Das eigene Leben gestalten: Mit Kunsttherapie die Kreativität von Kindern fördern

Die Kunsttherapeutin Angela Katschke hat 2010 das Butterfly Art Project in Südafrika gegründet. Ihr Ziel: Kinder in ihrer Kreativität stärken und sie zu Gestalter*innen des eigenen Lebens machen. Als AGIAMONDO-Fachkraft berät und coacht sie nun Kolleg*innen vor Ort in der kunsttherapeutischen Arbeit.

 

Die Stirn des Kindes ist gerunzelt, der Blick konzentriert. Es taucht den Pinsel ins Wasserglas, dann in den Tuschkasten und fährt schließlich in einem Bogen über das Papier. Hier entsteht etwas. Ein Bild. Und auch eine Verwandlung.

Mit Kunst wachsen und heilen: Das ist das Ziel des Butterfly Art Projects (BAP), das die Kunsttherapeutin Angela Katschke vor mehr als 12 Jahren gegründet hat. Die gemeinnützige Organisation bietet Kunsttherapie im Armutsviertel Vrygrond südöstlich von Kapstadt für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche an. Die Kurse sollen den Kindern die Freude am Erschaffen ermöglichen und sie damit stärken. "In Vrygrond erleben viele Kinder Gewalt und Vernachlässigung", sagt Angela Katschke. "Die Kunst kann ihnen helfen, ein Ventil zu finden und das Erlebte zu verarbeiten."

Vrygrond ist eine der ältesten informellen Siedlungen des Westkaps. Es liegt 30 Kilometer südöstlich von Kapstadt. Etwa 45.000 Menschen leben hier. Gewalt und Vernachlässigung prägen das Leben der Kinder im Township. Das Butterfly Art Projekt möchte den Kindern einen sicheren Raum geben und sie in ihrer Widerstandskraft stärken.
Das Butterfly Art Project in Vrygrond ist ein kunsttherapeutisches Zentrum mit vier Ateliers — das erste dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent. Die Kunsttherapeutin Angela Katschke hat die gemeinnützige Organisation 2010 gegründet.
Ein Kind im Butterfly Art Project malt mit Wasserfarben. Diese Technik spricht die Gefühlswelt an und lässt die Kinder dabei tief ausatmen. Regelmäßiges Malen reduziert den toxischen Stress der Kinder und fördert ihre mentale Gesundheit.
"Pollinating pride in people", in Deutsch: die Menschen mit Stolz erfüllen. Auch das ist eines der Ziele des BAP. Die NGO setzt auf die Kunst als Mittel zum Wachsen und Heilen.
Das Team des Butterfly Art Projects 2023 vor dem Atelier im Montebello Design Centre in Newlands/Kapstadt.
Ringtime, der Begrüßungskreis mit Liedern und Spielen, erleichtert den Kindern das Ankommen und Verlassen der Einrichtung. Sie erleben Rhythmus, gemeinsame Bewegung und Musik. Der Abschiedskreis schließt mit einem Gebet für ihre Sicherheit. Ringtime ist ein wichtiges pädagogisches Element in den Programmen im BAP.

Angela Katschke ist seit Juni 2022 AGIAMONDO-Fachkraft und als Beraterin für das BAP und andere Organisationen tätig. Ihre Stelle wird von Misereor finanziert. Die 51-Jährige, die Kunsttherapie in der Freien Kunststudienstätte Ottersberg studiert hat, lebt seit 13 Jahren in Südafrika. Sie kann für diese Arbeit aus einer Fülle von Erfahrungen und Kontakten schöpfen. Seit einem Praktikum in Kapstadt kam sie mehrmals nach Südafrika zurück: "Hier ging es meiner Seele gut." Nach einer schwierigen Zeit in Deutschland packte sie ihre Koffer, beantragte eine südafrikanische Arbeitserlaubnis, gründete das BAP, lernte Fundraising und baute ein kunsttherapeutisches Zentrum mit vier Ateliers in der Gemeinde Vrygrond auf.

Das Zentrum ist das erste dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent und baut auf einer von Angela Katschke entwickelten Methode auf, die auf der Idee der Verwandlung beruht, wie sie z. B. die Raupe auf dem Weg zum Schmetterling vollzieht. In verschiedenen Kursen können sich die Kinder und Jugendlichen frei entfalten: in der Malerei, Holzbildhauerei, im Arbeiten mit Ton, Zeichnen, Comics, Stricken, Nähen oder Theater spielen. Die Kursinhalte drehen sich um Themen wie Gemeinschaft, Sicherheit, Gefühle und Zukunftsvisionen.

