Bedrohte Zukunft: Ecuador in der Corona-Krise

Ivana Olguera Gutierrez

AGIAMONDO-Fachkraft Markus Linsler arbeitet seit Oktober 2018 in Quito, der Hauptstadt Ecuadors, als Koordinator der weltkirchlichen Partnerschaft „Cooperación Fraterna“, die sein Auftraggeber – die Erzdiözese München und Freising – seit 58 Jahren mit der katholischen Kirche Ecuadors unterhält. Mit einer Summe von zwei Millionen Euro aus Hilfsfonds im Bereich Gesundheit, Bildung und karitative Hilfen und einem Corona-Nothilfefonds unterstützt das Erzbistum München und Freising das von der Pandemie schwer betroffene Partnerland Ecuador. Hier berichtet Linsler, wie sich das Leben der Menschen in Ecuador aktuell gestaltet.

„Es trifft die Ärmsten der Armen am stärksten“, sagt Markus Linsler. „Seit Beginn der Pandemie sieht man auf den Straßen viele Bettler*innen mit Kindern oder Kleinkindern, sie bitten um Geld für Essen. Viele davon sind geflüchtete Menschen aus Venezuela, die sonst keinerlei Einkommensquelle haben, aber auch ältere Einheimische.“ Für die Migranten ist die Coronakrise eine existentielle Bedrohung. Seit der Wirtschaftskrise 2013 in Venezuela, sind rund 266.000 Menschen nach Ecuador geflohen. Doch die Dunkelziffer liegt weitaus höher, schätzt Caritas International.

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Markus Linsler
Markus Linsler

Aber auch wer eine feste Arbeitsstelle hat, muss aktuell um sein Einkommen bangen. Um die Staatsausgaben zu senken, fährt Ecuadors Präsident Lenín Moreno einen strikten Sparkurs, indem er den Staatssektor reduziert und Löhne und Gehälter kürzt. Und im privaten Sektor werden die Arbeitnehmergesetze vielfach missachtet, einige Unternehmen haben die Löhne um bis zu 25 Prozent gekürzt. Auch Jobs im Einzelhandel oder der Gastronomie sind vielfach weggefallen, denn viele Geschäfte und Restaurants wurden während der strengen Ausgangsregelungen aufgegeben und stehen jetzt leer.

„Bisher haben die Menschen auf sehr kreative Weise versucht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Was aber, wenn die Zahl der Bedürftigen steigt und nicht jeder genug für seinen täglichen Bedarf erbetteln kann? Dann ist zu befürchten, dass die Kriminalitätsrate sprunghaft steigt“, so Markus Linsler.

Die Angst vor Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist groß. Die Arbeitnehmer sind besonders in der aktuellen Krise den Arbeitgebern ausgeliefert, da es sich keiner leisten kann, seinen Job zu verlieren. Allerdings regt sich auch Unmut über die Kürzung der Gehälter. In den großen Städten wie in Quito, gingen die Menschen zwischenzeitlich auf die Straße und demonstrierten.  

Auch für die Zukunft des Landes ist die Corona-Pandemie eine Bedrohung, sind doch viele Kinder und Jugendliche stark von der Krise betroffen. Bis zum Ende des Schuljahres wird der Unterricht ausschließlich virtuell durchgeführt, für viele Schulen stellt das eine enorme Herausforderung dar. An der Bistumsschule in Puyo, an der Schüler verschiedener indigener Gruppen gemeinsam lernen, stellt sich die Frage, wie das Schuljahr virtuell überhaupt beendet werden kann. Denn die Schülerinnen und Schüler aus den umliegenden Orten der Provinzstadt verfügen weder über ein modernes Smartphone noch über eine Internetverbindung. Der Schulbesuch ist nur an staatlichen Schulen kostenlos, rund zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen in Ecuador werden jedoch an katholischen Schulen unterrichtet. Viele Eltern sind aber nicht in der Lage, das Schulgeld zu zahlen. „Außerdem stehen seit drei Jahren vom Staat zugesagte Transferleistungen an verschiedene Diözesen in Ecuador immer noch aus“, kritisiert Markus Linsler, „viele kirchliche Schulen und damit auch die Diözesen stehen seit Jahren finanziell unter Druck.“ In mehreren Schulen wurde in den vergangenen Wochen eingebrochen und Computer und andere Gegenstände entwendet. Jetzt müssen Alarmanlagen angeschafft werden.

„Es wird viel darüber geredet, wie es nach der Corona-Pandemie weitergeht. Nur an die Situation der jungen Menschen wird wenig gedacht. Dabei ist der Großteil der Bevölkerung sehr jung“, so Markus Linsler, „der gesamte Bildungssektor funktioniert, wenn überhaupt, derzeit nur virtuell und darin liegt die Schwierigkeit. Viele Kinder der indigenen Bevölkerung haben in ihrem Gebiet überhaupt kein Internet oder besitzen keinen PC oder Laptop. Von Bildungschancen werden sie so abgeschnitten“.

Text: Dr. Patrizia Wackers/Theresa Huth

08.07.2020