Das Land unter unseren Füßen

Um an den wertvollen Kalkstein zu gelangen, werden immer mehr Weidegebiete in Steinbrüche umgewandelt. Karimojong, die von der ‎Viehhaltung leben, werden dadurch erheblich eingeschränkt.‎

Gewaltfreie Konfliktbewältigung in Norduganda – für ‎Veränderungsprozesse hin zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit: In Norduganda ist Land ein hart umkämpftes Gut. Die meisten Menschen leben ‎von Ackerbau und Viehzucht – das Land bildet ihre Existenzgrundlage. Nicht ‎selten kommt es zu gewaltsamen Konflikten, weil aus unterschiedlichen Gründen ‎andere Familien oder gar Investoren Anspruch auf dasselbe Land erheben. ZFD-‎Fachkräfte von AGIAMONDO und ihre lokalen Kolleg*innen unterstützen Diözesen ‎und Partnerorganisationen vor Ort dabei, den Menschen friedliche Wege der ‎Konfliktlösung zu vermitteln.‎

Direkt vor dem Eingang einer bunt gestrichenen Kirche baut Kalisto einen Stuhlkreis auf. Als Vorsitzender des Pfarrgemeinderats von Loyoro ist er immer dabei, wenn sich dessen Mitglieder ein Mal im Monat hier versammeln, um wichtige Angelegenheiten der Gemeinde zu besprechen. Dabei geht es oft um nicht weniger als die Existenz ihrer Bewohner*innen. Denn die fruchtbare Erde, auf der sie leben, birgt großes Konfliktpotenzial.

Für die meisten Menschen in Norduganda stellt das Land ihre Existenzgrundlage dar. Es ist das Fundament, auf dem sie ihre Häuser errichten, ihre Tiere halten und Landwirtschaft betreiben. Aus unterschiedlichen Gründen kommt es jedoch immer wieder vor, dass Dritte Anspruch darauf erheben. Das wird insbesondere dann zum Problem, wenn es um Ressourcen geht und jene, denen das Land seit Generationen gehört, keine Papiere haben, um ihren Besitz zu beweisen.

Steinbrüche zerstören Acker- und Weideland

„Das Land ist das Rückgrat unseres Lebens“, sagt Kalisto. Weil er selbst in Loyoro lebt, betrifft ihn das Problem unmittelbar. Einige Kilometer südlich, am Fuße des Mount Moroto, wird Kalkstein abgebaut, so, wie auch an vielen anderen Orten der hiesigen Region Karamoja im Nordosten Ugandas. Große Konzerne benötigen den weißen Rohstoff, um Zement herzustellen. Sie erwerben Lizenzen unter fragwürdigen Bedingungen, errichten Steinbrüche und zerstören dafür Acker- und Weideland. Dadurch verlieren viele Familien die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen.

Doch anstatt im Streit um Landrechte gewaltsame Auseinandersetzungen zu riskieren, setzt Kalisto auf eine friedliche Bearbeitung des Konflikts. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Gemeinde hat er einen Verband für Gemeinschaftsland gegründet, der die Interessen der Bevölkerung vertritt und ihnen hilft, ihre Rechte einzufordern.

Unterstützung gegen die Ausweglosigkeit

Stefan Friedrichsen weiß, wie wichtig diese Unterstützung für die Betroffenen ist – und für den Frieden in der Region. Er ist Koordinator des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) von AGIAMONDO in Uganda und kennt die Probleme illegaler Landaneignung genau. „Wo Menschen tagtäglich ums Überleben kämpfen, können sie sehr leicht ausgebeutet werden“, sagt er.

Karamoja zählt zu den ärmsten Gegenden des Nordens. Langanhaltende Dürreperioden und die Folgen des Bürgerkriegs haben dazu beigetragen. Den Menschen bleibt nicht viel mehr als Grund und Boden, um ihr Überleben zu sichern. Wird ihnen der Zugang dazu verwehrt, geraten sie in eine ausweglose Situation und nehmen das Gesetz selbst in die Hand. Das könne schnell in Gewalt eskalieren, so Friedrichsen. „Unterstützungssysteme wie der Verband für Gemeinschaftsland helfen den Menschen, ihre Rechte zu kennen, wahrzunehmen und gegenüber illegalen Landkäufern einzufordern.“

