Tagebuch zur Aktion "Sieben Tage im Dialog"

AGIAMONDO-Trainerin Katharina Bosl von Papp

Katharina Bosl von Papp hat das besondere Dialogformat mit sieben Karten zu Themen, die viele Menschen beschäftigen, ausprobiert und ihre Erlebnisse festgehalten. Beim Sommertreffen der ehemaligen Fachkräfte von AGIAMONDO war Katharina Bosl von Papp als Trainerin dabei.

 

Montag, 20.09.21

Diese Woche bin ich in Supervisionsfortbildung. Soll ich das Kartenset einpacken? Ja, wo sonst hätte ich Gelegenheit, ein Gespräch zu suchen. Allein die Karten in den Rucksack zu packen ist etwas aufregend. Aber frisch gewagt … In der Vormittagspause beginnt ein Kollege Smalltalk mit mir. Er ist Schulpsychologe, junger Familienvater und CSU-Gemeinderat. In der Regel meiden wir politische Themen. Ich nehme mir ein Herz und erzähle ihm von der Aktion. Ob er Lust hätte, eine Karte zu ziehen? Er hat. Er zieht „Lokal handeln“. Ich atme innerlich auf. OK, dazu kann er als lokalpolitisch engagierter Mensch etwas sagen, ohne in ideologische Floskeln zu verfallen. Ich frage, was ihm wichtig ist. Und er erzählt sehr offen von den Schwierigkeiten, sich in den traditionellen Strukturen seiner Gemeinde und Partei einen Platz zu erobern. Wir tasten uns vom Ausbau von Krippenplätzen und Radwegen zur besseren ÖPNV-Anbindung. Dann überrascht er mich mit der Aussage, dass er das Anliegen des Gemeinderates, Fair-Trade-Kommune zu werden, unterstützt. Ein erster Kratzer in meinem CSU-Weltbild. Ich frage ihn, ob er zur Klimademo am Freitag geht und ernte ein diplomatisches Lächeln. Da müsse er wieder in der Schule sein. Ich lächle zurück. Das Gespräch ist beendet, ich schenke ihm seine Karte. Geht doch.

Dienstag, 21.09.21

Mittagspause am Mainkai in Würzburg. Entspannter goldener Herbst, auf den Bänken und Mäuerchen sitzen Junge und Alte, genießen die Sonne. Auf dem Platz vor dem Biergarten hat der lokale Bundestagskandidat der Grünen sein Lastenfahrrad aufgebaut und stellt sich den Fragen der Bürger*innen. Er ist Mitte 20, ich bewundere seinen Mut und seine Ausdauer. Neben mir auf der Ufermauer sitzen zwei junge Frauen, die eher nach FDP aussehen. Verlässliche Vorurteile … Die 7-Tage-Dialogkarten liegen heute schwerer in meinem Rucksack. Egal. Ich quatsche die beiden an, was sie von Sebastian Hansen halten. Sie kennen ihn nicht so wirklich. Ah, denke ich, unpolitisch. Ich hole die Karten raus, erkläre, was es mit der Aktion auf sich hat, zeige ihnen das Set. Sie finden die Bilder schön und – so ermutigt – lade ich sie ein, eine zu ziehen. „Planet“. Die grünen Hügel und die Hände finden sie chillig. Sie lesen auf der Rückseite. Von Papst Franziskus haben sie schon mal gehört, aber "Sorge für das gemeinsame Haus" sagt ihnen nichts. Auch Franz von Assisi nicht. Sie haben jetzt wohl die Befürchtung, ich wolle missionieren. Ich respektiere das Signal, bedanke mich und beende das Gespräch. Die Karte wollen sie nicht mitnehmen.

Zum Zoom-Austausch zwischen 20.00 und 21.00 Uhr erscheint heute niemand außer mir.

