentieren und gegenüber Entscheidungsträger*innen Lösungen anzumahnen, waren Oscar Sampayo und seine Kolleg*innen sehr häufig in den betroffenen Gemeinden unterwegs. Als dann die Corona-Pandemie Reisen unmöglich machte, stand das Team des Umweltprojekts vor der Herausforderung: Wie aus der Ferne präsent bleiben, mit Betroffenen weiterhin Kontakt halten, Missstände bezeugen und in Gesprächen über Unrecht aufklären?

„Digitale Kommunikation funktioniert in Kolumbien nur bedingt“, sagt Oscar Sampayo. Aufgrund der hohen Gebirgszüge des Landes sowie des mangelnden Ausbaus der entsprechenden Infrastruktur ist die Internetverbindung vielerorts schlecht oder gar nicht vorhanden. Auch misstrauten die Menschen der Technik. Die meisten äußerten sich nur dann zu bestimmten Fragen, wenn sie in einer sicheren Umgebung mit jemandem sprechen, den sie kennen und dem sie vertrauen, sagt Sampayo. Zu oft schon seien Telefongespräche abgehört worden. „Und wenn gewisse Informationen an die falschen Leute geraten, setzt das die Betroffenen einer großen Gefahr aus.“

Tödliches Engagement

Für die Umwelt- und Menschenrechtsarbeit bei PODION ergeben sich dadurch große Herausforderungen in einer Zeit, in der die ganze Welt auf Distanz geht und Austausch fast nur noch mittels digitaler Endgeräte möglich ist. Sampayos Befürchtung, sich angreifbar zu machen, ist nicht unbegründet. Wer sich in Kolumbien sozial oder politisch gegen Rohstoffabbau und Abholzung engagiert, wird häufig bedroht oder sogar ermordet. Im kürzlich veröffentlichten Bericht „Defending Tomorrow“ der Nichtregierungsorganisation „Global Witness“ über die Klimakrise und die Bedrohungen für Land- und Umweltverteidiger*innen nimmt Kolumbien mit 64 ermordeten Aktivist*innen im Jahr 2019 den ersten Platz ein.

Trotzdem machen die Kolleg*innen des Umweltprojekts weiter. Oscar Sampayo nutzt jede Gelegenheit, um die Menschen aus den Landgemeinden doch irgendwie persönlich zu treffen. Und wenn es nur einmal im Monat ist, wenn sie für Arzt- oder Bankbesuche in die Stadt kommen.

Wissenswert

In seinem ZFD-Landesprogramm Kolumbien unterstützt AGIAMONDO seit 2002 lokale Partnerorga­nisationen in den Bereichen Friedensförderung, Versöhnung und Menschenrechtsarbeit. Die aktuelle Programmphase (2019-2022) fokussiert auf die Bearbeitung von Land-, Um­welt- und Ressourcenkonflikten, den Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Gegenwart und die Förderung der Friedenskultur.


Besonders eng arbeitet AGIAMONDO mit der kolumbianischen Organisation „Corporación PODION“ zusam­men. Seit 1990 engagiert sich PODION für die Stärkung und Partizipa­tion sowohl von NGOs, kirchlichen Institutionen und Gemeinden als auch von sozialen Basisorganisationen, die sie begleiten und qualifizieren. Ziel ist es, Erfahrungen zu systematisieren, den Austausch zu fördern und lokale und regionale Strategien zu koordinieren, damit Entwicklung und friedliche Koexistenz auf der Grundlage der Wahrung der Menschenrechte umgesetzt werden können.

Arbeitsstrategien anpassen und dranbleiben

In Bogotá sitzt ZFD-Fachkraft Claudia Hurtado Rivas am Wohnzimmertisch ihres Hauses und arbeitet am PC. Neben ihr auf dem Fußboden schaukelt ihr kleiner Sohn Leandro in einer Wippe und brabbelt zufrieden vor sich hin. Auch in Kolumbien ist das mobile Arbeiten seit Ausbruch der Corona-Pandemie zur gängigen Praxis geworden, damit Kontakte im Büro vermieden werden. Hier sind Messenger-Dienste und Apps für Video-Konferenzen ein häufig genutztes Mittel, um mit Kolleg*innen organisatorische Abläufe zu planen oder Projekte umzusetzen.