Im Bergbaugebiet Kosiroi unweit des Mount Moroto arbeiten viele Menschen unter schwersten Bedingungen in den Steinbrüchen, um sich ihr ‎Überleben zu sichern. ‎
Während eines Treffens berichtet Kalisto (rechts) Patricia Henning (links) und anderen Kolleg*innen von seinen Erfahrungen, die er mit ‎Landkonflikten in Loyoro gemacht hat.‎
Auf regelmäßigen Austauschtreffen, wie hier in Moroto, begegnen sich AGIAMONDO-Friedensfachkräfte und ihre lokalen Kolleg*innen auch ‎mal abseits des vollen Arbeitsalltags.
Fiona Abbo und ihre Kollegin Paska Kerisa aus der Diözese Moroto nehmen mithilfe von GPS-Geräten ‎und Mobiltelefonen Landvermessungen vor.‎
Irene Mukasa-Erben besucht zusammen mit Kolleg*innen von Advance Afrika und der ‎ugandischen Gefängnisbehörde ehemalige Gefangene.
Stein für Stein verladen junge Männer den abgebauten Kalkfelsen zum Abtransport auf Lkw.

Produktive Konfliktlösung fördern

Damit das gut funktioniert, werden Kalisto und seine Mitstreiter*innen vom Büro für Frieden und Gerechtigkeit der Diözese Kotido unterstützt. Friedensfachkraft Patricia Henning begleitet die dortige Arbeit. Zusammen mit einer ugandischen Kollegin bietet sie Schulungen an, in denen aktive Kirchenmitglieder erfahren, wie Konflikte entstehen und wie sie friedlich bearbeitet werden können. Teilnehmer wie Kalisto lernen, ihre Gemeinden als Mediatoren zu beraten, um so darauf hinzuwirken, dass Konflikte produktiv gelöst werden.

Darüber hinaus leistet das Büro Aufklärungsarbeit zu Landrechten in den Gemeinden, ein Thema, das in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Seit Ende des Bürgerkriegs und der Entwaffnung Karamojas interessieren sich immer mehr Investoren für das rohstoffreiche Land im Norden. Da die Bewohner*innen kaum Zugang zu Justiz und Informationen zur Gesetzeslage haben, wissen sie jedoch nicht, dass Registrierung ihren Landbesitz sichern kann. Erwerben Investoren dann Lizenzen, verlieren die Menschen ohne schriftlichen Nachweis ihre Äcker und Weiden.

Gemeinsam Gebietsgrenzen festlegen

In Karamoja gehört das Land selten einzelnen Personen. Meist sind es größere Familienzusammenschlüsse, die gemeinsam Anspruch auf ein Gebiet erheben. Damit auch unter ihnen keine Konflikte entstehen und sie sich vor möglichen Investoren schützen können, unterstützen sie Friedensfachkräfte wie Irmgard Kurte.

Zusammen mit den Kolleg*innen des Büros für Landrechte der Diözese Moroto arbeitet sie daran, Gebietsgrenzen sowie Mitglieder von gemeinsamem Landbesitz festzulegen und dies amtlich registrieren zu lassen. Durch Urkunden wird der Besitz offiziell und somit einklagbar. In diesem Prozess arbeiten Irmgard Kurte und ihre Kolleg*innen eng mit den Menschen vor Ort zusammen, sprechen mit jedem, der Anspruch auf Land erhebt, erstellen Karten mithilfe von GPS-Geräten und legen die Grenzen gemeinsam fest.

Die betroffenen Familien zu einer Einigung zu bewegen, erfordert viel Verständnis und
Geduld. Land bedeutet Überleben – darüber lässt sich schwer verhandeln. Gelingt es dennoch, können Landkonflikte gewaltfrei gelöst und Landrechte geschützt werden.

Alternativen zu Gewalt aufzeigen

Ojok lebt mit seiner Familie in Acholi, einer Nachbarregion von Karamoja in Norduganda. Für ihn dauert der Versöhnungsprozess an. Zu Kriegszeiten aus seiner Heimat vertrieben, kehrten er und seine Angehörigen nach Jahren in ihr Heimatdorf zurück. Dort bewirtschafteten mittlerweile andere das Land, das zuvor Ojoks Familie gehört hatte. Es kam zum gewaltsamen Konflikt und zwölf seiner Verwandten erhielten hohe Gefängnisstrafen.

