Arbeiten als Berater*in auf Zeit bei AGIAMONDO

Mattes Tempelmann und Constantin Bittner berichten, welche Themen sie als Berater auf Zeit (BaZ) bearbeiten, wie sie an die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen herangehen und welche Fähigkeiten und Kenntnisse wichtig für ihre Arbeit sind.

Mattes Tempelmann und Constantin Bittner arbeiten beide zu 75 Prozent im Auftrag von MISEREOR als Berater auf Zeit für Bergbau, Ökologie und Menschenrechte in Lateinamerika und beraten in dieser Funktion unterschiedliche Partnerorganisationen in verschiedenen Ländern. Mattes Tempelmann war zuvor von 2014 bis Ende März 2021 als AGIAMONDO-Fachkraft für Fachberatung und Ausbildung in Umweltmanagement für Organisationen und lokale Behörden im Auftrag von Comundo in Peru tätig. Er arbeitete für das Netzwerk Red Muqui, das sich für Menschenrechte sowie eine nachhaltige Entwicklung in Bergbauregionen einsetzt. Constantin Bittner ist seit 2018 als Berater auf Zeit tätig.

Als Berater auf Zeit sind Sie im Auftrag von MISEREOR im Bereich Lobby- und Advocacy-Arbeit zum Thema Bergbau in Lateinamerika tätig. Welche Organisationen beraten Sie zu welchen Anliegen und wie gehen Sie da ran?

Mattes Tempelmann: In unserer Funktion beraten und begleiten wir Partnerorganisationen in Lateinamerika zum Thema Bergbau, Menschenrechte und Umweltkonflikte. Unsere Arbeit dreht sich dabei um vier große Themenfelder. Dabei geht es zum einen um die Stärkung der Rechte von lokalen Gemeinden und auch von Partnerorganisationen. Ein zweites Thema ist die Analyse von Fällen, in denen der Schutz von Menschenrechten und Umweltthemen eine große Relevanz haben. Dort schauen wir uns die Auswirkungen von Bergbauprojekten an und kommunizieren das dann in die Lobby- und in die Advocacy-Arbeit sowohl auf lokaler und nationaler Ebene vor Ort als auch auf internationaler Ebene.

Constantin Bittner: Ein drittes Thema sind die Investitionen in den Bergbausektor – und in dem Zusammenhang vor allem die Rolle der kirchlichen Finanzakteure. Es gibt da eine interessante Initiative eines Netzwerks aus kirchennahen Patenorganisationen in Lateinamerika – "Iglesias y Minería", auf Deutsch "Kirchen und Bergbau", – das mit unserer Unterstützung herausgefunden hat, dass auch kirchliche Akteure im globalen Norden sehr viel Geld in Bergbauunternehmen investieren. Nun versucht "Iglesias y Minería" über eine Kampagne zu erreichen, dass diese kirchlichen Akteure ihr Geld dort herausnehmen – also so genanntes Divestment betreiben. So wird einerseits finanzieller Druck auf den Bergbau ausgeübt und andererseits kann das so verfügbare Geld in alternativere Sektoren investiert werden. Das vierte Thema, zu dem wir arbeiten, ist die Frage der Entwicklungsalternativen in den Regionen, in denen Bergbau nicht mehr stattfinden soll. Was sind Entwicklungsalternativen zum Bergbau für diese Regionen, die bereits existieren oder die entstehen können? Die Visionen der lokalen Bevölkerungen für ihre Territorien und dazu, wie sie ihre Lebensweisen verteidigen können, sind für die Diskussion dieser Frage zentral. Die Vernetzung von Partnerorganisationen von Mexiko bis Chile führen bereits zu einem sehr intensiven Austausch zu diesem Thema.

 

Constantin Bittner bei einer Veranstaltung zu Entwicklungsalternativen in den Bergbauregionen Perus.
Mattes Tempelmann begleitet die Messung des pH-Wertes am Fluss Canipia unterhalb der Mine Tintaya nahe der Stadt El Espinar, Peru.
Ein Mitglied des Umwelt-Bürgerkomitees von El Espinar zeigt interessierten Bürgern, wie sie Wasserproben entnehmen...
... und auf Verschmutzung durch die Minen testen. Die Ergebnisse helfen, Umweltschäden und Handlungsbedarfe aufzuzeigen.
Krater an der Abbaustelle der Kupfermine Tintaya im Tagebau nahe der Stadt El Espinar in Peru.
Abraumhalden der Kupfermine Tintaya des Unternehmens Glencore.
Constantin Bittner auf dem "Thematic Social Forum on Mining and the Extractivist Economy" in Johannesburg.

Wissenswert

Berater*innen auf Zeit (BaZ) nehmen im Auftrag von AGIAMONDO-Auftraggebern oder im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) von AGIAMONDO Beratungsaufgaben zu verschiedenen Themen bei Partnerorganisationen in der internationalen Zusammenarbeit und humanitären Hilfe wahr. Unter normalen Umständen sind sie regulär ca. vier bis sechs Mal im Jahr für die Dauer von ca. zwei bis vier Wochen auf Beratungsreise im Ausland, da sich wirksame Beratung auf die eigenen Eindrücke und das Erleben der Realitäten vor Ort gründet und hierfür auch die unmittelbare Begegnung und Interaktion mit den Partnerorganisationen und Zielgruppen für die BaZ-Tätigkeit notwendig ist. Während der Corona-Pandemie finden diese Reisen nicht statt. Stattdessen tauschen sich die BaZ virtuell mit den Partner*innen aus. Wer als BaZ tätig werden möchte, muss in Deutschland gemeldet sein. Dienstort ist der Wohnort der Berater*innen auf Zeit. 2020 waren bei AGIAMONDO 25 Berater*innen auf Zeit für Auftraggeber wie MISEREOR, Caritas international oder Renovabis sowie im ZFD von AGIAMONDO zu verschiedenen Themenbereichen tätig.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen konkret?