„Es ist entscheidend, dass unsere Arbeit weitergeht“, sagt die gebürtige Peruanerin entschlossen. Als stellvertretende Koordinatorin des ZFD-Programms in Kolumbien begleitet Hurtado Rivas die Aktivitäten von PODION seit 2017 und weiß, wie wichtig es ist, dranzubleiben. „Gerade jetzt, im Schatten der Pandemie, versuchen Konzerne und die kolumbianische Regierung ihre Interessen weiter durchzusetzen“, sagt sie. Und auch wenn ihr der persönliche Austausch fehle, schätze sie die kreativen Ideen sehr, mit denen sich ihre Kolleg*innen auf Distanz vernetzen und Gehör verschaffen.

Aufklärung „On Air“

Eine dieser Ideen setzt auf die Verbindung analoger UKW-Technik und moderner Social Media. Luis Enrique Ordúz, Projektkoordinator bei PODION in Bogotá, ist mit dem Ergebnisbericht der Initiative sehr zufrieden: Etwa 8.000 Menschen im Magdalena Medio haben jede Woche die Radiosendungen verfolgt, die PODION seit August unter dem Titel „Cuando el río suena“ (Wenn der Fluss rauscht) produziert und über kommerzielle Rundfunkstationen übertragen lässt. Knapp 100 Hörer*innen haben Kommentare und Fragen über soziale Netzwerke gepostet. Für Ordúz zeigen die Zahlen: Es besteht Interesse an den Themen, die sie bearbeiten. In den Sendungen setzt sich PODION unter anderem mit den Auswirkungen des Kohleabbaus, lokalen Umweltinitiativen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und anderen Umweltaspekten auseinander, „die konventionelle Hörfunkanstalten normalerweise nicht behandeln“, sagt Ordúz.

So wie das umstrittene Fracking, ein Förderverfahren, bei dem per Bohrung in tiefe Gesteinsschichten vorgedrungen wird, um eingelagerte Öl- und Gasvorkommen unter Verwendung von Wasser und Chemikalien aus den Gesteinsporen herauszulösen. Dass erste Pilotprojekte zur Erprobung dieser Methode in Kolumbien bereits laufen und schwerwiegende Auswirkungen auf das fragile Ökosystem haben könnten, beleuchtete PODION in einer Folge mit Expert*innen und sozialen Autoritäten.

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Ariadna Cardozo Solano
Orlando Cardozo
Orlando Cardozo

Kommunikation über viele Kanäle

Auf diese Weise ermöglicht die Organisation kontaktlose Aufklärung für viele Betroffene – zehn Folgen von „Cuando el río suena“ wurden bereits produziert. Dahinter steckt viel Arbeit. Denn für Luis Enrique Ordúz und seine Kolleg*innen in Bogotá ist es oft schwer, die Situation in den Landgemeinden konkret nachzuvollziehen, ohne sich selbst vor Ort ein Bild machen zu können. Die nötigen Informationen zusammenzutragen, ist aufwendig.

Dass es sich lohnt, trotz der Widrigkeiten, die in Kolumbien die digitale Vernetzung und Kommunikation beeinträchtigen, weiter kreative Lösungen zu suchen, mit denen Missstände benannt und Handlungsspielräume angezeigt werden können, davon sind Claudia Hurtado Rivas, Luis Enrique Ordúz und Oscar Sampayo überzeugt. Irgendein Kanal findet sich immer. So auch für ihre Workshops über einheimisches Saatgut, ökologische Anbaumethoden oder Biodiversität, die PODION mittlerweile in virtuelle Formate gegossen und auf ihren Social-Media-Plattformen online verfügbar gemacht hat. So können Nutzer*innen das, was bisher in Gesprächen oder Schulungen vermittelt wurde, landesweit von zu Hause ansehen, mit anderen teilen und ihre Erfahrungen im Chat austauschen.

Die Natur bewusster wahrnehmen

Das funktioniert allerdings nur dann, wenn eine passable Internetverbindung verfügbar ist. In Tolima ist das nicht immer der Fall. Die Provinz am südlichsten Rand des Magdalena Medio ist ländlich geprägt. Viele Menschen leben von Landwirtschaft oder Viehzucht. Doch auch hier birgt der Boden wertvolle Mineralien, deren Ausbeutung immer mehr Acker- und Weideland sowie große Waldflächen bedroht.