Mittwoch, 22.09.21

Heute ist Elternabend in Davids Klasse an der Montessori-Schule. Ein Thema auf der Tagesordnung ist, ob die Schulmensa komplett auf vegetarisch umgestellt werden soll. Ein Großteil der Schüler*innen ist dafür. Bei den Eltern ist die Stimmung durchwachsen. Es gibt Vorbehalte, manche formulierbar, andere eher unbewusst und mit einer latenten Feindseligkeit vorgebracht. Ideologische Gräben auch an „der Monte“. Sebastian und Gertrud, die beiden Lehrkräfte der Klasse, bleiben geduldig. Montessori-Pädagog*innen sind geübt in Basisdemokratie. Beide unterstützen das Anliegen. Aber es braucht offensichtlich noch ein paar Runden an Dialog und Information. Eine gute Brücke zu den "Sieben Tagen im Dialog". Nach der Sitzung spreche ich Getrud und Sebastian auf die Aktion an, zeige das Set und erkläre die Karten. Sie sind angetan von der Idee und finden, dass man damit auch gut mit Schüler*innen der Mittel- und Oberstufe arbeiten könnte. Ich überlasse ihnen vier Sets und freue mich über den Multiplikatoreneffekt!

Donnerstag, 23.09.21

Heute bin ich „dialogmüde“ und fühle mich der Komplexität gesellschaftlichen Diskurses nicht gewachsen. Keine Karten.

Freitag, 24.09.21

Beim Wäscheaufhängen im Garten treffe ich einen unserer Nachbarn, keine Möglichkeit ihm auszuweichen. Er findet schwer eine Gesprächsbremse, wenn er mal in Fahrt ist. Weil er oft schräg verschwörungstheoretisch unterwegs ist, gehe ich ihm normalerweise aus dem Weg. Er ist schon früh mit seinen Hunden draußen, erzählt, dass in der Straße Wahlplakate abgerissen und beschmiert worden sind. Ich frage nicht welche. Ist auch egal, denn er ist schon bei Manipulation durch Politik und Medien. Ich suche einen Ausweg, indem ich sage, ich habe per Briefwahl gewählt, weil ich am Sonntag verreise. Dass ich es für wichtig halte, zu wählen und die Demokratie von uns allen mitgestaltet werden muss. Da habe er wenig Illusionen… Ich merke, wie sich Frust und Ärger über seine ungebremste Art in mir breitmachen. Ich habe keine Lust mehr auf dieses Gespräch und greife entschlossen nach meinem Wäschekorb. Heute bleibt mir ein schales Gefühl über die Grenzen des Dialoges.

Samstag, 25.09.21

Heute Reisevorbereitungen. Dialogpause.

Sonntag, 26.09.21

Heute ist Bundestagswahl. Ich fliege zu einer Summer School zum Thema Menschenrechte an den EU-Außengrenzen nach Griechenland. Die Insel Lesbos ist einer der Hotspots, das Lager Moria, das im vergangenen Jahr abgebrannt ist, ist ein symbolisches Schandmal des europäischen Scheiterns vor den Herausforderungen der Migration. Sozialarbeiter*innen im internationalen Masterstudiengang der FH Würzburg-Schweinfurt sind zwei Wochen unterwegs, tauchen vor Ort ein in die Perspektive von Geflüchteten und in die internationale Unterstützerszene mit ihren Chancen und Abgründen. Sie entwickeln Ideen für eine politisch kritische Sozialarbeit. Und begegnen immer wieder auch der Feindseligkeit gegenüber den Geflüchteten. NGO ist zu einem Schimpfwort auf der Insel geworden. Schönheit und Schrecken treffen sich in einem Augenblick, wenn zu einem grandiosen Inselsonnenuntergang die hochgerüsteten Schiffe der Küstenwache zu ihren nächtlichen Pushbacks auslaufen. Nur wenige Boote mit Geflüchteten erreichen noch die Festung Europa. In meinen Capacity Trainings zu Selbstfürsorge und Traumasensibilität sind Wut und Ohnmacht spürbar, aber auch Hoffnung und Inspiration, die sich aus gelebter Solidarität speisen. Am Ende der Woche verschenke ich meine beiden letzten Kartensets an die Studierenden. Und schließe damit meine (mehr) als sieben Tage im Dialog.

Text: Katharina Bosl von Papp

20.10.2021