Mattes Tempelmann: Die Partnerorganisationen vor Ort im globalen Süden sind insgesamt schon sehr gut aufgestellt. Deshalb geht es in unserer Arbeit nicht darum, dass wir erklären, was die Partner zu tun haben, sondern darum, Prozesse zu begleiten, Input zu geben, Impulse aufzugreifen und mit den Partnern gemeinsam an den Themen zu arbeiten und sie bestmöglich zu unterstützen. Gerade die Partner im Bergbausektor haben jahrelange Erfahrung. Unsere Aufgabe ist es auch, Partnerorganisationen aus dem globalen Süden und aus dem globalen Norden, die zu den selben Themen arbeiten, miteinander zu vernetzen. Ein Beispiel: Die Mitglieder des Red-Muqui-Netzwerks in Peru kennen sehr gut die lokale Realität, sind sich aber bewusst, dass auch Lieferketten- oder Umweltstandards für die Unternehmen hier im globalen Norden eine große Rolle spielen. Dies zu adressieren, ist dementsprechend eher Aufgabe der Partnernetzwerke im Norden. Da haben wir als BaZ eine Schnittstellenfunktion.

Welche Fähigkeiten, persönlichen Voraussetzungen und Kenntnisse sind als Berater*in auf Zeit für Bergbau, Ökologie und Menschenrechte besonders wichtig?

Constantin Bittner: Essenziell ist in unserem Fall zuerst einmal, eine Vertrauensbasis mit unseren Partnern und den lokal betroffenen Menschen aufzubauen. Das ist unverzichtbar, da der Bergbausektor aufgrund der wirtschaftlichen Interessen und der katastrophalen Menschenrechtslage für Menschenrechtsverteidiger*innen und lokale Anspruchsgruppen viele Sicherheitsrisiken birgt. Darüber hinaus ist es wichtig, sich in die Partner*innen vor Ort hineinzudenken und dabei ihre Perspektive einzunehmen, um sie auf Basis ihres Fachwissens, ihrer Erfahrungen, Regionalkenntnisse und Kontakte  zu unterstützen. Fachwissen unsererseits zum Thema Bergbau und speziell zu sozialen, ökologischen sowie ökonomischen Problemen und Aspekten ist dafür natürlich eine wichtige Basis. Wir brauchen außerdem Kenntnisse über die Netzwerke sowohl im globalen Süden als auch im globalen Norden, die zu diesen Schwerpunkten arbeiten, und methodisches Know-how. Zum Beispiel: Prozesse zu moderieren und zu begleiten, Workshops partizipativ auszuarbeiten, zu gestalten und durchzuführen. Das haben wir vor der Pandemie häufig vor Ort gemacht. Aktuell finden solche Workshops virtuell statt.

Mattes Tempelmann: Die interkulturelle Sensibilität, also der Umgang mit den Menschen, das Kennenlernen oder die Erfahrung über die kulturellen Themen vor Ort, ist für uns ebenfalls sehr wichtig. Dafür sind auch gute Spanischkenntnisse notwendig, um beispielsweise die von Constantin genannte Vertrauensbasis aufzubauen. Gute Kenntnisse über die Regionen sind ebenfalls eine wichtige Grundlage. Also zu wissen: Wie ist die Situation vor Ort, wie leben die Menschen und in welcher Realität? Aber auch: Wie funktionieren gesetzliche, wirtschaftliche und politische Prozesse in den Partnerländern und hier im globalen Norden? Unser Anliegen ist es, das Thema Bergbau ganzheitlich zu betrachten – und das sowohl auf den verschiedenen Ebenen vor Ort, in den Ländern, auf internationaler Ebene als auch in der Breite. Dabei werden nicht nur die ökologischen, sondern eben auch die sozialen, die ökonomischen, die politischen Facetten berücksichtigt.

Lateinamerika verzeichnet weltweit die höchste Zahl an Umweltkonflikten. Welche Verantwortung tragen wir im globalen Norden für diese Konflikte?

Mattes Tempelmann: Die Auswirkungen, die der Abbau von Metallen wie Gold, Kupfer oder Lithium im offenen Tagebau in Lateinamerika hat, sind verheerend – beispielsweise durch die Verwendung von hochgiftigen Schwermetallen wie Zyanid oder Quecksilber. Aufgrund von sehr niedrigen Umweltstandards in den Abbauländern wird das verwendete Wasser oftmals nicht von den Schwermetallen gereinigt, die so in die Flüsse und ins Grundwasser gelangen. Mit schlimmen Folgen, wie man beispielsweise in der peruanischen Stadt Cerro de Pasco sehen kann, wo viele Kinder mit Behinderungen geboren werden. Höhere Umweltstandards bedeuten jedoch auch höhere Kosten – und damit auch höhere Preise für die Unternehmen und Endkunden im globalen Norden.

Constantin Bittner: Hier zeigt sich: Die Unternehmen – sowohl die operierenden Bergbauunternehmen als auch alle anderen entlang der Lieferkette –, aber auch die Export- und Importländer, die über gesetzliche Rahmen Umwelt- und Sozialstandards setzen müssten, tragen hier eine große Verantwortung. Aber natürlich ist auch jeder Einzelne verantwortlich: Indem wir entscheiden, wie wir leben und wie wir konsumieren. Sei es beim Kauf von Elektronikartikeln, eines Autos oder der Entscheidung zur Geldanlage. Unsere Lebensweise und unser Rohstoffverbrauch hängt direkt mit den Auswirkungen des Bergbaus auf Mensch und Natur in den Abbauregionen zusammen.

Interview: Theresa Huth
10.08.2021