Orlando Cardozo will über diese Situation aufklären und den Schutz der Umwelt öffentlich anmahnen – auch ohne digitale Unterstützung. „Es ist wichtig, dass die Gemeinden sich ihr Territorium zu eigen machen“, sagt er entschlossen. Auch Cardozo ist Mitarbeiter des Umweltprojekts von PODION. Der Bauernhof, auf dem er lebt und arbeitet, hat bereits seiner Großmutter gehört. Cardozo ist tief verwurzelt mit dem Land und der Natur, deren Vielfalt und Artenreichtum er durch diverse Einflüsse bedroht sieht: „Viele Kleinbauern wissen ihr Land nicht zu schätzen.“ Sie müssten es bewusster wahrnehmen, so Cardozo weiter, um seine Ressourcen zu schützen.

Wissenswert

Umweltzerstörung in Kolumbien schürt Konflikte

Die ungleiche Verteilung von Land, Ressourcen und Einfluss in Kolumbien begründet seit mehr als 50 Jahren einen der ältesten Konflikte in Lateinamerika. Zwar stellt der Friedensvertrag von 2016 zwischen der linken Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und der kolumbianischen Regierung einen wichtigen Schritt zur Überwindung der Konfliktursachen dar. Im Alltag der Kolumbianer*innen jedoch bleiben soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Übervorteilung und Gewalt nach wie vor präsent, ja nehmen sogar zu.

Verschärft werden diese Probleme auch durch den verstärkten Abbau von Bodenschätzen wie Kohle oder Erdöl, der vom Staat gesetzlich unterstützt wird. Durch die Umwandlung von Acker- oder Weideland in Bergbauflächen werden insbesondere indigene, afro-kolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinden ihrer Existenzgrundlagen beraubt. Auch die Artenvielfalt sowie das Klima leiden unter der massiven Umweltzerstörung.

Zahlreiche Menschenrechtsaktivist*innen und Umwelt-schützer*innen in Kolumbien setzen sich gegen diese Missstände zur Wehr, jedoch mit erheblichem Risiko. Allein 2019 wurden einer Studie der Nichtregierungsorganisation „Global Witness“ zufolge mindestens 64 kolumbianische Land- und Umweltaktivist*innen aufgrund ihres Engagements getötet – so viele wie in keinem anderen Land.

Häuserfassaden statt Bildschirme

Damit sie das tun, hat PODION in Tolima eine besondere Kampagne gestartet. In mehreren Dörfern haben Künstler*innen große Wandbilder an Häuserfassaden gemalt, die auf fantasievolle, farbenfrohe Weise den Nebelwald Galilea und seine Tierwelt darstellen. Dort waren im Jahr 2000 Erdölreserven entdeckt worden. Ziel der Kampagne war es, Aufmerksamkeit zu erregen und den Wald im Bewusstsein der Bevölkerung als etwas schützenswertes präsent zu halten.

Das ist gelungen. Im Dezember 2019 wurde der letzte Nebelwald von Tolima auf großen öffentlichen Druck hin und nach langem Ringen mit der Erdöllobby offiziell zu einem Naturpark erklärt. Internationale Unternehmen wie der brasilianische Mineralölkonzern Petrobras nahmen Abstand von ihren Förderprojekten in Galilea. Für Orlando Cardozo ist dieser Erfolg aber erst der Anfang. Gemeinsam mit lokalen Familien will er versuchen, deren Landgüter als zivilgesellschaftliche Reservate festlegen zu lassen und so ein Netzwerk an Schutzgebieten aufbauen, welches das Land und seine Menschen vor der weiteren Ausbeutung durch die Erdölindustrie schützt.

Flexibel, kreativ und mutig

Auch Oscar Sampayo und sein Team in Barrancabermeja haben Pläne, wie sie ihr Engagement zum Schutz der Umwelt weiter voranbringen können. Viele Arbeitsstunden haben sie investiert, um Informationen über Ölunfälle und deren Auswirkungen zu sammeln und in einem Bericht zusammenzutragen. Darauf ist Sampayo besonders stolz. Wenn alles fertig ist, will er das Dokument als Referenz für PODIONS Aufklärungsarbeit nutzen und auch Entscheidungsträger*innen als Informationsgrundlage vorlegen, um Gesetzesvorschläge für einen schonenden Abbau fossiler Brennstoffe voranzutreiben.

Noch ist der Weg dorthin steinig und es werden viel Kommunikation und Aufklärung notwendig sein, damit sich etwas ändert. Sicher ist jedoch: Ob digital im Internet, über Rundfunk oder auf Häuserfassaden – PODION wird flexibel bleiben und sich kreativ und mutig den Herausforderungen stellen, die Umweltschutz und Menschenrechtsarbeit in Kolumbien mit sich bringen.

 

Text: Bianca Bauer, Claudia Hurtado Rivas

01.12.2020