Über die Kunst kann ich den Menschen in meinem Viertel etwas zurückgeben und Teil der Lösung sein — statt Teil des Problems.

Charles Jansen, Vorsitzender des Community Development Trust und ehemaliger Straftäter

Im kunsttherapeutischen Zentrum in Vrygrond machen jede Woche 260 Kinder Kunst. Der Fokus liegt auf psychosozialer Unterstützung. Viele Kinder entwickeln sich über die Zeit zu kleinen und großen Künstler*innen.
Manchmal vergessen Eltern, ihre Kinder abzuholen. Hier begleiten zwei BAP-Mitarbeiter*innen die Kinder nach Hause, um deren Sicherheit zu gewährleisten.
Angela Katschke begründete vor vielen Jahren ein Programm für unbeschulte Sechs- bis Vierzehnjährige. Meistens sind die Erziehungsberechtigten mit der Versorgung der Kinder aufgrund von Sucht, Armut und Trauma überfordert. Das BAP setzt auf intensive Elternarbeit sowie Malen und Spielen, um Kindern den Einstieg in die Schule zu ermöglichen.
Im BAP werden 10.000 Kinder aus 112 Gemeinden betreut. Die Inhalte der Kunstkurse drehen sich um Themen wie Gemeinschaft, Sicherheit, Gefühle und Zukunftsvisionen.
Angela Katschke ist ausgebildete Kunsttherapeutin und lebt seit 13 Jahren in Südafrika. Als AGIAMONDO-Fachkraft übergibt sie das von ihr gegründete Butterfly Art Projekt an eine neue Leitung und berät andere südafrikanische Organisationen in kunsttherapeutischer Arbeit und psycho-sozialer Unterstützung.
Künstlerin, Kunsttherapeutin, Visionärin und Aktivistin – so beschreibt sich Angela Katschke. Dieses Bild (Ausschnitt) entstand um ihren 50. Geburtstag herum. Es trägt den Titel "Etwas zum Festhalten". "Ich fand es – trotz aller beruflichen Erfolge – sehr schwierig, mich im Land sozial zu verankern", sagt Angela Katschke dazu rückblickend.

Mit dem "Community Art Facilitator Programme" schult das BAP seit 2012 außerdem Menschen aus Vrygrond und Lavender Hill in kunsttherapeutischen Fähigkeiten zu Kursleiter*innen. "Diese Weiterbildungen sind unglaublich wirksam", sagt Angela Katschke. Ihre Kolleg*innen erreichten oft mit wenigen Mitteln sehr schnelle Ergebnisse, weil sie nah an der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen dran seien. Inzwischen arbeiten in der Organisation 250 Erwachsene aus ganz Südafrika. Sie betreuen 10.000 Kinder aus 112 Gemeinden. "Darauf bin ich sehr stolz", sagt Angela Katschke rückblickend.

Ein besonderer Kollege im BAP ist Charles Jansen. Als Angela Katschke den damals 24-Jährigen kennenlernte, war er drogenabhängig und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden – zum 23. Mal wegen Einbruch und Diebstahl. Im BAP begann er mit Aushilfsarbeiten. Heute übernimmt er die kunsttherapeutischen Kurse von Angela Katschke und ist Vorsitzender des Community Development Trust.

Während ihrer Vertragszeit übergibt Angela Katschke das BAP an eine neue Leitung. Der Lehrplan für das Community Art Facilitator Training ist bereits entwickelt. Parallel berät sie andere südafrikanische Organisationen zu kunsttherapeutischer Arbeit und Organisationsentwicklung. "Angela ist in ihrer Rolle als Beraterin ein Segen. Sie teilt Ideen und Kontakte und gibt dir das Gefühlt von  Verbundenheit“, sagt die Gründerin der NGO "Timbuktu in the Valley", die von Angela Katschke gecoacht wird.
Ihre lange Zeit in Südafrika sieht Angela Katschke als großes Geschenk für die Zusammenarbeit. Es brauche praktische Erfahrungen und das Erleben der Realität vor Ort für diese Arbeit. "Aus der Ferne beraten geht nicht."

05.07.2023

Text: Eva Tempelmann