Irene Mukasa-Erben, Friedensfachkraft bei der Nichtregierungsorganisation Advance Afrika, kennt die Geschichte der Familie gut. „Der Krieg hat viele Menschen traumatisiert“, sagt sie. „Traditionelle Unterstützungsstrukturen wurden zerstört, Gewalt wurde als alltägliches Mittel zum Zweck erlebt.“ Durch Mediation und Konfliktberatung helfen sie und ihre Kolleg*innen ehemaligen Häftlingen bei der Reintegration in ihre Gemeinden. Gemeinsam mit Gefängnissozialarbeitern und ehrenamtlichen Dorfmitgliedern bereiten sie sie auf eine friedliche Rückkehr vor und vermitteln vor Ort zwischen den Familien. „Wir zeigen den Menschen, dass sie sich nicht bekämpfen müssen, sondern einander zuhören können“, sagt Mukasa-Erben.

Auch Ojoks Angehörige sind mittlerweile wieder zu Hause und versuchen, mit Hilfe von Advance Afrika die Differenzen mit ihren Nachbarn zu überwinden.

Würdige Arbeitsbedingungen schaffen

Einigung fördern und soziale Gerechtigkeit stärken gehört auch zu den Aufgaben von Friedensfachkraft Marco Steffan. Im Büro für Frieden und Gerechtigkeit der Diözese Moroto setzt er sich vor allem für Menschen ein, die ihr Land durch den Kalkabbau verloren haben. Viele arbeiten tagtäglich unter schwersten Bedingungen mit der Hacke oder mit bloßen Händen zu Niedrigstlöhnen in den Steinbrüchen und können kaum ihr Überleben sichern. Gemeinsam mit der katholischen Mission in Tapac und unterstützt durch ein Projekt der Dreikönigs-aktion (DKA) Österreich klären die Kolleg*innen der Diözese Moroto die Menschen in der Region über ihre Landrechte auf und helfen ihnen, Entschädigungen für das enteignete Land sowie würdige Arbeitsbedingungen einzufordern.

Austausch für den Frieden

Das Wissen und ihre Erfahrungen, die die Partnerorganisationen des ZFD in Moroto, Kotido und Acholi bei ihrer Arbeit sammeln, geben sie untereinander und an andere weiter. Durch Netzwerktreffen, Projektbesuche oder gemeinsame Trainings lernen sie voneinander und tauschen sich über aktuelle Herausforderungen aus. So wird aus unterschiedlichen Geschichten ein gemeinsames Bild von Gewaltprävention und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen hin zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit in Uganda.


Auch Kalisto hat auf diese Weise viel von der Friedensarbeit seiner Nachbardiözese Moroto gelernt und gesehen, wie seine Kolleg*innen vorgehen, um die Rechte der Bevölkerung am besten zu schützen. Diese Erkenntnisse wird er mit den Mitstreiter*innen seines Verbands in Loyoro und den Gemeindemitgliedern teilen. „Wir sind alle Karimojong und müssen zusammenhalten“, sagt Kalisto, „denn wir stehen alle vor dem gleichen Problem. Deshalb kamen wir hierher, um voneinander zu lernen.“

 

Text: Irene Mukasa-Erben, Stefan Friedrichsen, Patricia Henning, Marco Steffan
Fotos: Rendel Freude

 


Landkonflikte in Uganda: Ein komplexes Problem

Land- und Ressourcenkonflikte kommen in Norduganda sehr häufig vor. Ihre Ursachen sind vielfältig und gehen bis in die Kolonialzeit zurück. Willkürliche Grenzziehungen, Stellvertreterkriege während des Kalten Krieges und Waffenlieferungen befeuerten immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen der Bevölkerung. Dadurch wurden viele Menschen vertrieben und Gebiete neu besiedelt, weshalb heute oft mehrere Familien Anspruch auf dasselbe Land erheben.

Zudem zieht der Rohstoffreichtum Investoren an, die Land unter zweifelhaften Bedingungen erwerben und die ursprünglichen Besitzer enteignen. Zwar regelt die Verfassung von 1995 Landbesitz für Individuen und Gruppen, davon, dass sie diesen registrieren lassen müssen, haben jedoch die wenigsten Menschen Kenntnis.

Verschärft wird das Problem zusätzlich durch die wirtschaftliche Lage Ugandas und die schwierigen Lebensbedingungen vor Ort: Bedingt durch den Klimawandel treten immer häufiger Dürreperioden auf, die Nahrungsmittelknappheit verursachen. Zudem wächst die Bevölkerung kontinuierlich, wodurch sich der Druck auf die Nutzflächen erhöht.